Förster Wolfgang Kunzmann setzt in seinem Revier rund um Limbach im Odenwald auf eine naturnahe Bewirtschaftung. Dabei bekommt er ungewöhnliche Hilfe: von Dietmar Gieser und seinem Rückepferd Mira. Über eine alte Tradition, die wieder in die Wälder zurückkehrt.

Mira steht still. Neben ihr kreischt eine Motorsäge, doch sie macht keinen Mucks. Stoisch steht die Stute zwischen den Bäumen, rückt nur ab und an den Kopf nach vorne, um an die zarten Knospen in den Ästen vor ihr zu kommen. Hinter ihr hantieren Dietmar und Susanne Gieser mit schweren Ketten, schlingen sie fest um drei Baumstämme. Mira ist eine Noriker-Stute, ein Kaltblut mit braunem Fell und schwarzer Mähne. „So leicht bringt die nichts aus der Ruhe“, sagt Dietmar Gieser. Schließlich ist alles bereit und Gieser schnalzt kaum hörbar mit der Zunge. Mira lehnt sich nach vorn, stemmt ihre 900 Kilogramm Körpergewicht in das Geschirr und setzt sich und die Baumstämme hinter ihr mit kraftvollen Schritten in Bewegung.

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In Aktion: Dietmar Gieser und Mira bei der Arbeit.

Mira ist ein Rückepferd und heute mit ihrem Besitzer Gieser in der Scheringer Hardt bei Mosbach im Odenwald im Einsatz. Für die Wälder hier ist Förster Wolfgang Kunzmann zuständig. Er arbeitet gerne mit dem Duo. Ginge es nach ihm, wären die zwei noch viel öfter in seinem Revier im Einsatz. Aber für Dietmar Gieser ist die Pferdehaltung ein reines Hobby, der Schefflenzer ist eigentlich Schlosser. Die Einsätze für Kunzmann macht er in seiner Freizeit. „Wir sind gerne im Wald“, erzählt er. „Unser eigenes Holz machen wir komplett ohne Traktoren – wir brauchen nur eine PS.“ Aber die hat es in sich.

Mira ist eine Noriker-Stute und wiegt 900 Kilogramm.

Bis in die 1960er Jahre waren Rückepferde noch häufig im Wald anzutreffen. Dann verdrängten schwere Maschinen mit deutlich mehr Pferdestärken die Tiere. Doch große Traktoren und Harvester brauchen Platz, hinterlassen breite Schneisen im Wald und können den Waldboden so verdichten, dass dort kaum noch etwas wächst. Seit die naturnahe Forstwirtschaft an Bedeutung gewinnt, kommen auch die Rückepferde wieder öfter zum Einsatz. „Die Maschinen haben natürlich ihre Berechtigung, aber die Tiere sind eine tolle Ergänzung“, sagt Kunzmann. Bis zu 400 Kilogramm kann Mira ziehen. Und sie holt immer dann Stämme aus dem Wald, wenn große Maschinen mehr Schaden als Nutzen anrichten würden. In Naturschutzgebieten etwa, oder in Waldstücken an Gewässern, wo Fahrzeuge im Morast stecken bleiben würden.

Kunzmann ist seit 1989 Förster im Revier Fahrenbach-Limbach. Er kümmert sich um den Gemeindewald, die meisten Gebiete hier sind allerdings in Privatbesitz. Früh setzte Kunzmann auf eine natürliche Verjüngung des Waldes, ohne Kahlschläge und Monokulturen. „Alles andere macht für mich keinen Sinn“, sagt er. Statt Bäume zu pflanzen, sorgt er dafür, dass die Bedingungen für Baumsamen so gut sind, dass sie gerne Wurzeln schlagen. Das bedeutet vor allem: ein lockerer Waldboden und genügend Licht. „Ich achte darauf, alte Bäume so zu fällen, dass Lichtschächte für neue Bäume entstehen“, erklärt er. Nicht alle fanden seine Vorgehensweise anfangs gut. „Die Bauern hier haben mir damals schon deutlich gemacht, dass sie davon nicht allzu viel hielten.“

Der Wald weiß selbst am besten, was gut für ihn ist

Förster Wolfgang Kunzmann

Doch Kunzmann war früh klar, dass er mit der Natur arbeiten will – nicht gegen sie. „Der Wald weiß selbst am besten, was gut für ihn ist“, sagt er und deutet auf ein Stück Wald, etwas weiter entfernt. Fichte neben Fichte. „Solche Fichtenäcker, von der Generation vor uns noch nach bestem Wissen und Gewissen angelegt, sind heute leider Auslaufmodelle. Diese Monokulturen sind jetzt die ersten, die sterben.“ Heute weiß man: Hier fühlt sich der Borkenkäfer besonders wohl. Dazu wurzelt die Fichte relativ flach, ihr geht bei Trockenheit schneller das Wasser aus als etwa der Weißtanne. Fichtenwälder leiden besonders stark unter der Klimakrise. Mittlerweile, sagt Kunzmann, hätte sich auch die Einstellung der Waldbesitzer hier im Odenwald deutlich gewandelt. Seit 2018, nach den ersten viel zu heißen Sommern, merkten auch sie, dass sie etwas ändern müssen. „Heute fragen sie mich um Rat, wie sie ihre Wälder robuster machen können.“

Ein gesunder, junger Mischwald: Das ist das Ziel von Förste Kunzmann.

 Kunzmann geht einige Schritte den Berghang hinauf, den Mira gerade im Nieselregen abwärts schnauft. Er zeigt auf eine lichte Stelle im Wald. Hier wächst Gras, Moos – und dazwischen lauter kleine Bäumchen. „Hier wachsen Fichten und Kiefern, dort eine Weißtanne und da hinten sogar eine Lärche.“ Ein diverser, robuster Mischwald, so wie ihn Kunzmann gerne überall in seinem Revier hätte. Allerdings noch in Miniaturformat. „Hier war vor wenigen Jahren eine kleine Lichtung, dann haben die Wildschweine noch kräftig gewühlt – und ideale Bedingungen für eine Waldverjüngung geschaffen.“ Das gleiche will Kunzmann nun mit Hilfe von Mira erreichen. Sie zieht heute keine gefällten Stämme aus dem Wald, sondern kreuz und quer durch ihn hindurch. „Damit entfernt sie das Laub und lockert den Boden auf.“ Und schafft damit ideale Bedingungen für neues Leben. „Es ist ein Experiment“, gibt Kunzmann zu. „Kommen Sie in ein paar Jahren nochmal, dann sehen wir, ob es gelungen ist.“ Er lacht. Als Förster braucht er einen langen Atem.

Mit den Stämmen „pflügt“ Mira den Waldboden auf schonende Weise.

„Brrrrt“. Mira hält sofort an. „Hier, hier“, sagt Dietmar Gieser ruhig und Mira ändert die Richtung. Ein eingespieltes Team. Früher ist Dietmar Gieser auch Turniere geritten. „Dann hatten wir einige Jahre kein Pferd – aber das ist wie ein Virus. Die Liebe zu den Tieren lässt einen so schnell nicht los.“ Mit seiner Frau Susanne überlegte er, was sie gut gemeinsam mit den Tieren machen könnten. Der Entschluss fiel schnell: Kutsche fahren. Für ihr neues Hobby entschieden sie sich für ein kräftiges, sanftes Kaltblut: Mira. Bei zahlreichen Festumzügen im Odenwald waren sie seither dabei.

Gieser liebt die Arbeit mit Mira im Wald.

Gieser erzählt von einem Pflügerwettbewerb, den er vor einigen Jahren als Zuschauer besuchte. „Mich hat das fasziniert, wie diese alten Bauern mit ihren Pferden kommuniziert haben. Da hat man kaum was gehört, kaum was gesehen, aber die Pferde haben genau das gemacht, was sie machen sollten.“ Das sei eine viel engere Zusammenarbeit mit dem Pferd als beim Reiten. „Beim Reiten drücken Sie eben mit den Schenkeln – aber aus der Distanz müssen sie ganz anders kommunizieren.“ Und auch die Eigenheiten der Tiere sehr gut kennen. „Mira ist ein absolutes Gewohnheitstier“, erzählt Gieser. Wenn seine Frau Susanne nicht dabei sei, setze das Pferd keinen Schritt in den Wald. Waldarbeit ist bei Familie Gieser eben Teamarbeit.

Gemeinsam mit Mira nimmt Gieser auch an Rückewettbewerben teil. Doch gefragt nach den Ergebnissen, zuckt er nur mit den Schultern. „2023 wurdest du zweiter bei den baden-württembergischen Meisterschaften“, springt seine Frau ein. Darauf, das wird schnell klar, kommt es Gieser gar nicht an. Er liebt die Arbeit mit seinem Pferd. Deshalb springt er auch gerne ein, wenn Kunzmann ihn fragt. Wie lange der Einsatz dauert, bestimmt jedoch allein Mira. „Sie sagt, wann Feierabend ist“, sagt Dietmar Gieser. So wie jetzt. Er winkt Kunzmann zu: „Mira kann nicht mehr.“ Von ihrem Rücken steigen kleine Dampfwolken auf, sie atmet schwer. Gieser führt sie zurück zum Anhänger, der unten am Waldweg steht. Dort wartet schon die Belohnung. Für das Pferd saftige Karotten, für die Menschen Susannes Giesers berühmter Hefezopf und heißer Kaffee.


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