Viel Grün und tausend Stimmen: Im Dannhecker Wald finden nicht nur Menschen Ruhe und Entspannung. Auch viele Vögel brüten und singen in dem Gebiet zwischen Walldorf und Sandhausen. Das hat mit Harald Kranz zu tun, der dort fast 100 Nistkästen betreut. Aber auch mit ein bisschen Unordnung. 

Im Wald macht der Tod neues Leben möglich. Der obere Teil der Buche ist abgestorben, etwas kläglich steht sie am Wegesrand. Doch die runden Löcher an der Spitze verraten, dass Spechte in den vergangenen Jahren ihre Höhlen in das weiche Totholz gehämmert haben. Drei untereinander. In vielen Wirtschaftswäldern fallen diese „Spechtflöten“ früher oder später der Säge zum Opfer. An dieser Buche dagegen prangt der weiße Umriss eines Vogels. Ein Signal an den Förster: Bitte stehenlassen, hier könnte gebrütet werden.

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Der Dannhecker Wald liegt im Rhein-Neckar-Kreis zwischen Walldorf und Sandhausen, rund zehn Kilometer südlich von Heidelberg. Ausflügler und Anwohner drehen an diesem frühen Frühlingsabend ihre Runden, suchen und finden Ruhe und Entspannung. Sie schlendern auf dem Wall den Hardtbach entlang, der das Waldstück durchzieht. Oder sie genießen den malerischen Blick von der überdachten Lutherischen Brücke, nach der der Schriftsteller Arnim Töpel einen Mundart-Krimi benannt hat. Das vielstimmige Vogelkonzert gibt es gratis dazu: Ab und zu sind die meckernden Rufe des Buntspechts zu hören, im Geäst singt das Rotkehlchen sein klirrendes Lied. Bald wird gut versteckt oben im Blätterdach auch der Pirol flöten. Der leuchtend gelbe Vogel heißt im deutschen Volksmund Vogel Bülow und im Französischen „Loriot“. Der große Komiker hatte sich von ihm seinen Künstlernamen geborgt.

Harald Kranz betreut fast 100 Nistkästen im Dannhecker Wald.

Ist die Vogelwelt hier noch in Ordnung? So pauschal will Harald Kranz das nicht sagen – aber aus Sicht eines Naturschützers ist der Dannhecker Wald durchaus ein Stadtforst mit Vorbildcharakter. Weil der Tod hier nicht gleich weggeräumt wird, weil ein bisschen Unordnung erlaubt ist. „Abgestorbene Bäume kollidieren leider mit dem Ordnungswahn vieler Menschen“, sagt der Vorsitzende der Ortsgruppe Leimen-Nußloch des Naturschutzbundes NABU. Viele Förster sehen in Totholz zudem ein Sicherheitsrisiko für Waldbesucher. Doch es bietet nicht nur Vögeln einen Ort, an dem sie geschützt ihren Nachwuchs aufziehen können. Es ist auch Behausung und Nahrungsquelle für unzählige Insekten und Würmer. Und davon sind viele andere Lebewesen abhängig. 

Harald Kranz geht nicht achtlos durch den Wald. Immer wieder hält er inne, lässt den Blick durch die Äste schweifen, an denen sich das erste zarte Frühlingsgrün zeigt. Wer sich Zeit und Ruhe nimmt, wer in den Wald hineinschaut und hineinhorcht, bekommt mehr geboten als ein paar Bäume. Mit Glück ist im Dannhecker Wald im Frühjahr zum Beispiel der lange Trommelwirbel des Schwarzspechts zu hören. Der größte heimische Specht mit dem pechschwarzen Gefieder und dem roten Scheitel ist ein wichtiger Baumeister, auch für andere Arten. Wenn er eine geräumige Höhle verlassen hat, können dort in den Folgejahren etwa die seltenen Hohltauben einziehen.

Der „Wohnungsmarkt“ im Wald ist umkämpft.

Beruflich verbringt Harald Kranz als Molekularbiologe die meiste Zeit in Labor oder Büro, in seiner Freizeit widmet er sich der Natur in seiner Umgebung: Fast 100 Nistkästen betreut Kranz im Dannhecker Wald. Wer dort die Augen offen hält, entdeckt sie an vielen Bäumen entlang der Wege. Kranz verfolgt, wer dort im Frühjahr einzieht, er nimmt im Herbst die verlassenen Nester heraus und säubert die Kästen. Doch er greift auch zu einem Trick. Denn der „Wohnungsmarkt“ im Wald ist umkämpft.  Meisen, Kleiber, Stare: All diese Vögel brüten in Höhlen und sind daher auf Spechtlöcher oder eben auf Nistkästen angewiesen, die der Mensch aufhängt. Im Zuge des Klimawandels beginnen sie inzwischen vielerorts früher mit der Brut, zum Teil schon Anfang April.

Beruflich meist im Labor, in der Freizeit am liebsten in der Natur: Harald Kranz.

Das Nachsehen haben Arten wie der Trauerschnäpper. Er gehört zu den Langstreckenziehern und verbringt die kalte Jahreszeit in Afrika. Wenn der nur 13 Zentimeter große Vogel nach der tausende Kilometer langen Reise über die Sahara, das Mittelmeer und die Alpen Mitte April ausgezehrt in Deutschland eintrifft, sind viele Bruthöhlen schon belegt. Kohl- und Blaumeisen bleiben im Winter hier, können in milden Frühlingen früher zur Tat schreiten und besetzen viele Nistkästen. „Wenn die schon ihr Nest gebaut haben und auf ihren Eiern sitzen, ist das Rennen gelaufen“, sagt Harald Kranz.

Verlierer des Klimawandels: Der Trauerschnäpper, mittlerweile eine „gefährdete“ Art.

Der Trauerschnäpper gehört deshalb zu den Verlierern des Klimawandels, der Deutsche Rat für Vogelschutz hat ihn als „gefährdet“ auf die Rote Liste der bedrohten Vogelarten geschrieben. Im Dannhecker Wald fand Günther König – der Vorgänger von Harald Kranz – 1998 nur noch ein einziges Brutpaar. König überlegte sich daher einen Trick, den Harald Kranz heute noch jedes Jahr anwendet: Vor der Brutsaison entfernt er aus 15 Nistkästen die Vorderwand. Als Bruthöhlen sind sie damit unbrauchbar, Meisen und andere „Frühbrüter“ müssen sich nach Alternativen umschauen. Erst wenn in ornithologischen Datenbanken die ersten Trauerschnäpper des Jahres in Deutschland gemeldet werden, fährt Harald Kranz raus in den Wald und bringt die Vorderseiten wieder an. Für die Trauerschnäpper sind die Kinderstuben so genau rechtzeitig bezugsfertig, während die Konkurrenz schon anderswo auf ihren Eiern sitzt. Inzwischen brüten pro Jahr im Schnitt wieder zehn Trauerschnäpper-Paare im Dannhecker Wald, schätzt Harald Kranz.

Der Dannhecker Wald: Ein Paradies für die Vogelwelt.

Der kleine Singvogel ist aber nicht die einzige Art, die in Walldorf im Aufwind ist: Stolz ist die Stadt auch auf ihre Storchenwiese. Eine Feuchtwiese am Waldrand östlich der Stadt, direkt neben dem Dannhecker Wald. Gut 20 Weißstörche sind an diesem Abend auf der Wiese oder auf den Nestern zu zählen. Dazwischen lauern schneeweiße Silberreiher wie festgefroren auf Beute zu ihren Füßen. Ein paar Meter weiter schauen aus dem hohen Gras die Ohrenpaare von drei Feldhasen hervor.

Gruppenbild mit Hase: Blick auf die Walldorfer Storchenwiese.

Harald Kranz findet: Die Deutschen sollten sich viel häufiger ein Beispiel an den Briten nehmen. Dort ist das „Birdwatching“ Volkssport: Das Fernglas gehört für viele Menschen auf der Insel zur üblichen Ausstattung für einen Spaziergang durchs Grüne. „Man kann etwas nur richtig genießen, wenn man es gut sehen kann.“ Doch auch ohne Fernglas gilt: Der Wald macht etwas mit dem Menschen. Er lässt sie durchatmen, zur Ruhe kommen. Walldorf – das „Dorf im Wald“ – verdankt seinem grünen Gürtel sogar seinen Namen. „Sie müssen nur reingehen und sich eine halbe Stunde irgendwo hinsetzen“, sagt Harald Kranz. „Ich verspreche Ihnen: Es geht Ihnen danach besser als vorher.“

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