Das Fürstenlager an der Bergstraße, in dem die Darmstädter Adelsfamilie einst die warmen Monate verbrachte, ist einer der schönsten Landschaftsgärten Deutschlands. Gerade weil vieles hier besonders ist – exotisch, steil und erhaben.

Ende des 18. Jahrhunderts war sich das französische Volk endgültig sicher: Ihre Königin war vollkommen übergeschnappt. Unkonventionelle Ideen hatte Marie Antoinette schon immer gehabt. Doch plötzlich begann die luxussüchtige Monarchin, Bäuerin zu spielen. Im Schlosspark von Versailles ließ sie ein idealisiertes Dorf mit Molkerei und Mühle errichten. Und an der Bergstraße? Da hatte man eine ganz ähnliche Idee: Auch Landgraf Ludwig X. von Hessen-Darmstadt suchte – wie Marie Antoinette – einen Ort abseits vom Hofzeremoniell. Da passte es gut, dass dem Adelshaus schon länger ein hübsches Areal in Auerbach gehörte, das im Volksmund später „Fürstenlager“ heißen sollte. Einige Hektar groß, mit einem Mineralbrunnen in der Mitte. Und viel Platz für damals zeitgemäße Ideen.

Landflucht: In Auerbach suchte Landgraf Ludwig X. von Hessen-Darmstadt einen Ort abseits vom Hofzeremoniell.

Welche das waren – niemand wüsste es besser als er: Stefan Jagenteufl. An diesem Morgen steht die über 200 Jahre alte Sternmagnolie vor dem Haus des Brunnenwärters so prachtvoll in Blüte, dass es geradezu betörend wirkt. Einer der vielen Spechte pocht vor sich hin, eine Wasserfontäne plätschert –ja, so beschaulich, so erhaben in all seiner Einfachheit muss damals auch dieses steile Stück Land auf die adelige Familie aus Darmstadt gewirkt haben. „Die Stadt stank nach Kloake, da sehnte man sich in die Sommerfrische“, sagt Jagenteufl, der seit 2005 das Fürstenlager in Bensheim-Auerbach, aber auch den Prinz-Georg-Garten in Darmstadt leitet. Und dazu noch so vieles mehr ist: Gärtner- und Landschaftsbaumeister, aber auch Eventerfinder und -manager, Denkmalpfleger und Pflanzenarchäologe.

Stefan Jagenteufl leitet seit 2005 das Fürstenlager in Bensheim-Auerbach.

Schon etwa 100 Jahre, bevor Ludwig das Auerbacher Areal in einen englischen Landschaftsgarten ausbaute, war klar, dass es hier auch eine Mineralquelle gab. Doch auch wenn der Kurbetrieb zunächst anlief, ein nobles Bad wurde das „Fürstenlager“ nie: „Das Wasser war von sehr wechselhafter Qualität“, sagt Jagenteufl, während es vor ihm kaum merklich aus dem schlichten, sandsteinernen „Gesundbrunnen“ tröpfelt. Er bildet das Herz der künstlichen Dorfanlage, die der Fürst aus 14 Gebäuden errichten ließ. Doch während Marie Antoinette ihre Nächte lieber im luxuriösen Schlösschen Trianon neben ihrem Musterdorf verbrachte, residierte die Darmstädter Adelsfamilie tatsächlich hier. Mitten in der Natur. Nicht ganz ohne Komfort, dafür sorgten eine Fischzucht, das herrschaftliche Herrenhaus oder eine eigene Konditorei, aber ganz sicher ohne (zu) großes Zeremoniell: „Alles athmet hier Ruhe und ländliche Stille“, lobte denn auch 1820 Karl Friedrich Mosch das Fürstenlager in einem Bäderführer. „Hier herrscht keine Etikette, kein Zwang.“

1783 verbrachte Ludwig mit seiner Frau Luise den ersten Sommer im Fürstenlager und kehrte fortan jedes Jahr von Mai bis September zurück. Als Zeichen der eigenen Weltläufigkeit ließ das Paar rund 50 exotische Bäume und Sträucher pflanzen, darunter einen der heute ältesten Riesenmammutbäume Deutschlands. Rehe, Dachse, Füchse, Feuersalamander, Schlangen, Marder, Wiesel, Iltisse und Bussarde leben auf dem Areal, auf dem es satte 142 Höhenmeter hinauf und hinab geht. „Auf dem Gelände gibt es sogar eine Wetterscheide“, sagt Jagenteufl. Mit anderen Worten: Temperaturunterschiede von bis zu vier Grad. An klaren Tagen lässt es sich vom Teehaus übers Rheintal bis auf die Vogesen blicken.

„Im Park sollte sich Gartenkunst mit Landwirtschaft verbinden“

In den Sommermonaten lebten mehr als 100 Menschen im Fürstenlager – davon etwa 20 Adelige. Aber anders als in Versailles war das Fürstenlager keine Attrappe. „Im Park sollte sich Gartenkunst mit Landwirtschaft verbinden“, sagt der Parkleiter. Bei dieser Grundidee ist es geblieben: Bis heute werden die umliegenden Streuobstwiesen bewirtschaftet, das Holz des Forstes verkauft. Zudem sollte das (künstlich angelegte) Areal so natürlich wie möglich wirken. Alleen führen zwar zu Aussichtspunkten, zur verwunschen in einem Waldstück gelegenen Eremitage, oder dem schlicht-schönen Freundschaftstempel hoch oben am Hang. Aber nichts wirkt gewollt inszeniert wie etwa in einem Barockgarten. Geradlinige, gar rechtwinkelige Wegführungen gibt es nicht.

Hütte im Wald
Verwunschen in einem Waldstück gelegen: Die Eremitage.

Im Gegenteil: „Alles ist so angelegt, dass nach jeder Biegung etwas Überraschendes folgt“, sagt Jagenteufl, der in Bad Homburg groß geworden ist – den legendären Schlosspark vor Augen. Hier machte er seine Ausbildung, übernahm für zwei Jahre sogar dessen Leitung, stand dann dem Schlossgarten Biebrich in Wiesbaden vor. „Aber das Fürstenlager ist für mich die spannendste Anlage, weil sich hier so viel auf relativ wenig Raum konzentriert.“ 46 Hektar ist das Auerbacher Areal groß und damit die drittgrößte Parkanlage ihrer Art in Hessen, nach dem Rüdesheimer Niederwalddenkmal und der Kasseler Wilhelmshöhe. Wer es einmal umrunden will, muss 6,4 Kilometer zurücklegen. Vollständig umzäunt war das Gelände nie. Auch nicht zur Zeit der Fürsten. „Damals gab es zwar einen bewachten Schlagbaum, aber im Prinzip war der Park schon immer offen für alle.“

46 Hektar groß ist das Auerbacher Areal. Der Park war schon immer offen für alle.

Stefan Jagenteufl lebt im Haus des Brunnenwächters, manchmal direkt vis à vis mit den bis zu 8000 Besuchern, die das Fürstenlager an einem Wochenende im Sommer für gewöhnlich fluten. Wie hält man da Distanz? „Gar nicht“, sagt der Gärtnermeister und lacht. Seine Arbeitstage seien immer lang, würden mit der Dienstbesprechung um 7 Uhr starten und selten vor 19 Uhr enden. Und auch wenn die Präsenzpflicht von Parkleitern in den 90er Jahren in Hessen abgeschafft wurde – wegziehen würde er nie. „Um so einen Park zu verstehen, muss man mit ihm das ganze Jahr über zusammen sein.“

Stefan Jagenteufl lebt auch im Fürstenlager: „Um so einen Park zu verstehen, muss man mit ihm das ganze Jahr über zusammen sein.“

Den Park zu verstehen, das bedeutet für Stefan Jagenteufl, ihn möglichst in den Zustand von 1800 zurückzuversetzen. Dafür betreibt er sogar so etwas wie Pflanzenarchäologie. Wo genau stand dieser oder jene Busch, wo war der Start- oder Endpunkt einer heute verschwundenen Allee? Um alte Sichtachsen wiederzufinden, leuchtet er auch schon mal in der Dämmerung mit Autoscheinwerfern über das Gelände oder ergründet alte Wegführungen zunächst mit dem Rasenmäher. Allein vor dem Herrenhaus hat er 1200 Kubikmeter Erde vor dem Springbrunnen wegschaufeln lassen – nun stimmen hier nicht nur die Proportionen des Parkverlaufs wieder, sondern auch die des benachbarten Herrenhauses.

Jagenteufl legt alte Sichtachsen frei. Hier auf das herrschaftliche Herrenhaus.

Als nächstes will er den Küchengarten wieder anlegen, ein historisches Rosenoval und – eine Burg. „Die Javandtsburg war im Grunde genommen nichts anderes als ein etwas größerer Raum“, sagt Jagenteufl. Aber immerhin einer, den sich der Oberjagdmeister behaglich mit einem Kamin und einer Terrasse ausstaffieren ließ – eine Spendenaktion des Bensheimer Kur- und Verkehrsvereins soll nun dabei helfen, das nötige Geld zusammenzubekommen, um ihn wieder aufzubauen. Bald sind es 40 Jahre, die Jagenteufl in historischen Gärten arbeitet. Er ist sich sicher, dass die Javandtsburg schnell ihre Liebhaber finden wird. „Wenn ich etwas im Park verändere und die Leute sich sicher sind, dass es schon immer so dagestanden hat – dann habe ich meinen Job gut gemacht.“


Staatspark Fürstenlager

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