„Glücksschwein und Weichensteller“

Am 10. Dezember 2024 jährt sich der Geburtstag von Carl Theodor zum 300. Mal. Hiram Kümper ist Professor für Geschichte und Inhaber der Carl-Theodor-Professur an der Uni Mannheim – ein Gespräch über die Vorlieben, Talente und Eigenheiten des Kurfürsten, dessen Wirken die Rhein-Neckar-Region bis heute prägt.

Herr Kümper, warum ist die Erinnerung an Carl Theodor heute noch relevant? 
Kümper: Gerade für die Region ist Carl Theodor einer der großen Weichensteller. Wir erleben Rhein-Neckar als innovationsgetriebene Region mit prägenden Traditionsunternehmen. Diese Verbindung von Technik, Wissenschaft und Wirtschaft hat tatsächlich in der Regentschaft Carl Theodors ihren Ursprung. Er transformiert die Kurpfalz zu einer fortschrittlichen Agrar-, Wirtschafts- und Kulturregion.

Aufgewachsen ist Carl Theodor in Brüssel. Weiß man etwas darüber, wie sein Ankommen hier war? 
Kümper: Man weiß nicht viel über die frühen Jahre seiner Regentschaft, aber er muss sich hier sehr wohlgefühlt haben. Er hat schnell den Mannheimer Hof zu seinem gemacht und baut ihn aus – nicht nur die Gebäude, sondern auch das Hofleben mit Künstlern und Wissenschaftlern. Und er holt Leute an seinen Hof, die wir heute als Entrepreneure bezeichnen würden: Menschen mit verrückten Ideen auf der Suche nach Investitionskapital.

Das Mannheimer Schloss ist schon zur Zeit Carl Theodors eines der größten in Europa. Foto: Sebastian Weindel

Neben dem Hof in Mannheim trägt ja vor allem die Residenz in Schwetzingen Carl Theodors Handschrift… 
Kümper: Ja, es verhält sich ähnlich wie mit dem Hof in Mannheim, zwar gab es schon einen Vorgängerbau, aber der Kurfürst baute das Schwetzinger Schloss komplett um. Es ist seine Sommerresidenz, das heißt der Hof zieht jeweils über die Sommermonate sehr aufwendig, teilweise sogar mit Möbeln, nach Schwetzingen. Vor allem der Schlossgarten ist durch und durch Carl Theodor. Der Garten spiegelt sein Selbstverständnis wider, er hat damit sein politisches und wirtschaftlich-kulturelles Programm in die Fläche gebracht und demonstriert sein aufklärerisches Gedankengut.

Das Badhaus im Schwetzinger Schlossgarten. Foto: Tobias Schwerdt

Kunst und Kultur, Wissenschaft und Politik, alles kam in der Regentschaft zwischen 1742 bis 1777 zur Blüte. Was kann man über den Politiker Carl Theodor sagen? 
Kümper: Im außenpolitischen Bereich schafft er es sich durch viel Geschick zwischen Frankreich, dem Kaiserhof in Wien und dem Preußenkönig zu behaupten und an allen Kriegen der Zeit – und davon gibt es nicht wenige – vorbei zu lavieren. Er ist zwar beteiligt, aber immer in der zweiten Reihe durch Truppenkontingente und Finanzierung. Grundsätzlich gelingt es ihm aber, den Krieg aus der Kurpfalz fernzuhalten. Das ist auch das, was ihm der Preußenkönig Friedrich II. ein bisschen neidvoll attestierte, als er Carl Theodor als Glücksschwein bezeichnete.

Und wie steht es um den Kunstmäzen? 
Kümper: Carl Theodor macht Mannheim zu einem Kulturzentrum Europas, klingt nach einem Superlativ, stimmt aber. Das betrifft etwa die Hofmusik, die europaweit bekannt ist. Nicht umsonst bemüht sich Mozart hierhinzukommen. Außerdem interessiert er sich sehr für die Antike, baut den Antikensaal aus und gründet 1763 die Akademie der Wissenschaften – durchaus nicht üblich an kleinen Höfen. Damit reiht er Mannheim ein in Metropolen wie Berlin, München oder Paris.

Wie bringt er die Wissenschaft voran?  
Kümper: In den 1770er-Jahren schaut die ganze Welt nach Käfertal. Journalisten aus Paris, aus Russland und Dänemark reisten an. Ein Wallone namens Lemaitre betreibt hier im Jagdrevier des Kurfürsten ein besonders Laborgut, auf dem neue Techniken ausprobiert werden. Er erhält den Auftrag, Rhabarber anzubauen und erstmals in Europa zu kultivieren. Die Geschichte ist sehr genau und detailreich überliefert, auch wie die Samen über zwei Handwerksgesellen an den Kurfürsten herangetragen wurden und der sich überzeugen ließ, zu investieren. Obwohl die Sache letztlich schiefgeht, blickt die ganze Welt auf Käfertal und sieht, dass hier auf der Höhe der Technik geforscht wird.

Schätze aus Frankenthal: Die Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen zeigen auch dieses Etui in Form eines Spargels, das um 1775 aus Porzellan entstand. Voraussetzung der Wirtschaftsförderung durch Carl Theodor waren die natürlichen Gegebenheiten der Kurpfalz, die den Anbau von „Grumbeeren“ („Grundbeeren“ / Kartoffeln), medizinischem Rhabarber, Spargel, Tabak oder Wein ermöglichten. Foto: © rem, Jean Christen

Was waren denn Ihre ersten Berührungspunkte als Historiker mit Carl Theodor?  
Kümper: Das mag zunächst etwas verstaubt und langweilig klingen – aber es ging um die kurpfälzische Statistik. Bei genauerem Hinsehen ist das jedoch etwas, das sehr sprechend für ihn ist. Carl Theodor ist einer der ersten Fürsten, der konsequent eine staatliche Statistik einführt und regelmäßig sein gesamtes Kurfürstentum statistisch erheben lässt. Damit kann er politische Entscheidungen klarer treffen. Das ist wahnsinnig modern und beweist eine besondere Weitsicht von ihm und seinen politischen Beratern. Nur deshalb, weil so viele Daten erhoben wurden, wissen wir auch heute noch so viel über seine Regentschaft.

Hiram Kümper. Foto: Ali Badakhshan Rad

1777 übernimmt Carl Theodor die Bayrische Kurwürde und zieht nach München. Ein Schock für Mannheim?  
Kümper: Auf jeden Fall. Carl Theodor war hier nicht nur sehr beliebt, für Mannheim war der Umzug eine Katastrophe. Die ganze Stadt hatte sich in dieser relativ kurzen Residenzzeit von 50 Jahren auf diesen Hof eingestellt und war auch wirtschaftlich weitgehend vom Hof abhängig. Allerdings hat Carl Theodor noch unmittelbar vor seinem Weggang das Nationaltheater gegründet – und damit nicht nur ein kulturell, sondern auch gerade in jener Zeit ein wirtschaftlich wichtiges Erbe hinterlassen.

Frankenthaler Porzellan im dortigen Erkenbert-Museum. Foto: Sebastian Weindel

Abgesehen vom Mannheimer Schloss und der Schwetzinger Residenz. Wo sonst in der Region kann man Carl Theodor denn nachspüren?  
Kümper: Carl Theodor hat die Region Kurpfalz wie keiner vor und nach ihm geprägt. Man kommt eigentlich gar nicht an ihm vorbei, denn er hat sehr in die Fläche gewirkt. In vielen kleinen Orten finden sich noch seine Spuren – etwa Stelen mit seinem Emblem. Seine Innovationen sind noch immer präsent: Anlässlich des Jubiläums gab es beispielsweise eine Radtour entlang der ehemaligen Maulbeerallee, die Carl Theodor zwischen Heidelberg und Schwetzingen anlegen ließ, um eine eigene Seidenproduktion aufzubauen. Dort sind heute noch Maulbeerbäume zu finden. Er ist es auch, der die Porzellanmanufakturen nach Frankenthal holt. Und der bereits erwähnte Karlstern im Käfertaler Wald war einst das Jagdrevier des Fürsten. Er war ein leidenschaftlicher Jäger.

Warum war es Carl Theodor ein Anliegen, Luxusprodukte wie Seide und Porzellan in der Region herstellen zu lassen?  
Kümper: Der Kurfürst suchte nach etwas, das sich auch für den Export eignen könnte, um die Wirtschaft anzukurbeln. In diesem Bereich gab es noch wenig Konkurrenz. Frankenthal machte er zusammen mit seinem Minister Joseph Fontanesi zum wirtschaftlichen Zentrum und zur dritten Haupt-Stadt, wie es damals hieß, hinter Mannheim und Schwetzingen. Die Lage des Ortes in einer Ebene mit ausreichend Fläche war günstig, um hier produzierendes Gewerbe anzusiedeln.

Und welche Bauwerke zeugen noch vom Kurfürsten? 
Kümper: Die Alte Brücke in Heidelberg ließ Carl Theodor als Steinbrücke bauen. Er hat sich dort auch selbst in Form einer Skulptur verewigen lassen. Einer meiner persönlichen Lieblingsorte ist die Sternwarte beim Mannheimer Schloss, ein technisch ganz bedeutsames Gebäude. Es ist heute noch ein beeindruckendes Gefühl, wenn man den Turm besteigt und von dort auf Mannheim und Ludwigshafen blickt. 


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