Nachdem Uli Krell einen Klangwanderweg in Luxemburg erlebt hatte, war für ihn klar: So etwas braucht der Odenwald. Bei Hammelbach im Kreis Bergstraße können Wanderer klangvoll Stille finden.
Ganz still steht Uli Krell zwischen den beiden Wildkirschen. Es ist ein leises Warten auf den Wind. Denn über ihm, auf rund sechs Metern Höhe, baumeln Windspiele an einer Schnur. An diesem sonnig-milden Novembertag schiebt der Luftzug sie jedoch nur sanft an: Die Holzschlägel, von denen blau glänzende Rauten herabhängen, bringen die Aluminium-Klangkörper ganz leicht zum Spielen. Sie erinnern an Glocken in weiter Ferne, fast lauter brummt ein Flugzeug über dem Odenwald.
In Hammelbach, einem Ortsteil von Grasellenbach, weisen dank Uli Krell Ohren den Weg: Auf Schildern führen sie über einen acht Kilometer langen Rundwanderweg, an dem Stationen zum Innehalten einladen – dazu, Klänge zu erzeugen oder ihnen zu lauschen. „Ich war schon immer ein Ohrenmensch“, sagt Krell. 2009 schenkte ihm seine Frau einen Ausflug nach Hoscheid in Luxemburg, wo es einen solchen Klangweg gibt. Sofort war für Krell klar: „So etwas will ich auch – damit ich nicht immer bis nach Luxemburg fahren muss.“ Er konzipierte die Stationen, akquirierte Spenden, baute mit Hilfe von Freunden und Unterstützern die Objekte. Gut zweieinhalb Jahre nach seinem Ausflug nach Hoscheid installierte er im Mai 2012 das erste Klangobjekt nahe seines Heimatdorfs.
Eine besondere Station für den Vater von drei Söhnen und Großvater von zwei Enkelkindern ist die Lion-Windharfe. Sie schließt oben mit einer alten Satellitenschüssel ab, die langen Saiten führen von dort Richtung Boden. Auch die Harfe bleibt stumm an diesem windstillen Tag. Alle Saiten sind auf denselben tiefen Ton gestimmt, erklärt Krell: ein G – und damit einen der beiden Erdtöne. „Wenn man die Schwingungsdauer der Erdrotation zwischen Tag und Nacht immer und immer und immer wieder verdoppelt, kommt man irgendwann in den akustischen Bereich – zu einem G.“ Wenn es weht, erzeugen die Saiten Obertöne des Gs, die je nach Windstärke unterschiedlich hoch sind.
Der Klangwanderweg: Ein Erlebnis für die Augen...
...und die Ohren.
Die Waldmarimba.
Alle 14 Tage begibt sich Uli Krell auf „Inspektionstour“.
Die Windharfe wurde 2014 am Geburtstag seines ersten Enkelkinds aufgestellt – deshalb ist sie nach Lion benannt. Krell tüftelt ständig an den Objekten: Anfangs hatte er hier etwa Metallsaiten angebracht, da ging der Wind jedoch dran vorbei. Später probierte er es mit angerauten Angelschnüren, heute erzeugen Flechtschnüre den Klang. „Die sind wesentlich haltbarer und ihre raue Oberfläche kann den Wind besser abfangen.“
„Musikmachen war immer der irrationale Ausgleich zu meinen Kopffächern“
Uli Krell ist ein lässiger Typ. Er trägt ein Sweatshirt mit einem Ohren-Logo, das lange weiße Haar hat er locker zu einem Zopf gebunden. Bis zum Ruhestand war er Physik- und Mathelehrer, sein ganzes Berufsleben lang am Überwald-Gymnasium in Wald-Michelbach. „Musikmachen war immer der irrationale Ausgleich zu meinen Kopffächern“, sagt er. „Sie ging bei mir immer über den Bauch.“ Mit dem Klangwanderweg konnte er seine Leidenschaften verbinden: Denn auch beim Bau der Objekte wendet er physikalische und mathematische Methoden an. Er macht Messreihen, testet zum Beispiel, wie sich Materialstärke oder Durchmesser auf den Klang auswirken. Krell hat sogar Formeln aufgestellt. Und immer wieder etwas dazugelernt: „Der Schulphysiker in mir war überzeugt davon, dass Klangröhren, die doppelt so lang sind wie baugleiche Modelle, die halbe Frequenz haben, also eine Oktave tiefer sind.“ Doch er stellte fest, dass es gleich zwei Oktaven ausmacht. Warum das so ist, dafür hat er noch keine naturwissenschaftliche Erklärung gefunden. Auch dass der Ton höher wird, je größer der Durchmesser eines Klangrohres ist, bemerkte er in seinen Experimenten. Gerade weil die dicksten Gitarrensaiten am tiefsten sind, war er zunächst vom Gegenteil ausgegangen.
Der Rundwanderweg führt über eine Anhöhe, die den Blick freigibt auf Krells Geburtsstädtchen Groß-Bieberau in der Ferne. Er liebt seine Wandertour nicht nur wegen der Klänge – auch wegen des Blicks auf die Landschaft, wegen des Waldes und der geologischen Gegebenheiten. Hier finden sich erst Sandstein-, dann Granitfelsen. Und kurz hinter dem Ortsrand von Hammelbach entspringt die Weschnitz, dort plätschert Quellwasser aus zwei Holzrinnen in einen Teich, der von herabgefallenen, bei jedem Schritt raschelnden Blättern umgeben ist. Geräusche und Klänge lauern überall.
Der Odenwald umgarnt seine Besucher an diesem Tag mit allen erdenklichen Herbstfarben: mit goldenem Gelb, sanften Grüntönen und kräftigem Orange-Rot. Von der Anhöhe aus geht es in den Wald. Am Wegesrand erscheint der Röhrenglocken-Achtklang – ein Objekt mit acht der Größe nach aufgehängten Klangröhren, dessen Name gleichzeitig für Achtsamkeit steht. Von hier aus geht der Weg weiter durch einen Wald, der nicht bewirtschaftet wird.
Spätestens alle 14 Tage begibt sich Uli Krell auf „Inspektionstour“ mit dem Fahrrad. Hier und da ist immer etwas zu reparieren. So auch bei dieser Wanderung: Eine der Eichenplatten der Wald-Marimba tanzt sprichwörtlich aus der Reihe. Er packt sofort an, richtet die Befestigung wieder – und schon stimmt er südamerikanische Rhythmen auf heimischen Hölzern an. Hinter den Eichen-Klangkörpern führen Resonanzrohre in eine Granitplatte. Als Krell diese Station plante, fragte er einen Förster um Rat. Der sorgte nicht nur dafür, dass wenig später die schwere Granitplatte für die neue Klangstation bereitstand – sondern auch, dass mithilfe von Stromaggregat und schwerem Gerät die entsprechenden Löcher dort hineinkamen.
An einer weiteren Station sind an einem Xylophon unterschiedliche Hölzer angebracht: „Der Ton hängt von verschiedenen Faktoren ab, darunter die Geometrie“, erklärt Krell. „Also davon, wie lang, breit oder dick ein Klangkörper ist.“ In diesem Fall sind die Maße alle gleich, nur das Material ist unterschiedlich: Birne, Esche oder Lerche etwa. Krell präsentiert die unterschiedlichen, eher stumpfen Töne, die mehr Geräusch sind als Musik. „Eiche ist nicht wirklich ein Klangholz“, erklärt der Experte. „Die Fichte klingt viel heller, weil sie viel mehr schwingt.“ An mehreren Stationen, so wie hier am Xylophon, können Wanderer rasten, auf Bänken Platz nehmen und sich den Klangstationen ganz in Ruhe widmen. Unterwegs lädt außerdem die Waldgaststätte Alt-Lechtern zum Einkehren ein.
Das Budget für den Klangwanderweg ist überschaubar, auch bei der Materialsuche zeigt sich Uli Krell deswegen kreativ: Die Köpfe der Schlägel baut er aus Hundespielbällen oder Sektkorken. Die Windleier besteht aus einem Stück Kaminrohr. Und an der großen Überwald-Glocke mit ihrem mächtigen Klangkörper aus Aluminium sorgt das Rad eines Kinderwagens für den tiefen Ton. Körper aus Messing klängen zwar noch schöner, findet Krell. Aber die würden hier draußen wohl schnell gestohlen. Seine Begeisterung für Klänge gibt er auch an Kinder weiter: Bei einem Ferienprogramm hat er Klangobjekte mit ihnen gebaut, die in Hammelbachs Dorfmitte stehen und den Start des Wanderwegs markieren.
Überhaupt hält der pensionierte Lehrer nicht viel von Ruhestand: Seine neuesten Klangstationen mit Objekten, die nicht wetterfest sind – etwa ein Klangstuhl, auf dessen Rückseite Saiten gespannt sind – befinden sich nun im Café am Markt in der Ortsmitte. Aber auch draußen wächst der Wanderweg. Als nächstes plant er die „Hammelbacher Kerscheglocke“: Dafür will er viele kleinere Glöckchen in einen Kirschbaum hängen. Wie laut diese dann bimmeln – das entscheidet allein der Wind.
Hans-Georg und Johannes Vleugels führen im Odenwald eine der größten Orgelmanufakturen Deutschlands.
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