Wo die Wasserbüffel grasen

Im Naturschutzgebiet Erlache bei Bensheim sind im Sommer ganz besondere Landschaftspfleger unterwegs: Wasserbüffel. Der Förderkreis Große Pflanzenfresser im Kreis Bergstraße will die hier ausgestorbenen Tiere wieder ansiedeln. Denn sie sorgen für offene Landschaften, gesündere Böden und mehr Artenvielfalt.

Ein mächtiges Tier. Gut 1,50 Meter hoch, über 500 Kilogramm schwer, mit zotteligem Fell und ausladenden Hörnern. Es steht zwischen wogenden Gräsern, die Beine verschwinden vollständig darin. Es steht still, nur der Kiefer ist in ständiger Bewegung. Kaut und kaut wieder. Auf dem Rücken landet ein Star und pickt im Fell herum. Die Wasserbüffelkuh lässt es geschehen.

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Ein ungewöhnlicher Anblick: Wasserbüffel im südhessischen Ried.

Eine Szene wie aus einer Tierdokumentation über Asien. Doch wir sind in Südhessen. Im Naturschutzgebiet Erlache bei Bensheim. „He, Chefin!“, ruft Gernot Heuser. Gemeinsam mit seiner Frau Beate Dillmann betreut er die großen Tiere. Als Antwort bekommt er ein tiefes, knarzendes Grunzen. Die mächtige Wasserbüffelkuh setzt sich gemächlich in Bewegung. Der Star fliegt davon. Sie geht direkt auf Heuser zu, der eine dicke Karotte in der Hand hält. Sie nimmt das Gemüse und kaut genüsslich. Sie kennt Heuser, vertraut ihm. Den fremden Besuch daneben beäugt sie misstrauisch. Sie ist die Chefin hier, verantwortlich für die kleine Herde von fünf Wasserbüffeln, die hier grast. Ein Männchen, drei Weibchen, ein Jungtier. Sie nimmt ihren Job ernst.

Beate Dillmann und Gernot Heuser kümmern sich um die kleine Herde.

Seit 2014 grasen in Südhessen wieder Wasserbüffel. Wie vor mehreren zehntausend Jahren. Bis zur letzten Eiszeit waren sie hier in Mitteleuropa heimisch, dann wurde der europäische Wasserbüffel ausgerottet. Durch Klimaveränderungen oder durch den Menschen – ganz sicher ist sich die Forschung da nicht. Sicher ist: Seit die großen Pflanzenfresser verschwunden sind, zu denen auch die Auerochsen gehören, klafft eine Lücke in unserem heimischen Ökosystem. Der Förderkreis Große Pflanzenfresser im Kreis Bergstraße will das ändern und die großen Tiere wieder ansiedeln.

Was sie bewirken können, zeigt sich an der Erlache – obwohl das Revier der fünf Wasserbüffel nur vier Hektar groß ist. Statt einer einheitlichen Wiese sind unterschiedliche Graslandschaften entstanden. Vorne ist die Wiese fast komplett niedergetrampelt. Hier wachsen kleine, bodenbedeckende Pflanzen. Weiter hinten steht das Gras hüfthoch. Ein Wassergraben fließt durch den eingezäunten Bereich, der durch viele Büsche und Sträucher fast unzugänglich ist. Die fünf Wasserbüffel haben bereits einige Schneisen geschlagen und sorgen dafür, dass mehr Sonnenlicht hindurchdringt. Mittlerweile wachsen hier über 100 verschiedene Pflanzensorten, wie ein Experte im Auftrag des Vereins herausfand. „Das entwickelt sich hochdynamisch. Bei fast jedem Besuch entdecken wir neue Pflanzen“, erzählt Gernot Heuser. Wie die Schwertlilien am Rand der Weide und sogar Orchideen. „Und es gibt so viele Libellen, ich habe noch nie so viele verschiedene Libellen gesehen!“, fügt Beate Dillmann hinzu. Wie auf Verabredung surrt eine knallrote Feuerlibelle vorbei.

Bei fast jedem Besuch entdecken wir neue Pflanzen

Gernot Heuser

Gernot Heuser hat das Projekt mit initiiert. Ausgangspunkt war das Schwerpunktbezogene Integrierte Ländliche Entwicklungskonzept, kurz SILEK, in Grasellenbach – bei dem auch die Bürger aufgefordert waren, Ideen für die Gemeinde zu entwickeln. Heuser engagierte sich im Arbeitskreis Natur und Landschaft. Schon als Kind war er ständig draußen, beobachtete Tiere und begann sogar, Feuersalamander zu züchten. Seit Jahrzehnten setzt er sich für den Umwelt- und Naturschutz ein. Die Auswirkungen, die der Klimawandel und die intensive Landwirtschaft auf die Artenvielfalt haben, sorgen ihn seit langem. „Und ich bin immer dafür, dass man zunächst vor der eigenen Haustür anfängt, etwas zu ändern.“ Der Arbeitskreis diskutierte Ideen, wie die Landschaft rund um Grasellenbach offen gehalten werden kann. Denn der Wechsel zwischen Wiesen und Wald ist typisch für die Region. Doch gerade feuchte Wiesen oder steile Hänge drohen zu verbuschen und unter Brombeerhecken zu verschwinden.

Wasserbüffel lieben feuchte Gebiete.

Heuser brachte die Wasserbüffel ins Spiel. Weil sie feuchte Gebiete lieben und keine Kostverächter sind. „Die fressen auch Brennnesseln und machen Brombeerhecken nieder“, sagt Heuser. Ihre Fußstapfen sind breit und tief, bilden im Frühjahr ideale kleine Tümpel für Amphibien und schaffen Freiflächen. Genauso groß sind ihre Hinterlassenschaften – ein Paradies für Insekten wie Mistkäfer. Und wenn es mehr Insekten und wirbellose Tiere gibt, kommen auch mehr Amphibien, Reptilien und Vögel, die sich von diesen ernähren. Gernot Heuser deutet in südliche Richtung. „Da hinten im Schilf brütet der Laubsänger.“ Immer wieder hält er im Gehen inne, lauscht auf Vogelstimmen. „Da, das war ein Zilpzalp“, sagt er dann, oder: „Hören Sie? Eine Nachtigall!“ Um seinen Hals baumeln ein Fernglas und eine Kamera. Er trägt eine lange Arbeitshose und Handschuhe – trotz der heißen Temperaturen. Immer bereit für eine Safari ins Dickicht.

2013 gründete Heuser gemeinsam mit Mitstreiter:innen den Förderkreis Große Pflanzenfresser im Kreis Bergstraße. Vorsitzender ist Claus Kropp, der das Freilichtlabor Lauresham auf dem Klostergelände in Lorsch leitet. Er betreut auch ein Projekt zur Rückzüchtung des Auerochsen, der im 17. Jahrhundert ausgestorben ist. Auch Beate Dillmann ist Mitglied im Verein. „Das hätte ich auch nicht gedacht, dass ich mich mal für so große Tiere begeistern kann“, sagt sie. Seit ihr Mann sie einmal zu einer Konferenz über Biodiversität mitgenommen hat, engagiert auch sie sich leidenschaftlich für den Naturschutz. „Das hat mich wachgerüttelt – wir können einfach nicht mehr weiter so mit unserer Erde umgehen, wie wir das momentan tun.“

Keine Angst, aber Respekt sollten Besucher:innen vor den Wasserbüffeln haben.

Anfangs, erzählt sie, habe sie sich immer hinter Gernot Heuser versteckt. Der Respekt vor den Tieren war groß. Doch ihre gemächliche Art, die Ruhe, die sie ausstrahlen, beeindruckte sie. Beate Dillmann betrachtet die Herde, ihr Blick bleibt am Kalb hängen, das nicht von der Seite ihrer Mutter weicht. „Das ist Wilma. Wir waren in der Nacht dabei, als sie geboren wurde.“ Noch heute ist ihrer Stimme die Aufregung von damals anzuhören. Sie reparierten gerade einen Zaun, als Büffelkuh Gina anfing, sich komisch zu verhalten. „Etwa zwei Stunden später war Wilma da. Ganz ohne unsere Hilfe. Wir haben nur beobachtet.“ Sie lächelt.

Kalb Wilma ruht sich im Schatten aus – Mutter Gina passt auf.

So friedlich wie im Moment sind die Tiere jedoch nicht immer. „Wenn ihnen etwas nicht passt, sollte man sich schon in Acht nehmen“, sagt Beate Dillmann. Ein Grund, weshalb eine richtige Auswilderung in Südhessen nicht geplant ist. „Das Gebiet ist viel zu dicht besiedelt, das würde nur zu Konflikten führen“, sagt Gernot Heuser. Mehr als ohnehin schon. Denn nicht alle waren zu Beginn begeistert von dem Projekt. Jäger fürchteten, dass die großen Tiere das Wild vertreiben. Andere Naturschützer, dass sie Laichgründe für Amphibien zerstören. 

„Wir können einfach nicht mehr weiter so mit unserer Erde umgehen, wie wir das momentan tun“, davon ist Beate Dillmann überzeugt.

Sechs Jahre später haben sich die Wogen geglättet. Immer mehr setzt sich die Einsicht durch, dass die Wasserbüffel gut in diese Landschaft passen, die heimische Tier- und Pflanzenwelt eben nicht stören, sondern bereichern. Im Winter sind sie in Hüttenfeld, im Sommer in Bensheim – damit sie keine Weide komplett abgrasen. „Wir wollen auch die Bevölkerung wieder in Kontakt bringen mit den Tieren“, erklärt Gernot Heuser. Das ist hier, im Naturschutzgebiet, allerdings nicht so einfach. „Aber auf Nachfrage bieten wir gerne Führungen an.“

Streicheltiere sind die Wasserbüffel nicht – für Gernot Heuser macht die Chefin jedoch eine Ausnahme.

Von den rund 15 Vereinsmitgliedern, die sich abwechselnd um die Tiere kümmern, hat Gernot Heuser das beste Verhältnis zu den Büffeln. Wenn er auf der Wiese steht, kommt auch mal die Chefin zu ihm und legt den Kopf an seinen Bauch. Eine Aufforderung zum Streicheln, der er gerne nachkommt. „Sie sind uns schon ans Herz gewachsen“, sagt er. „Wir könnten uns nicht mehr von ihnen trennen.“

Heuser hofft, dass die kleine Herde bald noch mehr Fläche beweiden darf. Und vielleicht noch Zuwachs bekommt. Er deutet Richtung Baggersee, in dem noch Kies abgebaut wird. „Wenn das Werk stillgelegt wird, könnte ihr Revier bis zum See gehen und weiter bis zum Wald.“ 30 Wasserbüffel könnten hier dann grasen, träumt er weiter, vielleicht auch noch andere Rinder oder Pferde. Und gemeinsam für eine ursprüngliche, vielfältige Landschaft sorgen.


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