Ein außergewöhnliches System sorgt in der Südpfalz für ein Naturschauspiel: Dann werden die Queichwiesen rund um Bellheim nach einer jahrhundertealten Tradition bewässert, die inzwischen sogar zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit zählt. Und das Areal in das größte Brutgebiet für Störche in Rheinland-Pfalz verwandelt.

Ein paar Handgriffe nur und schon hat Pirmin Hilsendegen als zuständiger Wasserwart die kleine Schließe geöffnet. Beherzt zieht er an einem der Schieber und schon sprudelt das Wasser los. Fließt in Strudeln, die die Wasseroberfläche kräuseln und bewegen. Es aber in sich haben: Wer hier in einen der Kanäle fallen würde, käme so leicht nicht mehr hinaus. Denn die Wasserströme haben zwar etwas Beruhigendes, ja Sanftes – dabei aber eine unerwartete Kraft. 

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Die Queichwiesen: Unser Video zeigt den Zauber des Naturparadieses.

Pirmin Hilsendegen ist an diesem Morgen mit Esther Grüne unterwegs. Gemeinsam laufen sie vorbei an Mühlen, gefluteten Grünflächen und Wäldern auf einem Teil des Queichwiesenrundwanderwegs, auf dem man ein wunderschönes Stück Natur erkunden kann – und dabei einiges über die Geschichte der Südpfalz lernen.

Der ehemalige Biologielehrer Pirmin Hilsendegen ist vor allem viel an den „Wässertagen“ im Einsatz. Foto: Julian Beckmann

Kaum ein Zweiter dürfte diese Gegend so gut kennen wie er: Geboren 1958 in Ottersheim, ist der heute inzwischen pensionierte Gymnasiallehrer in einer Familie aus Landwirten aufgewachsen. „Mein Vater ist in meiner Kindheit noch mit zwei Kühen hier aufs Feld gefahren“, erinnert sich Pirmin Hilsendegen. In den 1970er Jahren allerdings sei die Milchwirtschaft immer weniger ertragreich geworden. Und mit jedem Hof, der verschwand, auch Wissen verloren gegangen – nicht zuletzt das über die Queichwiesenbewässerung.

Wunderschön schimmert das klare Wasser der Queich. Foto: Julian Beckmann

„Deshalb haben wir 1996 unsere Interessengemeinschaft gegründet, um das Bewässerungssystem wieder zu pflegen“, erzählt Hilsendegen, der regelmäßig Infoveranstaltungen und Führungen organisiert, aber auch bei den sogenannten „Wässertagen“ mithilft. Unter Federführung der Gemeinde Ottersheim kämen Landwirte, Naturschützer und Vertreter der Kommunen entlang der Queich in der Interessengemeinschaft zusammen. Gemeinsam mit Esther Grüne, der Geschäftsführerin der VG Bellheim, hat er den Queichwiesen-Rundwanderweg mitentwickelt. Sie starten an der Oldtimerscheune in Ottersheim, die zu einer von sieben Ortschaften gehört, in deren Gebieten sich das alte Bewässerungssystem erhalten hat: Rund um Hochstadt, Zeiskam, Lustadt, Landau, Offenbach, Knittelsheim, Bellheim und eben Ottersheim werden regelmäßig Wiesenflächen bewässert. Nur mit Hilfe von Stauwehren und Kanälen. Der Schwerkraft sei Dank.

Pirmin Hilsendegen und Esther Grüne laufen zunächst zum Ottersheimer Teilungswehr, das seit dem 18., womöglich schon seit dem 16. Jahrhundert existiert: „Es sorgt dafür, dass der Spiegelbach dauerhaft Wasser hat“, sagt der ehemalige Biologie- und Theologielehrer, für den die Queichwiesenbewässerung Ökologie und Kulturgeschichte zusammenbringt. „Schon die Römer kannten diese Technik.“ Nicht weit von hier entfernt betrieben die Kurfürsten mit Friedrichsbühl ein großes Wasser- und Jagdschloss im Bellheimer Wald – von dem sich allerdings nur Ruinen erhalten haben. Und das imposante Eingangstor, das heute Teil des Historischen Museums der Pfalz in Speyer ist – eines Tages, so der Plan, könnte Augmented Reality vielleicht dabei helfen, seine einstige Größe zumindest virtuell wieder erlebbar zu machen. Bis dahin erinnert zumindest die Weite der Wüstung daran, dass die Pferdewirtschaft ein wichtiger Faktor war, um das Bewässerungssystem zu entwickeln: Um nicht nur die Erträge der Bauern, sondern eben auch das Futter der kurfürstlichen Militärpferde zu sichern, war in der Kurfürstenzeit das System der Staugraben-Berieselung ausgebaut worden: Mit Hilfe von Wehren wird dafür der Wasserspiegel der Queich an festgelegten „Wässertagen“ im April und Mai sowie im Juli und August angehoben. Das Wasser aus dem Bach fließt daraufhin – durch ein leichtes Gefälle – in Bewässerungsgräben. Schließen sorgen dann dafür, dass sie nach einer Weile überlaufen. Das Bachwasser tritt über die Ufer und fließt in die Wiesen hinein. 

„Das, was sich hier abspielt, ist gelebte Physik“

Esther Grüne

So entstünde ein Mosaik aus kurzzeitig überstauten, feuchten und weniger feuchten Flächen, in dessen Folge unzählige Störche die Wiesen bevölkern. „Für sie gibt es hier optimale Futterbedingungen“, erklärt die Tourismusbeauftragte. „Mein Zuständigkeitsbereich verwandelt sich dadurch regelmäßig in die Eckkneipe badischer und elsässischer Rotbeine“, sagt sie lachend. 1973 sei der letzte Storch in der Region gesichtet worden. „Dann ist 1997 ein großes Wiederansiedlungsprojekt gestartet – inzwischen brüten hier wieder an die 90 Paare, die auch aus Baden und Frankreich zu uns herüberkommen.“

An der Queich brüten unzählige Storchenpaare. Foto: Julian Beckmann

Wer auf eigene Faust die Queichwiesen entdecken will, kann auch im Rheinland-Pfälzischen Storchenzentrum in Bornheim starten. Hier wird nicht nur einiges über die langbeinigen Tiere erklärt, sondern anhand eines interaktiven Modells auch die Bewässerungstechnik gezeigt. Der neun Kilometer lange Queichwiesen-Rundwanderweg beginnt am Bellheimer Friedhof. Los könnte es aber auch an der Oldtimerscheune in Ottersheim, an der Zeiskamer oder Knittelsheimer Mühle oder über die „Queichwiesen-Schleife“ ab dem Schützenhaus Bellheim gehen. Wer an den „Wässertagen“ startet, sollte wasserfeste Schuhe tragen – denn feucht wird es dann nicht nur auf den Wiesen, sondern immer mal wieder auch auf den Wegen. „Die beste Zeit zum Wandern und Störche beobachten ist ab Ende Juni, weil dann meist auch die Wiesen gemäht wurden“, erklärt Grüne. Allerdings sei ein gewisser Abstand zu den Tieren wichtig.

Wer mag, kann seine Tour auf dem Queichwiesenrundwanderweg an der Oldtimerscheune in Ottersheim starten. Foto: Julian Beckmann

Mit ihren langen Beinen staksen an diesem Morgen einige Störche auf den Wiesen umher, die voller Regenwürmer, Insekten, Mäuse, Maulwürfe und Frösche stecken. „Auf den wechselfeuchten Arealen werden auch seltene Insektenarten gesichtet, wie etwa der Dunkle Wiesenknopf-Ameisenbläuling oder die Lauchschrecke“, sagt Pirmin Hilsendegen. Die Queichwiesen sind ein Vogelschutzgebiet, in dem sich aber auch so seltene Pflanzen wie der Röhrige Wasserfenchel finden lassen. Rund 450 Hektar groß ist die Fläche insgesamt, die zwischen Landau und Germersheim für die Bewässerung genutzt wird. Der Rundwanderweg erschließt einige schöne Stationen davon, führt an vielen Wasserläufen, aber auch Mühlen vorbei. In einem System, das seit 2023 nun sogar zum Immateriellen Kulturerbe der Menschheit gehört. „Die UNESCO hat das Südpfälzer System mit vergleichbaren Projekten in Franken, Österreich, der Schweiz, Italien, Luxemburg, Belgien und den Niederlanden ausgezeichnet“, erzählt Esther Grüne, die die Region „ganzheitlich“, wie sie sagt, bekannter machen will. Über Gemeinde- und Landkreisgrenzen hinaus. Schließlich bringe das einzigartige Bewässerungssystem Tradition und Zukunft zusammen. Naturschutz und Geschichte.  


www.queichwiesen.de

www.queicherleben.de

Infos zum Queichwiesenrundwanderweg gibt es hier.

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