Einst drehten sich im Erfatal die Wasserräder von 17 Mühlen, vier davon alleine in Hardheim. Heute ist in dem Ort im fränkischen Odenwald nur noch die Steinemühle in Betrieb. Ein Vorfahr von Jasmin Brauch erwarb sie vor mehr als 300 Jahren für 600 Gulden. Die junge Müllerin bleibt der Familientradition auch im 21. Jahrhundert treu – und erhält so eines der ältesten und wichtigsten Handwerke der Menschheit.

Es dröhnt und rauscht und rattert und klackt. Die hölzernen Dielen unter Jasmin Brauchs Füßen beben. Die junge Frau muss schreien, damit man sie versteht, denn die Steinemühle läuft gerade auf Hochtouren. Sie vermahlt die goldgelben Körner des Weizens zu schneeweißem Mehl. Und das ist ziemlich laut. „Manchmal arbeite ich mit Gehörschutz“, ruft die junge Frau über den Lärm hinweg. Die glatten, braunen Haare hat sie zu einem losen Knoten zusammengebunden. Ihr T-Shirt ist von demselben Hellblau wie die Mehlsäcke, die überall gefüllt an den Wänden lehnen oder noch leer über Geländern hängen. Jasmin Brauch ist Müllerin in zwölfter Generation.

Jasmin Brauch kennt das Dröhnen der Mühle von Kindesbeinen an – und setzt die Familientradition nun fort.

Das Dröhnen der Mühle kennt sie schon von Kindesbeinen an. Sie ist in dem Wohnhaus aufgewachsen, das an die Mühle grenzt, und lebt dort noch heute. Aus dem Wohnzimmer geht es direkt in den kleinen Mühlen-Laden, in dem Brauch und sieben Mitarbeiter:innen neben ihren eigenen Produkten auch Nudeln, Müsli und weitere Koch- und Backzutaten verkaufen. Mehr als 300 Jahre ist es her, das Johann Adam Müller, einer von Brauchs Vorfahren, die Steinemühle kaufte. Mindestens zwei Generationen lang hatten die Müllers den Betrieb in Hardheim damals schon als Pächter bewirtschaftet. Den Originalkaufvertrag hütet die Familie bis heute. Zum ersten Mal erwähnt wurde die Mühle im Jahr 1322. Einst nutzten in dem Ort im fränkischen Odenwald vier Mühlen die Kraft der Erfa. Heute ist nur noch die Steinemühle in Betrieb. Nur der Mühlenweg, der auf 14 Kilometern zu elf historischen Mühlenstandorten im Erfatal führt, zeugt noch von der Bedeutung, die das Handwerk entlang des kleinen Flüsschens einst hatte.

Mehr als 300 Jahre ist es her, dass Johann Adam Müller, einer von Brauchs Vorfahren, die Steinemühle kaufte.

Auch an der Steinemühle kommt der Weg vorbei. Im Laufe der Jahrhunderte hat sie sich immer wieder verändert: Gebäude wurden abgerissen und neu gebaut. Die beiden hölzernen Mühlräder erst durch ein eisernes, später durch zwei Turbinen ersetzt. Während des Zweiten Weltkriegs brannten zahlreiche Wirtschaftsgebäude ab – die Mühle selbst und das Wohnhaus blieben verschont. „Eigentlich ist nichts mehr original“, erzählt Frank Müller, der den Betrieb vor gut 20 Jahren übernahm und noch immer leitet. Dass er einmal Müller werden würde, stand außer Frage. Bei seiner Tochter reifte die Entscheidung etwas länger. Nach der Realschule war sie noch unsicher, doch nach zwei Jahren Berufskolleg fiel der Entschluss. „Ich hätte es schade gefunden, wenn niemand den Familienbetrieb übernimmt“, sagt die junge Frau. Im Februar 2023 schloss sie den Meisterkurs ab. Sie mag die Arbeit mit dem Getreide, einem Naturprodukt, auf das man sich immer wieder neu einstellen müsse: „So wie das Wetter jedes Jahr anders ist, ist auch die Ernte jedes Jahr eine andere und man muss unterschiedlich mit ihr umgehen.“

Dieses Jahr habe es während der Ernte zum Beispiel geregnet. Manche Körner fingen daher schon auf dem Weg zur Mühle an zu keimen. „Die können wir nicht mehr vermahlen“, erklärt Brauch. „Sie eignen sich nur noch als Tierfutter.“ Heute bringt ein Landwirt Wintergerste. Erst rieseln die Körner langsam aus der Seitenklappe des blauen Hängers, dann immer schneller. Bis sie mit einem einzigen Schwung durch das Gitter am Boden rauschen und eine Staubwolke über der Gosse hinterlassen. Gosse, ja, so heißt der riesige Trichter unter dem Gitter wirklich, in dem die Körner ihre Reise durch die Mühle beginnen.

Ich hätte es schade gefunden, wenn niemand den Familienbetrieb übernimmt

Jasmin Brauch

Erste Station: die Reinigung. Die übernimmt eine Maschine, die in der Scheune neben der Annahme bis knapp unter den hölzernen Dachstuhl reicht. Mit Hilfe von Sieben und Luft befreit sie das Getreide von Strohresten, Spelzen und Bruch. Durch ein Fenster am Giebel fällt milchiges Licht auf die Rohre, die oben in das Gerät hinein und unten wieder heraus führen. Heute steht das Gerät still. Aber auch hier ist der Lärmpegel manchmal ziemlich hoch. „Erbsen sind sehr laut“, erzählt Brauch. „Raps dagegen eher leise.“

Die junge Müllerin mag die Arbeit mit dem Getreide.

Das saubere Getreide wandert in die Silos und die Halle neben der Scheune. Etwa 5000 Tonnen kann Familie Müller dort lagern. Die werden nach und nach verkauft oder vermahlen. Über ein Förderband laufen die Körner quer über den Hof zur Mühle, die sich direkt an den Mühlen-Laden und das Wohnhaus anschließt. Früher drehten sich dort die Mühlsteine. Heute zerreiben die stählernen Zylinder der Walzenstühle das Getreide. Auch hier kommen zahlreiche Rohre aus der Decke und laufen in die Maschinen hinein. Durch sie werden die Körner zwischen die Walzen gesaugt, immer und immer wieder. Bis zu 20 Runden dreht das Getreide durch die drei Stockwerke der Mühle. Im mittleren siebt der sogenannte Plansichter – je nach gewünschtem Produkt – immer mehr Teile der Schale ab. Je heller das Mehl, desto weniger Schale bleibt drin und desto niedriger ist die Nummer (also zum Beispiel Typ 405). Die dunkleren Mehle (etwa Typ 1050) enthalten nicht nur mehr Schale, sondern auch mehr Mineral- und Ballaststoffe.

Neun Tonnen Getreide werden hier am Tag gemahlen.

Neun Tonnen Getreide schafft die Steinemühle am Tag – wenn alles glatt geht. Beim Weizen gebe es am wenigsten Probleme, erzählt Brauch. „Da läuft die Mühle auch mal drei Stunden allein.“ Spätestens dann muss die Müllerin aber nach dem Rechten sehen und sicherstellen, dass noch alles rundläuft. Dinkel und Roggen seien klebriger und brächten die Mühle schneller zum Stillstand, berichtet sie. Verschlossen werden die Mehltüten noch von Hand. Bäckereien beliefert der Betrieb auch mit einem Silo-Lkw.

Verschlossen werden die Mehltüten in der Steinemühle noch von Hand.

Auf lange Sicht will Jasmin Brauch die Mühle gerne modernisieren – damit sie nicht 16 Stunden am Tag laufen muss, um mit dem Mahlen hinterher zu kommen. Dabei hatte das Dröhnen der Walzenstühle für die junge Müllerin schon immer auch etwas Beruhigendes. „Wenn Jasmin und ihre Schwester als kleine Kinder abends im Bett lagen und die Mühle stand still, fragten sie sofort, was los ist“, erzählt ihr Vater. Wenn es irgendwann nach seiner Tochter geht, werden nächste Generationen sicher lernen, auch ohne das allgegenwärtige Brummen einzuschlafen.


www.steinemuehle.de

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