In der Nähe von Osterburken wird ein mittelalterliches Dorf nachgebaut, mit viel Liebe für historische Details. Doro Braun-Zeuner will dort ihr Wissen weitergeben – und aufräumen: mit Vorurteilen über das angeblich so dunkle Zeitalter.

Die wertvolle Kost verbirgt sich hinter einer braunen Schale. Doro Braun-Zeuner greift in den Korb mit den länglichen trockenen Schoten und bricht eine davon mit den Fingern auf. Hellgrüne Dicke Bohnen verstecken sich darin: wichtige Eiweißlieferanten in einer Zeit, in der Mahlzeiten häufig karg ausfielen. Den Korb daneben füllen kleine Schalotten, die Ernte dieses Jahres war also kein Reinfall. Auch wenn der Quittenbaum vertrocknet, auch wenn der Wein erfroren ist.

Doro Braun-Zeuner ist eine mittelalterliche Bäuerin – zumindest an vielen Wochenende im Jahr.

An vielen Wochenenden im Jahr ist Doro Braun-Zeuner hier Bäuerin. Von Montag bis Freitag arbeitet sie zwar in einer Behinderteneinrichtung. Wenn sie und ihr Mann aber ins Auto in Richtung Bauland steigen, reisen sie nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit. Dann begeben sie sich zurück ins Mittelalter, in den Histotainment-Park Adventon bei Osterburken, in dem ihr Häuschen mit den Weinranken steht, daneben das kleine Ackerstück. Sie bewirtschaften es nur mit Hacke und Spaten, sie säen dort nur Pflanzen, die hier auch schon vor vielen Jahrhunderten Wurzeln geschlagen hätten. „Manchmal geben mir Leute den Rat, Kartoffeln zu pflanzen – die würden den Boden auflockern. Aber das geht nun mal nicht“, sagt Doro Braun-Zeuner schulterzuckend. Die stärkehaltige Knolle fand schließlich erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts den Weg nach Europa.

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Rund 80 Personen zählen zu den Pächtern, die wiederum eine bunte Gemeinschaft bilden: Familien und Einzelpersonen, Menschen mit einer handwerklichen Ausbildung oder einem wissenschaftlichen Hintergrund. Gemeinsam bauen sie auf sieben Hektar die Lebenswelten der Epoche nach – mit den Werkzeugen, Methoden, Materialien von früher. Möglichst authentisch soll das geschehen, nicht so folkloristisch wie auf Mittelaltermärkten. Besucherinnen und Besucher können den Siedlern jeden Samstag, Sonntag und Feiertag zwischen April und Ende Oktober dabei zusehen. Sie gehen zunächst über den Hof des Landguts Marienhöhe mit Ausstellungsräumen, Gastronomie und einer Markthalle. Ein schmaler Durchgang – das Nadelöhr – führt dann hinaus auf die Freifläche, wo der Handyempfang wacklig ist und die Vergangenheit aufersteht.

2005 legten hier die ersten Pioniere los, Doro Braun-Zeuner stieß 2007 dazu. Zunächst half sie mit beim Flechten von Zäunen oder Verlehmen von Hauswänden, 2009 übernahmen sie und ihr Mann von einem Bekannten ihr kleines Häuschen. Wer sich hier Siedler nennen und eine Fläche pachten will, muss nicht zwingend etwas bauen. Aber sie oder er muss sich beim Kurator und beim Adventon-Vorstand bewerben – und etwas mitbringen. Eine Idee, wie man sich einbringen will. Ein Thema, dem man sich widmen will.

„Andere machen Sudoku, ich mach‘ Mittelalter.“

Wenn sie sich um ihre Parzelle kümmert, wenn sie mit Besuchern ins Gespräch kommt, dann stößt Doro Braun-Zeuner immer wieder auf neue Fragen. Wie hat man das damals gemacht? Welche Lösungen hat man sich überlegt? „Was ich lerne, will ich weitergeben“, sagt sie und lacht. „Andere machen Sudoku, ich mach‘ Mittelalter.“ Wenn etwas als mittelalterlich bezeichnet wird, hat das häufig einen negativen Beigeschmack. Das Zeitalter zwischen Antike und Neuzeit gilt vielen Menschen als düster. Doro Braun-Zeuner kann mit diesem Bild nicht viel anfangen. „Das Mittelalter war auch bunt.“ Auf Festen habe man damals farbenfrohe Kleider getragen, vor allem in den Klöstern sei Wissen bewahrt und neues entstanden, auf dem die Menschheit danach aufgebaut habe.

Doro Braun-Zeuner vor ihrem kleinen Ackerstück

Von Dunkelheit kann an diesem Tag ohnehin keine Rede sein. Gleißendes Sonnenlicht fällt auf die Felder, Wiesen, Hecken und die kleinen Fachwerkhäuser. Doro Braun-Zeuner trägt trotzdem ein Gewand mit langen, hellen Ärmeln und einem selbst genähten Schlupfärmelkleid aus brauner Wolle. Mitleid sei nicht nötig, versichert sie: Die mittelalterliche Kleidung sei angenehmer als die heutige. „Echtes Leinen oder Hanf schwitzt man voll, der Schweiß verdunstet und kühlt.“

Authentisch bis ins Detail: Die Kleidung ist aus Wolle, Hanf, Leinen und Leder.

Wer hier seine eigene Parzelle besiedeln, sein eigenes Gebäude hochziehen will, bringt sich in der Regel zunächst als Freiwilliger ein. „Sonst verschätzt man sich“, sagt Doro Braun-Zeuner. Sie und ihr Mann kommen etwa alle 14 Tage hierher. Der Garten muss solange ohne sie auskommen. Drei Fässer stehen hinter dem kleinen Häuschen. „Wenn sie leer sind, sind sie leer.“ Trotzdem gedeiht einiges auf den kleinen Feldern, die bald von einer schützenden Weißdornhecke umschlossen sein sollen: Mangold und Knoblauch zum Beispiel – aber auch Pflanzen, die damals in der Textilbearbeitung zum Einsatz kamen. Färbende Kamille oder die Weber-Karde: Mit den harten Spitzen des Fruchtstands raute man früher Stoff auf.

So idyllisch und ruhig ist es in Adventon nicht immer: Einmal im Jahr wird hier auch eine mittelalterliche Schlacht nachgestellt.

Auf „Wotans Wiese“ kommen einmal im Jahr Geschichtsinteressierte aus dem In- und Ausland zusammen und stellen eine mittelalterliche Schlacht nach – natürlich ohne Tote und Verletzte. In der Siedlung stehen aber auch ein Lehmbackofen und eine Schmiede, in der Metall über dem offenen Feuer mit Hammerschlägen bearbeitet wird. Oder die Klangwerkstatt, in der Markus Kunze wie damals Leiern aus einem einzigen Stück Holz schnitzt: symmetrisch aufgebaut und mit sechs Saiten versehen. Wenn er zum Instrument greift, tröpfelt melancholische Musik durch die glaslosen Fenster ins Freie. Klänge, die jeden gleich ans Mittelalter erinnern – auch wenn man es nicht miterlebt hat. Was fasziniert ihn an dieser Zeit? „Wir gehen hier zurück zum Elementaren, wir sind entfernt von jeglicher Technik“, sagt Markus Kunze. „Man kann entspannen, zur Ruhe kommen. Das hat was.“

In der Klangwerkstatt von Markus Kunze.

Die Siedler nähern sich der Epoche nicht nur über Bücher. Vielmehr versetzen sie sich in den Alltag der Menschen, stoßen auf ihre Probleme und suchen nach Lösungen. Nicht immer ist es einfach, die Vergangenheit nachzubauen. Die Häuser deckte man damals zum Beispiel mit getrocknetem Schilf ab. Im Mittelalter wuchs es praktisch überall – heute findet man es fast nur noch in Naturschutzgebieten. Auch der Bau der früher so typischen Fachwerkhäuser aus Holzbalken und Lehmwänden steckt voller Tücken. Vom ersten Gebäude, das 2005 in Adventon gebaut wurde, ist heute nur noch das Dach übrig. „Wir sitzen hier auf Lehm“, erklärt Doro Braun-Zeuner. Die ersten Häuser sind deshalb von unten angefault. Inzwischen ruhen sie auf einem Steinfundament. Da der Zahn der Zeit unentwegt an ihnen nagt, müssen die Gebäude praktisch jedes Jahr mit einer schützenden Kalkschicht versehen werden.

„Wir gehen hier zurück zum Elementaren, wir sind entfernt von jeglicher Technik“ – so beschreibt Markus Kunze den Alltag in Adventon.

Es bleibt also immer etwas zu tun. Das ist auch der Grund, warum sie wohl noch sehr lange werkeln, bauen, ausprobieren werden, die mittelalterlichen Siedler von Adventon. Doro Braun-Zeuner sagt: „Das hier wird nie fertig sein.“


www.mittelalterpark.de

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