In der großen Welt der kleinen Bäume

600, 700 Jahre. So alt sind manche Bäume, die im Bonsai-Zentrum Heidelberg stehen. Über Jahrhunderte in Form gebracht, gestaltet als lebendige Kunstwerke. Als Edis Ziegler das Grundstück 2007 erwarb, hatte er zunächst gar nicht vor, das Zentrum weiterzuführen. Doch schnell war auch er fasziniert von der uralten japanischen Gartenkunst.  

Sobald das Tor aufgeht, umfängt Grün die Besucher:innen. Das Gelände des Bonsai-Zentrums Heidelberg ist umgeben von einer dichten Mauer aus Bäumen und Hecken. Schon auf dem Parkplatz ragt Bambus mehrere Meter in die Höhe und gibt dem Eingangsbereich sogar ein grünes Dach. Die Luft ist frisch, es ist deutlich kühler hier. Ein Ort zum Durchatmen, wenn draußen die Hitze steht. Und mitten in diesem Grün steht Edis Ziegler und sagt diesen Satz: „Ich war der Mensch mit dem kleinsten grünen Daumen der Welt.“

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„Die Bäume haben mehr zu erzählen, als wir erlebt haben“. In unserem Video spricht Edis Ziegler über die Faszination Bonsai.

2007 kaufte er das Grundstück, das zwischen Heidelberg und Edingen-Neckarhausen liegt, umgeben von Feldern. An seinem Ende ragt der Edinger Wasserturm in die Höhe. Hier hat Paul Lesniewicz in den 60er Jahren das Bonsai-Zentrum aufgebaut. Mit einem Wohnhaus und mehreren flachen Gebäuden im vorderen Teil, hinten reihen sich Gewächshäuser aneinander. Als Schüler war er einmal hier, erinnert sich Ziegler. Er kommt aus Edingen und die Grundschule dort machte regelmäßig Ausflüge in das Zentrum. Er mochte das viele Grün und die Weitläufigkeit des fast 20.000 Quadratmeter großen Grundstücks. „Als Schüler dachten wir, hier können wir uns verlaufen“, sagt er und lacht. Die Bonsai-Bäume haben ihn weniger interessiert. Auch als er das Grundstück kaufte, hatte er eigentlich ganz andere Pläne. Vielleicht ein Veranstaltungsort. Vielleicht ein Lager für Sportschuhe im Gewächshaus. Er hatte eine Ausbildung zum Sport- und Fitnesskaufmann gemacht, den Europa-Vertrieb einer Sportfirma geleitet, Unternehmen in verschiedenen Bereichen aufgebaut. „Verkaufen ist mein Ding, war es schon immer“, sagt er.

Das Bonsai-Zentrum in Heidelberg: Grün in allen Schattierungen.

Kurz nach dem Kauf rief Edis Ziegler seine Mutter an. Die wollte gerade mit Arbeitskollegen ins Kino und lachte erstmal, als er erzählte: „Ich habe ein Bonsai-Zentrum gekauft.“ Ein Kollege wollte wissen, warum sie so lachte, sie sagte es ihm und er stutzte: „Mein bester Freund hat auch ein Bonsai-Zentrum.“ Und am nächsten Tag stand Manfred Roth, der in Oppenau die Bonsai Stube betreibt, vor der Tür. „Er hat zu mir gesagt: ‚Okay, wenn du auch nur den kleinsten Ansatz eines grünen Daumens hast, dann kitzeln wir den aus dir raus‘“, erzählt Ziegler. Er erklärte ihm, welche Bedeutung das Zentrum in Heidelberg für die Bonsai-Welt hat.

Paul Lesniewicz, 1941 in Heideberg geboren, gilt als Pionier und Wegbereiter der Deutschen Szene. Fasziniert von der japanische Gartenkunst, eignete er sich viel Wissen an und veröffentlichte zahlreiche Bücher zum Thema. Das Zentrum in Heidelberg war über viele Jahre Treffpunkt für Bonsai-Enthusiasten aus ganz Europa. „Jeder, der sich in den 60er und 70er Jahren ernsthaft mit Bonsai beschäftigt hat, war irgendwann einmal in Heidelberg“, sagt Ziegler. Immer wieder standen Menschen vor dem Tor, angereist aus allen Ecken Europas, die bitter enttäuscht wieder abreisten, als sie erfuhren, dass es das Zentrum nicht mehr gab. Als ihn Manfred Roth mit nach Japan nahm, er dort Minister traf und einflussreiche Geschäftsmänner, bekam er einen Einblick in die große Welt der kleinen Bäume, die oft ein Vermögen Wert sind. „Ich habe mich immer für Kunst interessiert und bei diesem Besuch habe ich begriffen: Bonsai ist Kunst. Lebendige Kunst – geschaffen in Zusammenarbeit mit der Natur, über Jahrhunderte hinweg. Das hat mich fasziniert.“ Nach seiner Rückkehr stand der Entschluss fest: Er will das Zentrum wieder aufbauen.

Bonsai ist lebendige Kunst – geschaffen in Zusammenarbeit mit der Natur, über Jahrhunderte hinweg

Edis Ziegler

Er renovierte, baute um und im Mai 2008 feierte das Bonsai-Zentrum seine Wiedereröffnung. Seitdem hat Edis Ziegler das Zentrum Jahr für Jahr ausgebaut. Immer im Mai findet ein Frühlingsfest statt. Mittlerweile werden zwischen den uralten Miniaturbäumen auch Hochzeiten und Geburtstage gefeiert. Im Frühjahr hat Ziegler oft bis zu 20.000 Bäume auf dem Gelände stehen, die er dann Stück für Stück in die ganze Welt verkauft. „Bei mir kaufen Studenten genauso wie Scheichs“, sagt er. Die Preisspanne reicht von 34 bis zu mehreren hunderttausend Euro. Er will, dass sich jeder Bonsai-Fan hier seinen Wunsch erfüllen kann. Als seine eigene Sammlung immer beeindruckender wurde, entschied er 2019, auch das Museum des Zentrums wieder zu beleben. Gut 250 bis 300 Bäume stehen hier, dazu eine Sammlung von Suiseki, besonders geformte Steine, die wie Kunstwerke präsentiert werden. Wer genau hinschaut erkennt: es sind Landschaften in Miniaturformat. Ein Grund, warum sie oft gemeinsam mit Bonsai ausgestellt werden.

Die Tokonoma des Bonsai-Museums: In der Ausstellungsnische werden besonders schöne Bonsai oder Suiseki präsentiert.

Im Museum gibt es auch zwei Wasserbecken, in denen sich farbenprächtige Koi tummeln und eine Sammlung von asiatischen Teekannen. Von diesen Ausstellungsräumen führt eine Tür nach draußen, in ein kleines Bambuswäldchen. Ein verschlungener Pfad windet sich durch die gut acht Meter hohen Pflanzen, die so dicht stehen, dass die Sonnenstrahlen nur in schmalen Lichtpunkten hindurchdringen. Ein grüner Tunnel, der auf die Außenfläche des Museums führt. Hier präsentiert Ziegler die schönsten Bonsai seiner Sammlung.

Wandeln unter acht Meter hohem Bambus.

„Bon heißt Schale, Sai Pflanze oder Pflanzung. Ganz einfach gesagt, ist Bonsai also eine Pflanze in der Schale“, erklärt der Heidelberger. Im Prinzip eignen sich alle verholzenden Baum- und Straucharten dafür. Es gibt Bonsai-Buchen, Bonsai-Apfelbäume, Bonsai-Oliven. Sie werden entweder aus Samen oder Stecklingen gezogen oder in der Natur ausgegraben und anschließend bearbeitet. „Ich bin eigentlich ein sehr ungeduldiger Mensch“, sagt Ziegler. „Ich will am liebsten alles sofort – bei Bonsai geht das nicht. Ich musste lernen, Geduld zu haben. Nicht in Stunden oder Tagen zu rechnen, sondern in Jahren und Jahrzehnten.“

Edis Ziegler erklärt, wie man die Vorderseite eines Bonsai bestimmt. Sie neigt sich dem Betrachtenden zu.

Zwei Bonsai-Gestalter unterstützen ihn bei der Arbeit: Denis Nedić und Milan Karpíšek. Sie entwickeln die Bäume weiter und nehmen auch mal Pflanzen in Pflege, während ihre Besitzer in Urlaub sind oder kümmern sich um kränkelnde Bäume. Beide sind seit ihrer Jugend fasziniert von Bonsai. „Es gibt Grundlagen, die kann im Prinzip jeder lernen“, sagt Ziegler. „Ein Bonsai braucht eigentlich auch nur Wasser, Licht und Dünger. Aber ihn zu einem Kunstwerk zu formen, zu erkennen, was in ihm steckt: das erfordert schon auch Talent.“ Nedić erklärt es so: „Man muss die Bewegung des Baumes verstehen.“ Denn es funktioniere nicht, einem Baum seinen Willen aufzuzwingen. „Man muss mit ihm arbeiten, mit der Natur, gemeinsam“, sagt auch Karpíšek.

Gemeinsam mit der Natur ein Kunstwerk formen: So versteht Milan Karpíšek seine Arbeit als Bonsai-Gestalter.

Edis Ziegler steht nun vor seinem Lieblingsbaum. Eine Eibe. Uralt. „Vermutlich 700 Jahre.“ Er streichelt über den Stamm. „Hier sehen Sie das Totholz, hier die Saftbahn, die den Baum versorgt – und die machen hier gemeinsam einen Twist, eine Drehung. Wunderschön! Hier wurden Techniken angewandt, die wirklich nicht jeder kann.“ Er deutet auf einen Ast, der etwas nach außen zeigt. „Gerade überlegen wir, ob wir diesen Ast entfernen.“ Eine Überlegung, die im Team diskutiert wird. Seit mehreren Wochen. Bei einem Baum dieses Alters, dieses Werts, sollte jeder Schritt, jeder Schnitt wohlüberlegt sein. „Dieser Baum ist aus Japan, daran haben Generationen gearbeitet.“

Eine uralte Bonsai-Eibe: Ein Kunstwerk aus Totholz und lebendigem Grün

Für seine wertvollsten Bäume, erzählt Ziegler, habe er schon unzählige Angebote bekommen. Gerade für den Kaiserbaum, eine Eibe, die einmal dem japanischen Kaiser gehörte. „Den wollte ein Scheich kaufen, für seine Yacht. Für eine Yacht! Da geht der doch sofort ein! Das mache ich nicht.“ In Japan werden Bonsai oft zur Geburt geschenkt. „Da gestaltet eine Generation den Baum und reicht ihn dann an die nächste weiter. Und das über Jahrhunderte. Das ist lebendige Familiengeschichte. Die Bäume – die können unzählige Geschichten erzählen!“ Und einige davon will er hier in Heidelberg bewahren.


www.bonsaizentrum-hd.de

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