Einst war die Walnuss im Odenwald ähnlich wichtig wie der Apfel. Dann dezimierten Kriege den Bestand, Streuobstwiesen lohnten sich immer weniger und französische Sorten strömten auf den Markt. Die Bäume gerieten in Vergessenheit. Marion Jöst, die als Umweltberaterin bei der Gemeinde Rimbach arbeitet, will die Odenwälder:innen wieder für die Nuss begeistern – und hat dafür sogar eine neue Sorte kreiert.

An einem wolkenverhangenen Samstag im Herbst steht Marion Jöst unter dem Baum, mit dem alles begann. Mehr als 30 Jahre ist es her, dass sie die steile Wiese in Unter-Mengelbach zum ersten Mal erklomm. Sie bückt sich und klaubt eine Walnuss aus dem Gras. Für das ungeübte Auge sieht sie einfach aus wie eine Nuss. Doch für Jöst ist sie einmalig. „Eine übliche Nuss hat eine Spitze und eine Rundung – ein bisschen wie ein Hühnerei“, erklärt die kleine Frau. Ihre rotblonden Locken wippen im Wind. „Diese hier hat zwei Spitzen. Deshalb kann man sie gut erkennen – und deshalb haben wir sie zur Rimbacher Nuss gemacht.“ Jöst legt die Nuss zwischen ihre Hände und drückt kräftig zu. Es knackst. Sie pult ein Stück des elfenbeinfarbenen Inneren heraus, steckt es sich in den Mund und strahlt: „Und man kann sie sehr gut essen!“

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Die Geschichte hinter der Rimbacher Nuss – Marion Jöst erzählt sie im Video.

Mild und gleichzeitig intensiv – so schmeckt die Nuss, die Marion Jöst, Umweltberaterin bei der Gemeinde Rimbach, zur lokalen Marke machen will. Als sie sie zum ersten Mal probierte, war Jöst keine 30 Jahre alt. Damals hatte die Biologin, die im Ulfenbachtal aufgewachsen ist, ihre Stelle in Rimbach gerade angetreten. Als eine ihrer ersten Aufgaben kartierte sie die Natur in der Gemeinde. Schon auf dem Weg nach Unter-Mengelbach, einem kleinen Weiler am Fuße der Tromm, entdeckte sie ungewöhnlich viele Walnussbäume. Jöst wollte mehr wissen und fragte herum. Schließlich stand sie unter Rudi Bangerts Baum. Er erzählte ihr die Geschichte seiner Nüsse, die er bis in die 60er-Jahre hinein auf den Markt nach Weinheim gebracht hatte. Dann wollten die Händler sie nicht mehr. Mit den größeren, ölhaltigeren französischen Sorten hielten sie nicht mit.

Eine Nuss mit zwei Spitzen – daran erkennt man die Rimbacher Nuss.

Dabei war die Walnuss im Odenwald einst ähnlich wichtig wie der Apfel. Die Menschen verkauften sie bis nach Heidelberg und Frankfurt. Im Jahr 1904 wuchsen in Rimbach rund 300, in Zotzenbach 1000 der Bäume mit den tiefen Pfahlwurzeln und den kugelförmigen Kronen. Einige Jahrzehnte zuvor dürften es sogar noch mehr gewesen sein. Die Kriege Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts hatten den Bestand dezimiert. Jöst weiß das alles, weil sie seit ihrer Entdeckung in Unter-Mengelbach immer wieder zum Walnussanbau im Odenwald recherchiert hat. „Früher bestanden die Gewehrschafte aus Walnussholz“, erzählt sie. „Deshalb wurden im Deutsch-Französischen Krieg und während des Ersten Weltkriegs viele Bäume abgeholzt.“

Auch nach den Kriegen ging es für die Walnuss bergab: Plantagen breiteten sich aus, Streuobstwiesen wurden aufgegeben. Mit ihnen verschwanden nicht nur die Bäume selbst, sondern auch das Wissen, wie man richtig gute Walnüsse erntet. „Die meisten Bäume, die nach den Weltkriegen bei uns im Odenwald aufgingen, sind Wildlinge, die das Eichhörnchen vergessen hat“, erklärt Jöst. Es ist Zufall, ob die Nüsse, die an diesen Bäumen wachsen, groß oder klein sind, lecker oder nicht.

Wer gute Nüsse mit hohem Ölgehalt ernten will, legt dem Eichhörnchen besser das Handwerk.

Marion Jöst

„Wer gute Nüsse mit hohem Ölgehalt ernten will, legt dem Eichhörnchen besser das Handwerk“, rät sie. Und dann erklärt die Biologin mit Nachdruck, wie wichtig die Veredelung ist – und wie aus dem Baum von Rudi Bangert zehn veredelte Setzlinge entstanden. Jahrelang hatte Jöst sich mit den Odenwälder Walnüssen beschäftigt, als im Sommer 2020 eine Idee Form annahm. Sie kehrte zu der Wiese in Unter-Mengelbach zurück. Mit dabei: Frank Flasche, der in der „Riednuss“ in Biebesheim Walnüsse veredelt und verarbeitet. Die Nüsse von Rudi Bangert überzeugten auch den Experten und so schickte Jöst drei junge Triebe zu einer Baumschule nach Freiburg. Anderthalb Jahre später brachte die Post ein Paket: „Zehn winzige Bäumchen – die Kinder von diesem Baum!“, erinnert sich Jöst und da ist wieder dieses Strahlen. Wenn man es genau nimmt, sind die Setzlinge sogar seine Klone: Um einen Baum zu veredeln, pfropft man einen seiner Triebe auf die Wurzel eines anderen Baums. Wächst dieser sogenannte Edelreiser an, hat der Setzling dieselben Eigenschaften wie der Baum, von dem der Trieb stammt. „Das weiß heute aber fast niemand mehr“, bedauert Jöst. „Deshalb werden die Nüsse im Odenwald immer kleiner.“

Als Biologin weiß Marion Jöst, wie wichtig die Veredelung der Nussbäume ist.

Sie aufzulesen, sollte sich trotzdem lohnen. Davon ist die Biologin überzeugt – und hat zusätzlich zur neuen lokalen Sorte noch eine andere Aktion ins Leben gerufen. Als sie am späten Vormittag am Rimbacher Unverpacktladen ankommt, haben die Wolken sich verzogen. Im Sonnenschein hinter dem Laden hat sich eine kleine Schlange gebildet. Einmal im Jahr können die Menschen aus Rimbach und den umliegenden Orten hier ihre Walnüsse abgeben. Pro Kilogramm zahlt Peter Gruber 1,50 Euro. Er ist Leinbauer und Ölmüller im benachbarten Lörzenbach und verarbeitet die Nüsse zu Öl, Pesto und Mehl. Die fertigen Produkte verkauft Susanne Scheller im Unverpacktladen. Das hochwertige und durchaus kostspielige Öl sollte man auf keinen Fall erhitzen. „Es ist das ideale Öl für Feldsalat“, findet Marion Jöst.

Im Rimbacher Unverpacktladen gibt es die Rimbacher Walnüsse zum Knabbern, aber auch als Mehl, Öl und Pesto.

530 Kilogramm Nüsse nimmt Peter Gruber in diesem Jahr mit – etwas weniger als in den Jahren zuvor. Der feucht-warme Sommer hat den Bäumen zugesetzt. Eigentlich gilt die Walnuss, die die Römer vor 2000 Jahren vom Mittelmeer in den Odenwald brachten, als klimafest. Ursprünglich stammt sie wohl aus dem Nahen Osten. Hitze und Trockenheit verträgt sie gut. Sind die Sommer aber nicht nur warm, sondern auch feucht, haben Pilze, Bakterien und die Walnussfruchtfliege leichtes Spiel. Ist ein Baum befallen, färbt sich die sonst grüne Hülle schwarz. Sie öffnet sich nicht, wenn die Nuss reif ist. Auch von Hand lassen die schwarzen Fasern sich nur schwer lösen. In der Schlange am Unverpacktladen kennen alle dieses Phänomen. In diesem Jahr scheint es besonders viele Bäume getroffen zu haben – auch den von Rudi Bangert. In guten Jahren wirft er 50 Kilogramm Nüsse ab, dieses Jahr dürften es deutlich weniger sein.

Marion Jöst hat die jungen Rimbacher Nussbäume überall in der Gemeinde verteilt.

Die Nachfahren des Baums, der mittlerweile 100 Jahre alt ist, hat Marion Jöst inzwischen überall in Rimbach verteilt. Ein Exemplar ging außerdem nach Frankreich: Bürgermeister Holger Schmitt schenkte es der französischen Partnerstadt Thourotte. Ein Friedensangebot sozusagen, waren es doch die französischen Nüsse, die den Niedergang der Walnuss im Odenwald besiegelten. Ein weiteres Bäumchen wächst seit zwei Jahren auf dem Rimbacher Haywoodplatz. Die Anlage ist nach der Partnerstadt in England benannt, auf die ebenfalls ein Setzling wartet. Zwei Nüsse blitzen zwischen den ovalen Blättern hervor. Mit spitzen Fingern zupft Jöst eine aus der aufgeplatzten Hülle. „Und wie sieht sie aus? Sie hat zwei Spitzen!“, ruft sie erleichtert und strahlt erneut. Sanft berührt sie eines der Blätter: „Gut gemacht.“


www.rimbach-odw.de

www.unverpacktimweschnitztal.de

www.riednuss.de

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