Am Heidelberger Königstuhl wird nicht nur gezeigt, wie Carl Bosch Ideen zur Herstellung von Ammoniak entwickelte. Der Chemiker erforschte auch die Natur und die Sterne.
Er muss einer dieser Menschen gewesen sein, deren Tage mehr als 24 Stunden haben. Ihm selbst wäre ein so unwissenschaftlicher Gedanke wahrscheinlich fremd gewesen. Doch er drängt sich auf, wenn man sich den Alltag von Carl Bosch ausmalt. Wie er nach der aufreibenden Arbeit als Vorstandsvorsitzender der BASF noch die Zeit fand, die unzähligen Käfer und Schmetterlinge zu sammeln, wie er sie abends daheim am Schreibtisch in seiner Villa mit kundigem Blick studierte und in Setzkästen sortierte. Oder wie er ganz weit in die Ferne schaute, als Astronom mit eigenen Sternwarten.
Von den vielen Talenten und Interessen und von einer steilen Karriere in unruhigen Zeiten erzählt eine Dauerausstellung in Heidelberg. In einem Museum, das seinen Namen trägt: Carl Bosch. Es ist dem Leben des Chemikers gewidmet, der 1931 den Nobelpreis erhielt, hier aber nicht nur als erfolgreicher Lenker eines Großkonzerns dargestellt wird. „Genauso spannend sind seine privaten Hobbys“, sagt Sabine König.
Die Historikerin hat in Heidelberg studiert, danach am Historischen Museum der Pfalz in Speyer und an den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen gearbeitet. Seit 2014 hält sie als Geschäftsführerin des Carl Bosch Museums die Erinnerung an den berühmten Heidelberger wach. „Er war eine äußerst interessante, vielfältige Persönlichkeit, die uns viel über seine Zeit, die chemische Industrie und seine spannenden Hobbys erzählen kann“, sagt König. Faszinierend findet sie gerade Boschs große Leidenschaft für die Wissenschaft. „Er war jemand, der stundenlang damit zubringen konnte, sich in Dinge zu vertiefen. Das große gesellschaftliche Parkett war ihm weniger wichtig.“
Luftaufnahme Bosch Museum
Das heutige Museumsgebäude diente Bosch früher als Garagenhaus: Hinter den großen dunkelgrünen Toren waren die Autos untergebracht, mit denen ein Chauffeur ihn jeden Tag zur Arbeit nach Ludwigshafen kutschierte. Darüber und daneben befanden sich Wohnungen für den Gärtner und die Chauffeure. Heute können Besucher dort Boschs Leben abschreiten. Ein hoher Tisch aus dunklem Holz, bestückt mit Gläsern und Kolben, stellt die Arbeitsatmosphäre im Ludwigshafener Ammoniak-Laboratorium nach. Im oberen Stockwerk erinnert ein Nachbau seines privaten Büros an die Hobbys des Chemikers. Schon auf seiner Hochzeitsreise sammelte er Insekten, später als Konzernchef schaufelte er sich Zeit frei, um am Altrhein nach Bodenlebewesen zu suchen. Wenn ihm ein Mitarbeiter einen seltenen Käfer oder Schmetterling brachte, belohnte der Chef das mit fünf Reichsmark.
Es ist das Verdienst von Gerda Tschira, dass Gäste hier in Boschs Leben eintauchen können. Die Frau des Mäzens und SAP-Mitgründers Klaus Tschira hatte das ehemalige Garagenhaus 1996 zum Kauf angeboten bekommen. Da sie damals gerade die Biografie des Chemikers gelesen hatte, beschloss sie, ein Museum daraus zu machen. „Sie hat in weniger als zwei Jahren im gesamten deutschsprachigen Raum recherchiert, Material gesammelt und parallel dazu das Gebäude renovieren lassen und die Ausstellung eingerichtet“, erzählt Sabine König. Am 15. Mai 1998 wurde das Carl Bosch Museum eröffnet.
„Die Neugierde auf Neues sollten wir uns als Erwachsene bewahren“
Man wolle ein breites Publikum ansprechen, erklärt König. „Den Neunjährigen genau wie seine Oma.“ Für Kinder unterschiedlicher Altersgruppen gibt es Experimentierangebote: Sie können mit einem vollgepackten Koffer auf eine Reise in die Zeit von Carl Bosch gehen, einen Brausefeuerlöscher oder einen kleinen Elektromotor bauen. Geschichtsinteressierte Erwachsene wiederum vertiefen sich in die Lebensgeschichte, Chemie-Fans in Boschs wissenschaftliche Leistungen. „Wir müssen schon unseren Kindern die Freude und den Freiraum zum Ausprobieren bieten. Und diese Leidenschaft sowie die Neugierde auf Neues sollten wir uns als Erwachsene bewahren“, findet König.
Inzwischen gehören zu der gemeinnützigen GmbH auch der mobile Ausstellungsraum „Museum auf Achse“ und das Museum am Ginkgo, das Raum für pädagogische Angebote und Sonderausstellungen bietet. Dessen auffällige moderne Architektur fügt sich in die grüne Umgebung ein und schafft gleichzeitig einen Kontrast zum historischen Garagenbau. Im Café des Museums können Besucher bei frischem Kaffee und Kuchen die Eindrücke sacken und den Blick in einen Skulpturengarten mit Kunstobjekten schweifen lassen.
„Er hat die Nähmaschine der Mutter zerlegt, weil er alles untersuchen wollte“
Sabine König führt die schmale Treppe von der Kasse hoch in den ersten Stock, wo der Rundgang durch das Leben von Carl Bosch beginnt, wo eine Schaukelbadewanne und alte Werkzeuge an seine Kindheit in Köln erinnern. Zur Welt kam Bosch 1874 in Köln, die Eltern besaßen eine Großhandlung für Installationsbedarf. „Schon als Kind hat er getüftelt und experimentiert“, sagt Sabine König. „Da wurde zum Beispiel die Nähmaschine der Mutter zerlegt, weil er alles untersuchen wollte.“ 1899 zog Bosch mit dem Doktortitel in Chemie in der Tasche nach Ludwigshafen und heuerte bei der BASF an – schon damals ein Chemie-Unternehmen von internationaler Bedeutung.
Dort gelang es ihm, eine „gewaltige Schlucht“ zwischen wissenschaftlichen Grundlagen und industrieller Verwertung zu überwinden, wie das Nobelkomitee später schreiben würde: Fritz Haber hatte Anfang des 20. Jahrhunderts in Karlsruhe ein Verfahren zur Herstellung von Ammoniak erdacht. Carl Bosch entwickelte die Grundlagen so weiter, dass der Stoff in großem Umfang produziert werden konnte. Die dafür nötigen wuchtigen Instrumente und Anlagen können Besucher im Außenbereich des Museums bestaunen – sie sind für die Innenräume zu groß. 1913 ging die erste Anlage in Oppau in Betrieb. Das „Haber-Bosch-Verfahren“ lieferte damit einen Beitrag zur Ernährung der Weltbevölkerung, denn Ammoniak kam als Düngemittel zum Einsatz, das den Stickstoff aus der Luft in die Böden brachte und die Landwirtschaft revolutionierte. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Ammoniak ebenso im Ersten Weltkrieg verwendet wurde: als Bestandteil von Sprengstoffen.
Schritt für Schritt erzählt die Ausstellung von Boschs Aufstieg an die Spitze der BASF: 1919 wurde er dort Vorstandsvorsitzender und behielt den Posten, als das Unternehmen 1925 in der I.G. Farben aufging (wie Bosch Mineraldünger entwickelte, erzählen wir hier). 1923 zog der Konzernchef nach Heidelberg, in die teure Wohngegend am Hang des Königstuhls mit Blick auf Wald und Streuobstwiesen, östlich der Altstadt. Er wohnte im herrschaftlichen Gebäude, das heute als Villa Bosch und Sitz der Klaus Tschira Stiftung bekannt ist, ein paar Hundert Meter östlich des Garagenhauses. 1931 erreichte der bereits vielfach ausgezeichnete Wissenschaftler den Höhepunkt seines Ruhms: Nach Fritz Haber erhielt auch er für die Entwicklung des Haber-Bosch-Verfahren den Chemie-Nobelpreis, die ganze Familie fuhr zur Zeremonie nach Stockholm. Boschs Frau Else sagte später, dies sei „das größte Ereignis unseres Lebens“ gewesen. Doch es folgten schwierige, kummervolle Jahre.
„Ein Treffen mit Adolf Hitler ist verbürgt, aber es muss desaströs geendet haben“
Den Aufstieg der Nationalsozialisten hatte Bosch mit gemischten Gefühlen verfolgt. Zunächst äußerte er durchaus Zustimmung zu Adolf Hitler. Zumindest zu dessen Beschäftigungspolitik, denn die hohe Arbeitslosigkeit war für den Chemiker ein Grundübel der Zeit. Doch insgesamt war Bosch mehr und mehr erschrocken von der Wissenschaftsfeindlichkeit der Nationalsozialisten, von der Verfolgung jüdischer Forscherinnen und Forscher. „Mindestens ein Treffen mit Adolf Hitler ist verbürgt, aber es muss desaströs geendet haben“, sagt Sabine König. „Man passte einfach nicht zusammen.“
Auch auf Betreiben der Nationalsozialisten hin gab Bosch 1935 seinen Vorstandsposten bei der I.G. Farben ab und wechselte an die Spitze des Aufsichtsrats. Er unterstützte später jüdische Kollegen bei ihrer Flucht ins Ausland – unter anderem die österreichische Physikerin Lise Meitner. Als Bosch 1937 in einer Rede die Beschränkungen der Wissenschaft durch die Nationalsozialisten anprangerte, zog er den Zorn der Machthaber auf sich. „Aber sein großes Ansehen hat ihn wohl vor Verfolgung geschützt“, sagt Sabine König.
Bosch starb am 26. April 1940 in Heidelberg, körperlich geschwächt von Krankheiten, seelisch verletzt von den Erfahrungen der 30er Jahre. Doch nicht nur sein berufliches Werk erinnert an ihn. In seiner Wahlheimat ist sein Name unter anderem mit der Gründung des Zoos verknüpft. Und auch Boschs Besitz als Hobby-Wissenschaftler blieb der Nachwelt erhalten. Das Teleskop seiner Sternwarte wird inzwischen von der Astronomischen Vereinigung in Tübingen benutzt. Eine Mineraliensammlung befindet sich im Besitz des Museums für Naturgeschichte der Smithsonian-Stiftung in Washington, seine unzähligen Insekten bildeten einen Grundstock des Frankfurter Senckenberg Museums. Boschs lange Tage – sie sind nicht umsonst gewesen.
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