400 Pferde leben auf dem Kurgestüt Hoher Odenwald in Waldbrunn-Mülben. Jette Zollmann führt dort in dritter Generation fort, was ihr Großvater aufgebaut hat. Die Stuten auf dem Hof geben Milch – und führen ein Leben ohne Halfter und Sattel.

 

Die Kinder sind aufgeregt. Jetzt, wo sie endlich rein dürfen, zum Melkstand, dem „Arbeitsplatz“ der Stuten. Stimmengewirr, Fragen über Fragen. Ob sie die Pferde anfassen dürfen. Wie viel Milch eine Stute gibt. Die Grundschüler wissen schon, dass Pferde nur dann gemolken werden können, „wenn sie Mädchen sind“ und „wenn sie ein Baby bekommen haben“.

Jette Zollmann legt einer kräftigen, mittelbraunen Stute die Zitzenbecher an. Das Tier ist völlig unbeeindruckt: von der Melkanlage, vom Kinderlärm. Die Pferde hier auf dem Kurgestüt Hoher Odenwald in Waldbrunn-Mülben sind Besuch gewöhnt. Jetzt wird der Startknopf gedrückt und die Milch läuft in die Kühlleitung –  direkt in die angrenzende, hofeigene Molkerei.

Ein Teil der Familie: 1. Reihe v.l.n.r.: Wibke, Inga, Vroni, Leni, Frieda 2.Reihe: Steffi, Lilu (Prinzessin), Jette, Gudrun, Hans Zollmann

90 von 200 Stuten sind hier aktuell im Melkbetrieb, jede von ihnen gibt rund einen Liter Milch –drei Mal am Tag. Einer der Schüler ist schnell im Kopfrechnen: „Das macht 270 Liter.“ Auf die Frage, ob das Melken den Tieren weh tut, hat Jette Zollmann eine klare Antwort: „Dann würden sie nicht stillstehen.“ Die jungen Besucher lernen, dass die Fohlen in den ersten sechs bis acht Wochen die Milch der Stute für sich allein brauchen und die Tiere erst dann in den Melkstand kommen – nachdem sie am Morgen ihren Nachwuchs gefüttert haben. Nachmittags sind Stuten und Fohlen wieder vereint.

Familie Zollmann hält 400 Pferde auf vier Höfen mit insgesamt 450 Hektar Land. Verarbeitet werden 50.000 Liter Bio-Stutenmilch im Jahr. All das leisten fünf Familienmitglieder und zehn Angestellte mit Unterstützung von Saisonarbeitern.

Hinter der Hingabe, mit der die Familie das nicht alltägliche Nahrungsmittel produziert, steckt eine besondere Geschichte: Stutenmilch hat Rudolf Storch, dem Vater von Gudrun Zollmann, in den 1940er-Jahren vielleicht das Leben gerettet. In russischer Kriegsgefangenschaft erkrankte der junge Mann an Tuberkulose. Die Russen ließen ihn gehen, und ein Nomadenvolk in Kasachstan versorgte den kranken Tierarzt mit Stutenmilch. Rudolf Storch war überzeugt von der heilenden Wirkung, brachte die Idee mit nach Hause – und gründete trotz vieler Widrigkeiten eine Stutenmilchfarm.

„Jette hat den Gesamtüberblick. Acht Stunden täglich im Büro? Unvorstellbar“

Gudrun Zollmann erinnert sich noch sehr gut daran, wie exotisch die Idee ihres Vaters damals war. Sie weiß, wie viel Aufwand es kostete, die Milch zu verarbeiten. Und wie mühselig es war, andere von den Produkten zu überzeugen. „Er war kurz davor, aufzugeben.“ Ihr Mann aber verliebte sich in die kühne Idee des Schwiegervaters und das Paar entschied sich, weiterzumachen.

Hans Zollmann im Hofladen

Mit Erfolg, denn bis heute gilt der Hof von Hans und Gudrun Zollmann als Pionierbetrieb. „Stutenmilch ist besonders magenverträglich“, erklärt Gudrun Zollmann. Die Familie ist überzeugt von der positiven Wirkung, etwa für Neurodermitiker oder Menschen mit Magen- und Darmkrankheiten.

Im Hofladen sind die Produkte aufgereiht, genau wie im Online-Shop. Ein Liter der Bio-Milch, deren Geschmack an Hafer erinnert, kostet zehn Euro. Die Nahrungsmittel – unter anderem gefroren, als Pulver oder fermentiert – werden in der Molkerei selbst hergestellt, die Kosmetika angeliefert.

Pferde strömen aus Gehege auf eine Koppel

 

Jette Zollmann ist die jüngste von vier Schwestern. Für sie, die selbst vier Töchter hat, war früh klar, dass sie einmal den Hof übernehmen wird. In der landwirtschaftlichen Ausbildung wollte Jette allerdings „auch mal etwas anderes sehen“, hat Kühe statt Pferde gemolken, später Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim studiert. Acht Stunden täglich im Büro? „Unvorstellbar“, findet sie.

Zollmann schätzt die Abwechslung: die Stunden im Stall und auf den Weiden. Die Arbeit in der Molkerei, am Schreibtisch, mit dem Schlepper auf dem Feld. „Jette hat den Gesamtüberblick“, sagt ihre Mutter. Ihre ältere Tochter Steffi ist Lebensmitteltechnologin. Sie kümmert sich um die Stutenmilch-Produkte. Katrin, die dritte im Bunde, organisiert den Verkauf der Zuchttiere. Denn auf den Höfen außerhalb des Kurgestüts sind die Verkaufspferde untergebracht, dort bauen Zollmanns auch Getreide an.

Der Mittelpunkt des Betriebs aber ist das Kurgestüt. Als die ersten drei Stuten zurück zu den Fohlen kommen, laufen die Jungtiere auf staksigen Beinen aufgeregt durcheinander. Das Fell glänzt in Brauntönen, von sandig bis fast schwarz. Einige sind gescheckt. Jette Zollmann kennt alle mit Namen, sie weiß, welches Fohlen zu welcher Stute gehört. Sehen sich Tiere ähnlich, erkennt sie diese sogar am Euter.

Ursprünglich züchtete die Familie Haflinger, seit den 90er-Jahren sind englische Reitponys eingekreuzt – daher die schönen Farbkombinationen. Die Tiere hier kennen kein Halfter, keinen Sattel, keinen Reiter. Die Jungtiere stecken die Köpfe durchs Gitter, um ans Heu zu kommen. Obwohl genug Platz und definitiv auch genug Futter da ist, kabbeln sich einige, knuffen und schubsen einander an. Im Hintergrund traben zwei junge Wilde durch den weitläufigen Stall. Wenn sie wollen, können sie raus, auf der Wiese grasen. Mit einem Blick macht Jette Zollmann den einzigen Hengst der Herde aus. Ein edles Tier, dunkelbraun, fast schwarz. Er frisst auf der Weide – völlig unbeeindruckt vom Trubel der Jungtiere um sich herum. Sein Leben ist der Stutenhof.


www.stutenmilch.de

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