Blei und Silber – darauf hofften die Menschen im 15. Jahrhundert, als sie bei Weinheim-Hohensachsen begannen, in den Berg zu graben. Über 500 Jahre später hat die Arbeitsgemeinschaft Altbergbau Odenwald das Bergwerk „Marie in der Kohlbach“ für kleine und große Besucher:innen zugänglich gemacht. In vielen Stunden ehrenamtlicher Arbeit – und mit viel Begeisterung für die Bergbaugeschichte der Region.

„Da ist Wetter!“ Jochen Babist hält die Hand an die Stahltür, in deren Mitte das Bergbauzeichen prangt. Schlägel und Eisen. Dahinter geht es rund sieben Meter in die Tiefe und heraus kommt – ein angenehm kühler Luftzug. Oder eben Wetter, wie im Bergbau die Luft- und Gasbewegungen unter Tage genannt werden. Wenig später steht Markus Gnirß neben ihm. Auch er hält die Hand an die Tür. „Tatsächlich“. Die zwei Männer sehen sich an. Erstaunt und etwas ratlos. Am liebsten, das ist beiden deutlich anzumerken, würden sie jetzt sofort die Leiter runter klettern, rein in den Stollen, in die Tiefe, und nachschauen. Denn der unterirdische Gang dahinter ist verstürzt. „Normalerweise steht hier die Luft“, erklärt Babist. Irgendetwas muss passiert sein, dass sie nun durchzieht. Aber da steht ja die Besuchergruppe, die sie schlecht mitnehmen können in einen verschütteten Stollen. Babist dreht sich zu Gnirß: „Ich geh heute Abend nochmal rein. Kommst du mit?“ Die Antwort fällt knapp aus. „Klar!“

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Unter Tage in der Grube Marie. Ein Video des Geo-Naturparks Bergstraße-Odenwald.

Jochen Babist und Markus Gnirß sind Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft Altbergbau Odenwald. Im Auftrag der Stadt Weinheim betreibt diese das Besucherbergwerk „Marie in der Kohlbach“ im Südosten des Stadtteils Hohensachsen. Alle Mitglieder sind ehrenamtlich tätig. Sie machen das, weil sie sich vom „Bergbau-Bazillus“ haben anstecken lassen, wie Babist es formuliert. Er ist Diplom-Geologe beim Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald. Die Montanarchäologie, die sich mit dem Bergbau beschäftigt, ist ein Hobby, dem er begeistert nachgeht. Wie die gesamte Arbeitsgemeinschaft.

Lust auf etwas Abenteuer und Bergwerk-Geschichte? Dann mal rein in den Berg!

Das Bergwerk steht unter Denkmalschutz. Die AG darf hier nur in Absprache mit dem Denkmalamt die historischen Schächte und Stollen von Schutt befreien, nach Spuren suchen und wiederherstellen, was einmal war. Das tut sie hier seit 1995. Damals war der Tagstollen der Grube komplett verstürzt und unzugänglich. Stück für Stück, Meter für Meter graben sich die Hobby-Montanarchäologen seitdem durch über 500 Jahre Bergbaugeschichte und legen sie frei. Seit 2008 ist die Grube für Besucher:innen zugänglich und wird ständig erweitert. 2022 hat die AG angefangen, den unteren Stollen, der um 1740 entstand und rund 30 Meter unter der jetzigen Besucherstrecke liegt, freizuräumen.

Doch jetzt geht es erstmal weiter, immer den Berg hinauf, bis zum Mundloch – dem offiziellen Stolleneingang des Besucherbergwerks. Abwechselnd schieben Babist und Gnirß eine Holzschubkarre den Waldweg hinauf. Der originalgetreue Nachbau einer Bergwerkschubkarre aus dem 16. Jahrhundert transportiert die gelben Helme für die Besucher:innen. Vier Kinder und vier Erwachsene gehen heute unter Tage. Entsprechend gestalten die zwei Bergbau-Begeisterten ihre Führung. Am Eingang schlüpft Gnirß erstmal in eine braune Woll-Kutte. „Na, wie sehe ich aus?“. „Wie ein Zwerg!“. Und das tut er tatsächlich – vor allem, als er die Zipfelmütze der Kutte überzieht. „Die wurde mit Stroh gefüllt“, erklärt Babist. „Das hat dann als eine Art Antenne gedient – wenn es oben geraschelt hat, wusste man, dass man sich besser bücken sollte. Und falls es dafür zu spät war, wurde der Aufprall zumindest etwas gedämpft.“ Hinten hat Gnirß noch ein Stück Leder umgebunden. Das Arschleder – wie es wenig zimperlich im Bergbau-Jargon heißt.

Manchmal fühlt man sich wie ein Indiana Jones von der Bergstraße.

Markus Gnirß über die Abenteuer unter Tage

In dieser Montur gingen die Bergleute im Spätmittelalter unter Tage. Denn so alt ist die Grube – mindestens. Bergbau wurde entlang der Bergstraße zwischen Großsachsen und Hohensachsen spätestens ab 1291 betrieben. 1474 wurde dann erstmals eine „Grube auf dem hinteren Colnberg“ urkundlich erwähnt. „Wir haben schon früher vermutet, dass das unser Bergwerk sein könnte“, erzählt Babist. 2004 fanden sie dann im Stollen ein etwa drei Meter langes Steigbrett. Ein Brett mit Aussparungen, das den Bergleuten früher als Leiter diente. „Untersuchungen haben ergeben, dass das Holz 1476 gefällt wurde – das passt zeitlich also ziemlich gut.“

Markus Gnirß als spätmittelalterlicher Kumpel.

Auf Blei und Silber haben die Menschen damals gehofft, als sie anfingen, sich hier in den Berg zu graben. Und gaben ziemlich schnell wieder auf. Fast 300 Jahre später versuchte dann der Freiherr von Sickingen hier sein Glück – doch ihm ging das Geld aus. Einige Jahre später startete dann ein neuer Versuch und ab 1779 wurde tatsächlich Erz gefördert. Allerdings mit einer enttäuschenden Bilanz: Aus dem Erz wurden gerade einmal 1,3 Tonnen Blei und 3,2 Kilogramm Silber gewonnen. Erneute Arbeiten im 19. Jahrhundert blieben ebenfalls erfolglos. „Das ist unser Glück“, sagt Babist. „Wären sie erfolgreich gewesen, wäre hier alles platt gemacht worden. So blieb vieles erhalten und wir können nachvollziehen, wie und mit welchen Materialien sie damals gearbeitet haben.“

Die Werkzeuge der Bergleute im Laufe der Jahrzehnte.

Also: Helm auf und rein in die Bergbaugeschichte! Mit jedem Schritt in den Stollen sinkt die Temperatur, die Luft ist feucht. Eine angenehme Abkühlung in hitzigen Sommertagen. Lampen erhellen den schmalen Gang, der hier entlang einer Verwerfungsfläche führt. Eine Bruchstelle im Gestein, die entstand, als der Oberrheingraben sich absenkte. „Faszinierend, oder?“, sagt Babist und fährt mit der Handfläche den Stein entlang. „Ein Stück begehbare Erdgeschichte.“

Seine Begeisterung für die Montanarchälogie gibt Jochen Babist gerne an kleine Besucher:innen weiter.

Dann stehen die Besucher im Dunkeln. Auf Babists Kommando hat Gnirß die Lichter im Bergwerk ausgeschaltet. Nur der Schein seiner Helmlampe leuchtet noch in den Gang. Mit großen Augen verfolgen die Kinder, wie er den Docht einer mittelalterlichen Grubenlampe entzündet. Sie ist mit Rindertalg gefüllt. „Riecht nach Schnitzel!“ findet eine kleine Besucherin. Und besonders hell ist sie auch nicht. Aber das musste den Bergleuten früher reichen. Später kamen dann Ölfrösche hinzu, Lampen, die etwas sicherer, aber nicht unbedingt heller waren.

Jochen Babist entzündet einen sogenannten Ölfrosch.

Die Arbeit der Kumpel, das wird schnell deutlich, war extrem schwierig und hart. Denn auch ihre Werkzeuge waren eher primitiv. Mit Schlägel und Eisen arbeiteten sie sich früher Zentimeter für Zentimeter durch das Gestein. Flotter ging es, als eine neue Technik erfunden wurde: das Schießen. Eine kleine Sprengung mit Schwarzpulver. Babist zeigt, wie die Kumpel damals die Sprenglöcher bohrten – so ganz ohne Bohrer. Und wie man im Gestein noch heute erkennen kann, wo „geschlagen“ und wo „geschossen“ wurde.

Bohren ohne Bohrer – Babist demonstriert, wie das funktionierte.

Zwischendurch gibt es immer wieder kleine Exkursionen in die Tierwelt. Zu den Höhlenspinnen, die an der Decke des Stollens den kleinen, weißen Kokon mit ihren Jungen bewachen. Oder zu dem beachtlichen Berg an Fledermauskot im hinteren Teil der Grube. Bis Anfang Oktober ist die Grube für Besucher:innen zugänglich – im Winter gehört sie ganz den Fledermäusen. „Wir hoffen, dass durch die Öffnung der Tiefsohle Temperaturunterschiede in der Höhle entstehen. Dann könnten noch mehr Fledermäuse verschiedener Arten hier heimisch werden“, erzählt Babist.

Am Ende der Besucherstrecke wartet noch ein Highlight: Eine kleine „Tropfsteinkammer“ aus Kalkstein.

Sie arbeiten eng zusammen: mit Tierschützern, mit der archäologischen Denkmalpflege in Baden-Württemberg, mit dem Geo-Naturpark Bergstraße-Odenwald, mit Universitäten, Landesämtern und Montanarchäologen aus ganz Europa. Das Netzwerk ist wichtig für die AG, denn sie finanziert auch den Betrieb des Bergwerks nur über Fördergelder und Spenden. Dafür gründete sie den Verein Altbergbau Bergstraße-Odenwald, dessen Vorsitzender Jochen Babist ist. Auch die Führungen sind kostenlos. „Wir freuen uns natürlich, wenn jemand etwas dalässt – so viel, wie eben geht.“ 

Bereit für neue Erkundungen unter Tage.

Es ist die Begeisterung für die Arbeit hier, die Jochen Babist, Markus Gnirß und die anderen Vereins- und AG-Mitglieder antreibt. „Der Bergbau hat unsere Kulturlandschaft geprägt und viele Spuren hinterlassen – und diese Spuren wiederzuentdecken, das fasziniert mich einfach“, sagt Babist. Dann grinst er. „Und klar, es ist auch ein Abenteuer durch enge, wassergefüllte Schächte zu kriechen, ohne zu wissen, wohin sie nun genau führen.“ Gnirß lacht. „Ja, manchmal fühlt man sich schon wie ein Indiana Jones von der Bergstraße.“ Gerade wenn man etwa das Rätsel eines mysteriösen Luftzugs lösen will. In diesem Sinne: „Glück auf!“


www.bergbau-odenwald.de

Die Grube Marie ist von Mai bis Anfang Oktober zugänglich. Einmal im Monat gibt es einen öffentlichen Besuchersamstag, individuelle Führungen werden ab 5 Personen angeboten. Dafür einfach bei Jochen Babist anmelden: j.babist@geo-naturpark.de. Der Verein bietet auch spezielle Kinderführungen und -geburtstage an, sowie Wanderungen durch das gesamte Bergbaurevier Hohensachsen-Großsachsen.

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