Der Oktober ist Quittenzeit! Doch die Wenigsten wissen mit den vielseitigen Früchten, die ursprünglich aus dem Iran und Kaukasus stammen, etwas anzufangen. Denn im Rohzustand schmeckt die bockelharte Frucht zunächst einmal bitter. Ihr köstliches Aroma gibt sie erst beim Entsaften, Einkochen, Dünsten, Backen oder süffigem Veredeln preis. An der Bergstraße haben Ellen Müller und Rainer Stadler daher ihr „Quittenprojekt“ gegründet. Das Ziel: Mehr Sortenvielfalt. Und: Genuss in allen möglichen Varianten.
Als wäre es ihr letzter großer Auftritt vor dem Nebelwallen, strahlt an einem Spätsommertag die Sonne vom Himmel. Mit ihr funkeln goldgelbe Kugeln und Glocken in noch grünen Blätterkronen um die Wette – Quitten. Sie reifen üppig heran, wenn andere Früchte längst geerntet sind. Nicht von ungefähr spricht der Volksmund vom Herbstobst. Auf einer „Ökokontofläche“ der Stadt Weinheim, die Ellen Müller 2011 mit Rainer Stadler übernommen hat, pflückt sie von einem der Bäume ein Prachtexemplar und reibt es zwischen den Handflächen. Man könnte meinen, sie würde die mythologisch der griechischen Liebesgöttin Aphrodite zugeordnete Frucht polieren: Ellen Müller entfernt den bitteren Flaum, der als Schutz vor Fressfeinden und Sonnenbrand dient – mit einem Massagehandschuh. „Jede einzelne Quitte geht durch meine Hand“, sagt sie, ehe sich die bockelharte Rohfrucht mit dem pelzigen Überzug in eine Betörerin von Gaumen und Geruchssinn verwandelt. Während Ellen Müller die „Goldkugel“ mit prüfendem Blick nach allen Seiten dreht, erzählt sie, schon Superexemplare jenseits der tausend Gramm geerntet zu haben: „1,3 Kilo war bislang mein Rekord.“
Anders als die verwandten Äpfel und Birnen gibt die Quitte ihr aromatisches Innenleben nur beim Entsaften, beim Einkochen, Dünsten, Backen oder süffigem Veredeln preis. Viel Arbeit erfordert auch das, was unterhalb der Quittenbäume an Pflege anfällt. Für sogenannte „Ökoausgleichsflächen“ von Gemeinden und Kreisen gilt, dass zum Schutz von Wildblumen wie von Insekten erst ab Juli gemäht werden darf, und das Schnittgut sofort abgetragen werden muss, wie Rainer Stadler erläutert. Er zeigt auf fein sprießende Kräuter: „Die würden von liegengebliebener Mahd erdrückt werden.“ Allerdings haben Rainer Stadler und Ellen Müller ihre Quittenbäume auch auf sogenannten Ausgleichflächen mit weniger strikten Öko-Vorschriften und auf zugepachtetem Privatboden gepflanzt – etwa im Vorgebirge von Laudenbach als Beitrag zur Aktion „Blühende Badische Bergstraße“. Auch hier sollen artenreiche Magerwiesen durch das Abtragen von Mähgut entstehen.
Aber wie sind der in Sulzbach verwurzelte Industriemechaniker und die aus Mannheim zugezogene Krankenschwester auf die Idee gekommen, das „Quittenprojekt Bergstraße“ zu starten? Rainer Stadler verhehlt nicht, dass dabei sein „Burn out“ als Abteilungsleiter für Warenwirtschaft eine wesentliche Rolle gespielt hat. Er startete einen Neuanfang auf dem Hof seiner Familie, den die Stadlers noch bis in die 1960er Jahre zur Selbstversorgung betrieben hatten. Hinzu kam ein Buch von Monika Schirmer über Quitten als fast vergessene Obstart, das beide inspirierte. So kam der Entschluss, die Früchte aus der Familie der Rosengewächse aus dem Dornröschenschlaf zu holen. Das war jedoch leichter überlegt als getan: Denn nur wenige Baumschulen hielten damals, vor zehn Jahren, gängige Sorten vor – vorzugsweise die Konstantinopler Apfel- und Birnenquitte. „Damit fingen wir 2009 bescheiden an.“