Im Ludwigshafener Schillerhaus kann man sehen, wo sich der Dichter 1782 sieben Wochen lang versteckte. Es erzählt aber auch vom Oggersheimer Schloss und aus der Barockzeit, die heute vielleicht fast vergessen wäre – gäbe es nicht den Heimatkundlichen Arbeitskreis.

Wer nach oben schaut, entdeckt ihn – vielleicht erst auf den zweiten Blick. Aber dann sieht man ihn deutlich: Da steht ein Mann am Fenster. Und auch wenn nur die Umrisse sichtbar sind, seine markante Silhouette, so beginnt die Zeitreise doch sogleich hier, an der Schillerstraße 6 in Oggersheim: Der große Dichter schaut oben aus dem Zimmer heraus, in dem er 1782 sieben Wochen lang lebte. 

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Zeitreise: Unser Video begibt sich auf die Spuren Schillers.

In „erwünschter Verborgenheit“ hatte sich Friedrich Schiller damals in Oggersheim aufgehalten, wie es auf einer Sandsteintafel an der Fassade des barocken Gebäudes etwas unfreiwillig komisch heißt. „Versteckt“ wäre vielleicht der treffendere Ausdruck – denn der Dichter war desertiert und auf der Flucht. Weil er fürchtete, in Mannheim verhaftet zu werden und in Frankfurt Kost und Logis zu teuer waren, mietete er sich unter falschem Namen im Gasthof „Viehhof“ ein. Vom damals zwar kleinen, aber weltläufigen Residenzstädtchen Oggersheim, das als wichtige Poststation viele Reisende anzog, war es bis Mannheim nicht weit, nur eine Stunde zu Fuß. Weit genug, um sich sicher zu fühlen und doch nah genug an der Kurfürstenstadt, um Kontakt zu Gönnern und zum Nationaltheater zu halten. 

In diesem Zimmer lebte Schiller mit seinem Freund Andreas Streicher – es ist nur 12 Quadratmeter groß und erzählt in einer kleinen Ausstellung aus Schillers Zeit, von Weggefährten und seinem Oggersheimer Aufenthalt. Foto: Sebastian Weindel

Sein Freund, der Musiker Andreas Streicher, begleitete ihn. Das Eckzimmer, in dem beide in Oggersheim lebten, ist heute in seiner eindrücklichen Schlichtheit noch zu besichtigen: Nur zwölf Quadratmeter groß, gerade ausreichend, um ein Bett, das sich beide teilen mussten, einen Tisch und zwei Stühle unterzubringen. Erhalten hat sich von diesen Möbelstücken keins, und dennoch lohnt sich ein Besuch sehr: 1959 war im ehemaligen „Viehhof“ eine Schiller-Gedenkstätte mit Erstausgaben und einem Originalbrief des Dichters auf Initiative des Bibliothekars Karl Schenkel (1904-1987) von der Stadt Ludwigshafen eingerichtet worden. 2024 wurde sie unter Federführung des Stadtmuseums aufwändig mit chronologischen Überblicken, Bildern und Büsten, Hörstationen und einem hübschen, kleinen Papptheater neu in Szene gesetzt. Betreut wird das Schillerhaus seit Anfang der 1990er Jahre auch vom Heimatkundlichen Arbeitskreis – mit Wissen, Engagement und Herzblut. 

Friedemann Seitz hat eine Art Oggersheimer Chronik recherchiert. Foto: Sebastian Weindel

„Mein Vater hat den Arbeitskreis mitgegründet“, erzählt Michaela Ferner, die sich wie die erste Vorsitzende Gabriela Nagel als „Ur-Oggersheimerin“ bezeichnet. Mit ihrem Kollegen Friedemann Seitz haben die beiden im Wechselausstellungsbereich wenige Schritte von Schillers Zimmer Platz genommen. Vor ihnen, in der Mitte des Tisches, liegt Seitz’ jüngstes Werk. Eine Art Chronik Oggersheims, die von der Mitte des 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts reicht – und damit auch in Schillers Zeit. „Stadt Land Fabrik“ hat Seitz mit viel Aufwand neben seiner Arbeit als Sozialarbeiter recherchiert. 

Drum herum haben sie gemeinsam Schilder, Zeitzeugenberichte und Fotos von Oggersheimer Fabriken zusammengetragen – Teil einer von bis zu drei Wechselausstellungen, die der Arbeitskreis im Jahr kuratiert. Alles ehrenamtlich. Zweimal in der Woche wird das Schillerhaus geöffnet. Die Mitglieder:innen organisieren Veranstaltungen, auch für Kinder – wie den traditionellen Sommertagsumzug, bei dem ein Stroh-Schneemann am sogenannten Laetare-Sonntag drei Wochen vor Ostern verbrannt, dazu Lieder gesungen und Brezeln verteilt werden. Gabriela Nagel pflegt den Brauch seit vielen Jahren: „Diese Umzüge gibt es nur in der Kurpfalz und den angrenzenden Gebieten“, erzählt die pensionierte Erzieherin, erwähnt wurden sie schon in Briefen der Lieselotte von der Pfalz (1652-1722).

Erhaben: Die barocke Schlosskirche ragt hoch an der Mannheimer Straße hinauf. Foto: Sebastian Weindel

Ein Kleinod ist die Schlosskirche aus der Barockzeit, in der auch die älteste Krippe der Pfalz zu finden ist. Sie war wahrscheinlich mit den Franziskanern 1845 nach Oggersheim gekommen. Durch einen Umbau der Klosterkapelle war für die große Krippe kein Platz mehr, Jahre lang hatte man sie schon nicht mehr gezeigt. Daraufhin beschlossen die Mönche, sie an Familien zu verschenken. „Wir haben sie daraufhin gerettet und wieder zusammengesetzt, aber auch restauriert und ihre Geschichte recherchiert“, erzählt die ehemalige Pastoralreferentin, die zusammen mit Rainer Göbel vom Arbeitskreis nicht nur in der Weihnachtszeit mit dem Aufbau und der Pflege der Krippe beschäftigt ist. Denn als Jahreskrippe wird ihre Szenerie bis zur Hochzeit in Kana und damit bis ins Frühjahr hinein weitererzählt, sie muss also fortlaufend umgebaut werden. 

Elisabeth Auguste lebte zwölf Jahre lang in Oggersheim. Foto: Sebastian Weindel

Nur wenige Jahre, bevor Schiller nach Oggersheim kam, hatte die Kurfürstin – längst entfremdet von ihrem Mann Carl Theodor – die Oggersheimer Wallfahrtskirche nach Plänen von Peter Anton von Verschaffelt errichten lassen. In ihrem Innern ist eine Loreto-Kapelle verbaut, die ihr Vater in Auftrag gegeben hatte – als Heimstatt einer Schwarzen Madonna. „Ihr Wunsch war, von ihrem Zimmer im Schloss aus direkt auf die Kirche und damit auf die Schutzheilige der Pfalz schauen zu können“, erzählt Ferner. Es sind unzählige Geschichten wie diese aus der Schillerzeit, die der Arbeitskreis nicht nur bewahrt, sondern ihnen auch hinterher recherchiert. 

„Noch dato war ich nirgends als in Oggersheim, wo die Curfürstin wirklich residiert, und man mir das Schloß und den Garten gezeigt hat.“

Friedrich Schiller in einem Brief an Henriette von Wolzogen, 11. August 1783

In akribischer Fleißarbeit hat Friedemann Seitz etwa einen Stadtplan aufgesetzt, in dem er alle Häuser markierte, die noch heute aus Schillers Zeit erhalten sind. „Die Straßen- und Gassenführung ist noch heute dieselbe wie zur Zeit Schillers“, sagt Seitz. Der Plan gibt einen Eindruck davon, wie viel Barock noch heute in Oggersheimer Häusern oder Gärten steckt – auch wenn durch den Bau von Fabriken, durch die Industrialisierung, Kriegszerstörungen und Abrisse das Stadtbild verändert haben und schon einige Jahre nach Schillers Weggang das Ende des Schlosses begann.

Im ersten Ausstellungsraum wird die Geschichte des Oggersheimer Schlosses erzählt – ein Plan gibt Eindruck von Pracht und Größe der Parkanlage. Foto: Sebastian Weindel

Elisabeth Auguste hatte die Residenz von ihrem Ehemann Carl Theodor als Sommersitz geschenkt bekommen und ließ sie teilweise ausbauen. Ihre einstige barocke Pracht lässt sich heute allerdings nur noch erahnen – fest steht, dass sie allein einen 105 Meter langen Corps de Logis besaß, der sich entlang der Mannheimer Straße zog, dazu einen Küchen- und Bedienstetentrakt, einen Schlossturm mit Grotte, ein Konzert- und Badhaus, eine Orangerie, einen Teepavillon, einen Chinesisch-Englischen Garten, eine Menagerie mit Tiergehege, sowie Wasserbecken, Kanäle, einen Gemüse- und Obstgarten, eine Fasanerie und einen Eiskeller. Die Gartenpläne stammen von Nicolas de Pigage (1723-1796) – dessen Schwetzinger Schlosspark weltberühmt wurde.

Elisabeth Auguste lebte hier zwölf Jahre lang – 1793 floh sie vor der französischen Armee nach Weinheim und starb dort 1794. Im selben Jahr wurden französische Soldaten im Schloss einquartiert, die es verwüsteten. Es folgte die Kaiserliche Armee, die es weiter zerstörte, schließlich wurde es versteigert und als Steinbruch genutzt. „In der Industrialisierung entstanden auf dem einstigen Schlossareal dann die Gebäude der sogenannten Samtfabrik“, erzählt Seitz. 

Im Erdgeschoss des Schillerhauses ist die Oggersheimer Stadtteilbibliothek untergebracht. Foto: Sebastian Weindel

Der Arbeitskreis hütet im Schillerhaus also nicht nur Relikte zum Dichter. Er zeigt auch im ersten Zimmer der Dauerausstellung Sandsteinkapitelle des Schlosses, Pläne der ehemaligen Parkanlage und erklärt Hintergründe zur Kurfürstin und ihrem Hof. „Ein bisschen Fantasie braucht es an mancher Stelle schon, um Barockes zu entdecken“, sagt Michaela Ferner. Gleich neben dem Schillerhaus steht das Mayer-Brauhaus. Wer genau hinschaut, entdeckt über dem Türsturz des Haupteingangs einen barocken Kopf, der wahrscheinlich aus dem Schloss stammt. Ein paar Gehminuten weiter kann man hinter dem heutigen Pfarrzentrum eine einzelne rote Sandsteinsäule entdecken – versteckt im Grün. Als eine letzte Erinnerung an die einst so üppige Parkanlage. Dann öffnet Gabriela Nagel mit einem großen Schlüsselbund einige Türen zum heutigen Pfarrzentrum – ungefähr dort, wo das Schloss einst stand: Und schon geht es hinab, in die Kellergewölbe des sogenannten Kavalierflügels hinab. Durch Putz und Fliesen aus den 1970er Jahren ist der Eindruck aus der Barockzeit allerdings längst überformt – aber allein die Höhe der unterirdischen Räume mit ihren Lichtschächten geben eine Ahnung von dem, was zur Zeit Schillers hier stand. 

Ein Blick in die ehemaligen Schlosskatakomben, die unter dem heutigen Pfarrzentrum in Oggersheim liegen. Foto: Sebastian Weindel

Und welchen Bezug hatte der Dichter selbst zum Oggersheimer Schloss? War er jemals dort? Belegt ist, dass er es 1783 zumindest bei seinem zweiten Aufenthalt besuchte: 1782 noch hatte er seine Räume im „Viehhof“ kaum verlassen. Aus Angst, von württembergischen Spionen entdeckt zu werden. Aber auch, um intensiv an „Kabale und Liebe“ arbeiten und den „Fiesko“ für die Mannheimer Bühne aufbereiten zu können. Nach seiner Oggersheimer Zeit hatte Schiller zunächst bei Henriette von Wolzogen im thüringischen Bauernbach Unterschlupf gefunden, kehrte 1783 aber dann nach Mannheim und auch in den „Viehhof“ zurück, den er Zeit seines Lebens in guter Erinnerung behalten sollte. „In dem Wirtshaus wo ich im vorigen Jahr 7 Wochen gewohnt habe, bin ich auf eine Art empfangen worden, die mich recht sehr gerührt hat“, schrieb er am 11. August 1783 an Henriette von Wolzogen. Es sei „etwas freudiges von fremden Leuten nicht vergessen zu werden.“

www.schiller-in-oggersheim.de



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