Sie sind Kulturgüter. Kunsthistorische Kleinode. Doch wer das Buch von Helmuth Bischoff liest, merkt schnell – die großartigsten Krippen sind eher in kleinen Gemeinden zu finden. Und wären ohne das Engagement Einzelner längst verloren. Wo genau, hat der Reisejournalist in der Pfalz recherchiert. Und ein Buch voller Kunstgeschichten geschrieben. Ein Gespräch über unverhoffte Schätze und warum inzwischen ein ganzes Dorf dem Krippenkult verfallen ist.

Wenn es Weihnachten wird, sucht er erstmal Moos. Karl-Heinz Wiesemann, Bischof des Bistums Speyer, geht los und hält im Wald Ausschau nach Dingen, die sie braucht, seine Krippe. Er baut sie auf und tut dann einen Abend lang nichts. Außer zu „schauen und zu staunen“. Es dürfte nicht oft vorkommen, dass ein Bischof in einem Grußwort derartige persönliche Einblicke in sein Wohnzimmer gibt. Der erzählt, wie er jedes Jahr die Krippe seiner Kindheit, den Stall, in immer anderen Variationen aufbaut. Um dann einfach davor zu sitzen und inne zu halten. Dem Heidelberger Reisejournalisten Helmuth Bischoff, der nicht nur Bücher über die Rhein-Neckar-Region, sondern auch über Barcelona geschrieben hat, ist genau das gelungen: Er hat die Geschichte von Krippen in der Pfalz (einen weiteren Krippenbauer haben wir in Wo Sonst hier porträtiert), ihre Besonderheiten und Herkünfte für ein sehr schön aufgemachtes Buch mit Fotos von Norman P. Krauß im Kurpfälzischen Verlag recherchiert. Zugleich aber auch einiges über die Menschen, die mit ihnen verbunden sind, herausgefunden.

Die Krippe in Schaidt kennt Helmuth Bischoff seit seiner Kindheit. „Sogar das Bänkchen, auf dem ich bei meiner Kommunion gekniet habe, ist noch da.“ Es dient heute dazu, die eindrucksvolle Krippenlandschaft vom übrigen Kirchenraum abzuteilen. Foto: Norman P. Krauß

Wo Sonst: Warum gibt es so viele besondere Krippen in der Pfalz?

Helmuth Bischoff: Die Pfalz war sehr lange bayerisch. Nicht zuletzt deshalb gibt es hier so viele Krippen von Sebastian Osterrieder aus München (1864-1932), der als Wiederentdecker der Weihnachtskrippe gilt. Die Krippe war im frühen 19. Jahrhundert und vorher durch Säkularisation als Volkskunst nicht mehr en vogue. Osterrieder trug dann im frühen 20. Jahrhundert viel zu ihrer erneuten Popularität bei. Unter anderem durch eine Krippe, die er für Kaiser Wilhelm II. gemacht hat – sie war für ihn ein Sprungbrett als Krippenkünstler.

Auf der Suche nach den schönsten Krippen der Pfalz hat Helmut Bischoff so einige Kunstgeschichten entdeckt.

Was ist an den Osterrieder-Krippen so besonders?

Helmut Bischoff: Eine hohe Plastizität der Figuren. Figuren aus Pappmaché oder Holz sind mit den Figuren von Osterrieder einfach nicht vergleichbar. Denn er hatte ein Verfahren mit Gips, Champagnerkreide und Hasenhautleim entwickelt. Unter der Bezeichnung „französischer Hartguss“ hat er die Krippenfiguren damit in Form gegossen. Seine Gewänder und Gesichter sind daher fließend, die Körper entsprechen der menschlichen Physiognomie oder einer Kleidung, wie sie wirklich fällt. Das würde man mit geschnitztem Holz niemals hinbekommen, das hätte immer Ecken und Kanten.

Lebensecht, bis ins Detail: Einer der Hirten der Osterrieder-Krippe in Deidesheim. Foto: Norman P. Krauß

Wo sind diese Osterrieder-Krippen zu finden?

Helmuth Bischoff: Erhalten sind die Osterrieder-Krippen etwa in der Kirche St. Maria in Landau, in der Mauritius-Kirche in Erfweiler-Ehlingen, in der Schlosskirche Blieskastel, in der Kirche St. Maria Himmelfahrt in Herxheim und in St. Hildegard in St. Ingbert. Dann gibt es noch die Krippe in St. Peter in Hettenleidelheim.

Wie kam es dazu, dass einer der wichtigsten Krippenbauer so viele Aufträge in der Pfalz hatte?

Helmuth Bischoff: Sebastian Osterrieder hatte wohl einen Pfarrer aus Deidesheim kennengelernt, der wiederum seinem Nachfolger den Kauf einer Krippe von ihm empfahl. Das war der Anfang. Außerdem hat Osterrieders Schwester ihren Lebensabend in einem Stift in Herxheim verbracht – vielleicht war auch das seine Verbindung in die Pfalz.

Das Oggersheimer Krippenteam: Klaudia Goebel (v.l.), Michaela Ferner, Rainer Göbel und Ursula Gutzer. Foto: Norman P. Krauß

Viele Gemeinden wussten gar nicht, dass sie so wertvolle Krippen besitzen. Wie kam es dazu, dass so viele zwischenzeitig in Vergessenheit geraten sind?

Helmuth Bischoff: Es waren und sind immer Einzelpersonen, die mit dem Schicksal dieser Krippen verbunden sind. In Deidesheim war die Osterrieder-Krippe schon in der Pfarrgarage gestanden und zum Teil marode, kein Wunder, denn sie war von 1911, also schon über 100 Jahre alt und durch das feuchte Moos, das zwischenzeitig unter ihr ausgelegt war, marodiert. Hier hat man sie durch eine Weihnachtsausstellung wiederentdeckt, für die die längst weggepackten Figuren wieder hervorgeholt wurden. Parallel dazu ist es ein großes Glück, dass sich der Pfälzer Hermann Frübis auf die Restaurierung von Osterrieder-Krippen spezialisiert hatte. Er fand über unzählige Versuchsreihen und Materialmischungen heraus, wie Osterrieder gearbeitet hat, denn dessen Atelier mit allen Unterlagen und Rezepturen waren im Krieg zerstört worden.

In Oggersheim waren es ausgerechnet die Mönche, die die Krippe verschenken wollten …

Helmuth Bischoff: Ja, dabei sind die Franziskaner eigentlich die Geburtshelfer der Krippen. Dem Heiligen Franziskus wird zugeschrieben, dass er für die erste figürliche Krippe überhaupt gesorgt hat. In Oggersheim war es aber ein heimatkundlicher Kulturkreis, der die Krippe als Kulturgut wieder ins Bewusstsein zurückgeholt hat – die dortigen Franziskaner wollten Teile davon eigentlich armen Kindern schenken.

In Bornheim hat es eine einzelne Frau geschafft, einen ganzen Ort für Krippen zu begeistern … (hier gehts zu unserer WO-SONST-Geschichte)

Helmuth Bischoff: Ja, das ist eine schöne, ungewöhnliche Geschichte. Sie wollte eigentlich eine Dorfkrippe vor der Kirche aufstellen und hat in der Gemeinde dazu angeregt, in der Nähe dieser Großkrippe ein paar kleinere Exemplre zu errichten, damit daraus ein kleiner Krippenspaziergang werden könnte. Doch statt der drei oder vier erhofften Rückmeldungen gab es auf einen Schlag 20. Das war 2003. In diesem Jahr werden über 90 Krippen im ganzen Ort gezeigt.

Die Anfänge des „Krippendorfes“ Bornheim liegen im Jahr 2003 und sind eng
mit der Initiatorin Ulla Kaub verbunden. Foto: Norman P. Krauß

Was ist eigentlich das Interessante an Krippen?

Helmuth Bischoff: Arme Leute bekommen ein Kind in einem Stall, die Geschichte als solche ist schon sehr berührend. Dass dann auch noch ein Engel den Weg weist, dass eher raue Männer wie die Hirten herbeieilen und schließlich sogar drei Könige – das hat schon etwas Märchenhaftes durch all seine Gegensätzlichkeit.

Es geht also um die Faszination für ein Wunder im Alltag?

Helmuth Bischoff: Ja, es geht um das Einfache und um das Göttliche in einer riesigen Spanne. Von der einfachsten Kleidung des Hirten bis zur aufwändigen der Könige. Die Demut eines Königs gegenüber einem neuen König, dem Jesuskind. Die Körperhaltung eines Hirten, der schwer in seinem Leben gearbeitet, der kaputte Schultern hat. Ich erlebe in der heutigen und hiesigen Öffentlichkeit die Körperhaltungen von Menschen als Ausrufe- oder Fragezeichen. Einige sind wenig optimistisch, andere selbstherrlich, unnahbar. Diese Typologie ist für mich sehr starr. In Krippen aber erlebe ich viel mehr. Was bei der Gestaltung für eine Vielfalt menschlicher Regungen sichtbar wird! Und welch sprechende Gesten, die wir sonst im Alltag kaum erleben. Zum Beispiel den Anmut der Maria. Oder das Staunen der Hirten – wo staunen wir heute noch?

Das Buch zeigt aber auch, dass die bedeutendste Krippe nicht unbedingt im Dom zu Speyer steht.

Helmuth Bischoff: Ja, das stimmt. Die Krippe im Dom ist zwar riesig und nicht unwichtig. Aber die wahren Schätze sind eher in kleineren Gemeinden zu finden.

In Hagenbach gibt es eine interessante Krippe, die eher schlicht ist.

Helmuth Bischoff: … und gerade deshalb so schön. Die Hagenbacher Krippe ist eine Krippe mit sogenannten Erzählfiguren, nach dem Vorbild der Schweizer Egli-Figuren, ganz ohne gestaltete Gesichter, damit der Betrachter nicht abgelenkt wird und darüber noch mehr ins Nachdenken kommt. Eindrücklich fand ich, welche Rolle hier Ordensschwestern gespielt haben: Eine war mit daran beteiligt, dass diese Krippe überhaupt angeschafft wurde. Eine Frau aus dem Ort hat mir erzählt, wie wichtig die Ordensschwestern auch in der sozialen Fürsorge gewesen sind. Und eben in der Brauchtumspflege. Das hat mich auf die Idee eines Denkmals, eines Schildes gebracht – um diese Frauen und ihr Engagement jedes Jahr an der Krippe zu würdigen.

Wenn es ein Best-Of der Pfälzer Krippen geben müsste – welche stünden an erster Stelle?

Helmuth Bischoff: Die Krippe in der Oggersheimer Schlosskirche ist sehr ausdrucksstark und dazu die älteste, sie kam wahrscheinlich mit den Franziskanern 1845 in die Pfalz. Die Darstellung eines lesenden Propheten hat sich bei mir als beruhigendes Bild festgesetzt. Das Besondere ist aber auch, dass es sich hier um eine Jahreskrippe handelt – die Szenerie wird bis zur Hochzeit in Kana und damit bis ins Frühjahr hinein weitererzählt. Nebenbei steht sie in einer wunderschönen Kirche mit einer Statue der Schwarzen Madonna, der Schutzheiligen der Pfalz. Dann sollte man mindestens eine Krippe von Sebastian Osterrieder besuchen, zum Beispiel die in Deidesheim. Und dann noch die Krippe in Germersheim, in der ist die Landschaft aus Schwemmholz gemacht ist. Das finde ich sehr sinnlich.


Helmuth Bischoff: Weihnachtskrippen in der Pfalz: Stimmungsvolle Entdeckungen, Kurpfälzischer Verlag, 148 Seiten, 22 Euro

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