Auf dem Dilsberg bei Neckargemünd gibt es in der mehr als 800 Jahre alten Burgfeste nicht nur eindrucksvolle Ruinen oder einen geheimnisvollen Stollen. Sondern auch ein besonderes Gasthaus: Eva Heß ist einmal um die Welt gereist, um hier ein altes Gebäude in eine Chocolaterie zu verwandeln.
Der Weg durchs sandsteinerne Stadttor führt in die Vergangenheit: zur Burgruine, zum bauchigen Wasserturm, zum früheren Feuertor und den zwei stolzen Kirchen. Doch der Weg führt gleichzeitig in die Gegenwart: 80 Haushalte gibt es hier, hoch über dem Neckar, innerhalb der Festungsmauern des Dilsberg. Schmale Gassen, die nicht nur Geduld einfordern bei Fußgängern und Autofahrern, sondern starke Nerven auch von der Müllabfuhr. Ein Stilmix aus mehreren hundert Jahren. Und mittendrin: eine Chocolaterie.
In der winzigen Ortschaft hat Eva Heß das „Gasthaus Zur Burg“ in eine liebevoll eingerichtete Gastronomie verwandelt. In einem kleinen Raum mit Ecken und Kanten verkauft sie mit ihren Mitarbeiterinnen selbsthergestelltes Gebäck und Pralinen, Schokolade und Konfitüre. Kunstvolle Kuchen und Torten laden Besucher zum Verweilen im benachbarten Gastraum ein. Malereien an der Wand und alte Backformen erzählen eigene Geschichten, genau wie die Inschrift am Balken: „Rede wenig, rede wahr… trinke viel, bezahle bar!“ In der ersten Etage können Besucher auf der kleinen Terrasse oder in einem großen, hellen Raum um einen Flügel sitzen. Eva Heß übt hier schon mal für den eigenen Klavierunterricht – und veranstaltet Konzerte mit Pianistinnen und Drei-Gänge-Menü. Denn in der Chocolaterie gibt es auch warme Speisen, regional und saisonal.
Neben ihrem Haus plätschert ein alter Brunnen. Nicht sanft, sondern auffällig laut, unentwegt. Efeu und wilder Wein hangeln sich das zartgelbe Eckhaus hinauf, das von außen viel kleiner wirkt als von innen. Von hier sind es nur wenige Schritte hinauf zur Burgruine, vorbei am Alten Rathaus mit seinem Fachwerk. Ein Weg, den Eva Heß als Kind fast täglich gegangen ist. Denn ihre Familie wohnte zwar außerhalb der Festung, aber die Grundschule lag darin: im ehemaligen Kommandantenhaus neben der Burgruine.
Eine kleine Holzbrücke verbindet den Burgturm mit der Mauer in 16 Metern Höhe. Der Ausblick von hier oben auf den Neckar, auf Neckargemünd und Neckarsteinach, ist beeindruckend, die Welt „da unten“ klein und leise. Ein Ausflugsschiff der Heidelberger Weißen Flotte schiebt sich langsam durch die Neckarschleife. Vor Millionen von Jahren schon bildeten die Flussschleifen den Bergkegel heraus. Erste geschichtliche Spuren haben die Römer auf dem Dilsberg hinterlassen. Die Burg ließen die Grafen von Lauffen um 1150 bauen. 58 Jahre später wurde sie erstmals urkundlich erwähnt. Im 14. Jahrhundert dann ging die Festung an die Kurpfalz, im Dreißigjährigen Krieg war sie stark umkämpft. Und doch überstand sie auch den pfälzischen Erbfolgekrieg, in dem der „Zerstörer der Pfalz“, der französische General Mélac, mit seinen Truppen in der Bergfeste lagerte. Dass die Burg heute eine Ruine ist, hat einen anderen Grund: Als die Anlage 1803 an Baden ging, war die Bevölkerung sehr arm und benötigte Steine für ihre Häuser.
„Selbstvergessen auf den Neckar blicken“
Überdauert hat ein ganz besonderer Ort all diese Umbrüche trotzdem: Wenn die Fledermäuse des Dilsberg ihr Winterlager verlassen haben, dürfen Touristen am Höllenberg unterhalb der Burgruine durch eine Tür treten – und einem schmalen Gang hinein in den Berg folgen. Knapp 80 Meter ist er lang, die Wände feucht, die Temperatur kühl. Am Ziel tropft das Wasser von der Decke, schummriges Licht lässt das Wasser in der Tiefe blau schimmern. Stimmen von oben hallen unheimlich herab. Zeitweise war der Stollen zugeschüttet – ehe ausgerechnet der amerikanische Schriftsteller Mark Twain bei einem Besuch des Dilsbergs von der Geschichte erfuhr, dass es unter dem Berg einen unterirdischen Gang geben sollte. Als um 1900 wiederum der Deutsch-Amerikaner Fritz von Briesen Twains Text über den verborgenen Stollen las, reiste er extra aus New York an, um ihn auch zu finden. Er ließ sich in die Tiefe abseilen – und tatsächlich. Mit seiner Unterstützung wurde er Mitte der 1920er Jahre freigelegt.
Wenige Schritte vom Stollen entfernt ist Eva Heß zur Schule gegangen. Im ehemaligen Kommandantenhaus von 1550, das 1852 an die Gemeinde ging und fortan auch als Rathaus, Herberge, Gefängnis, für Vertriebene und Vereine genutzt wurde. Heute organisiert hier die Kulturstiftung Rhein-Neckar Konzerte, Ausstellungen, Lesungen oder Diskussionen und bietet Stipendien an – für neue Kunst hoch über dem Dilsberg. Der beige-rot-gemusterte Turm mit der grünen Tür weckt bei ihr Erinnerungen: Sie denkt an den großen Schlüssel, mit dem sie früher diese Tür, die zur Schultoilette führte, öffnete. Sie erinnert sich an Unterrichtsstunden, in denen sie „recht selbstvergessen auf den Neckar runterblickte“. Doch auch ein beklemmendes Gefühl kommt hoch: Hier wurde sie mit dem Rohrstock von der Links- zur Rechtshänderin „erzogen“. Mit acht zog Eva Heß mit ihren Eltern nach Bammental, ließ den Dilsberg, dessen Zauber ihr bis dahin gar nicht aufgefallen war, hinter sich. Nach der Schule machte Eva Heß in Heidelberg eine Ausbildung zur Konditorin. Sie ging nach Wangen im Allgäu, in die Schweiz, nach Tunesien oder in die „Schwarzwaldstube“ von Sternekoch Harald Wohlfahrt. Sie reiste mit dem Rucksack durch die USA, nach Asien, Australien, Neuseeland. Zurück in Deutschland arbeitete sie als „freireisende Konditormeisterin“ – und suchte irgendwann doch einen Platz zum Bleiben.
Warum ausgerechnet auf dem Dilsberg? Das Haus ist ihr „zugefallen“. Eva Heß saß in einem Seminar. Ihre Sitznachbarin erzählte von ihrem Partner, der ein Haus auf dem Dilsberg gekauft hatte, um eine Gastronomie zu eröffnen. Der Mann war jedoch verstorben, die Erbengemeinschaft wollte das Haus loswerden. Eva Heß war wie elektrisiert – schon einen Tag später hatte sie einen Besichtigungstermin. Ohne lange nachzudenken, kaufte sie das Bauwerk aus dem Jahr 1600. Die Küche war schon fertig. „Ich wusste, ich kann da arbeiten und Geld verdienen. Das hat mir die Angst genommen.“ Aber ansonsten blieb unendlich viel zu tun: Jede Ecke war „mit Farbe zugeklatscht“, teilweise sogar mit Teer. Die Vertäfelungen waren braun lackiert, die Holztreppen überfliest.
Nach 18 Jahren Arbeit in den drei übrigen Stockwerken ist inzwischen der Keller dran. Eva Heß legt Sandstein um Sandstein frei. Sie schuftet als „Rohstoffbeschafferin und Schutttransporteurin, als Bauleiterin und Designerin“. Dabei arbeitet die 51-Jährige auch behutsam an sich selbst, legt „eigene Tiefen, Verputzungen, Abgründe“ frei. Zum Keller und zu sich selbst gehörten eben auch Dinge, die nicht so schön sind. Die warmherzige, zupackende Frau sieht es pragmatisch: „Schönes wird hervorgehoben, nicht so Schönes integriert.“ Eva Heß hat all ihre Kraft und all ihr Geld in das Haus gesteckt. Nichts davon bereut sie. Auf dem Dilsberg hat sie ihren Mann, einen Elektromeister, kennengelernt. Der gemeinsame Sohn wird bald zwölf. Und die Welt da draußen? Fernweh hat sie immer noch. Aber auch die Gewissheit, einen Ort gefunden zu haben, der ihr wichtig genug ist, um zu bleiben.
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