Als 1929 Emil Kreutzenberger ein neues Wirtschafts- und Wohngebäude im Bauhaus-Stil bauen ließ, war er gerade einmal 25, die Kunst- und Designschule erst 10 Jahre alt und längst nicht so gefeiert wie heute. Seitdem steht am Ortseingang von Kindenheim eine Stil-Ikone der Neuen Sachlichkeit.
Ein Schiffsbug hoch über den Weinbergen. Das ist der erste Eindruck, kaum hat sich die gleißend weiße Fassade der Kreutzenbergers ins Blickfeld geschoben. Wie der Rumpf eines Ozeandampfers wirkt das Weingut an der Hauptstraße von Kindenheim. Kühn sieht es aus, schnörkellos und neben den übrigen Gebäuden des Dorfes auch ein bisschen fremd. Dabei gehört Deutschlands einziges Bauhaus-Weingut seit vielen Jahrzehnten hierher: An den nördlichen Teil der Pfälzer Weinstraße, wo 1929 Emil Kreutzenberger viele ungewöhnliche Dinge plante – unter anderem dieses Haus.
„Mein Großvater hat eben groß gedacht“, sagt Jochen Kreutzenberger und lacht, denn das wirkt fast ein bisschen untertrieben. Als der Winzersohn ausgerechnet während der Weltwirtschaftskrise und mit gerade einmal 25 Jahren seinen gleichaltrigen Freund, den Architekten Otto Prott, damit beauftragte, ein Weingut aus Stahlbeton zu planen, schüttelten die Kindenheimer nur ungläubig die Köpfe. Emil Kreutzenberger verkaufte nicht nur den alten Hof im Dorf, sondern auch alle Tiere und Zuckerrübenfelder. Er setzte künftig nur noch auf Wein – an einem Ort, der den Zeitgeist der Moderne regelrecht in sich trug: Denn ganz am Ortsrand, mit Blick über die hügeligen Felder, ließ er ein Gebäude im Stil der Neuen Sachlichkeit entstehen. Ein Haus, das sich deutlich von den übrigen Häusern der 1000-Seelen-Gemeinde unterscheiden sollte. Mit seinem Flachdach, den geschwungenen Fensterbändern. Und einer Fahnenstange, die noch heute tatsächlich so wirkt, als würde sie den Bug eines Ozeandampfers krönen.
Heute gehört das Weingut zu den 100 bedeutendsten Bauhaus-Gebäuden in Deutschland – auserwählt von der Bauhaus-Kooperation Berlin, Dessau und Weimar. Es ist Teil der „Grand Tour der Moderne“, einer deutschlandweiten Route zu wichtigen Orten der legendären Kunst- und Designschule. Jochen Kreutzenberger hat inzwischen unzählige Magazintexte und Architekturkritiken gesammelt und schon vor 30 Jahren erkannt, welche Bedeutung diese Architektur hat – seitdem prangt die Silhouette von Otto Protts Weingutsentwurf auf den Etiketten seiner Flaschen. „Ich kann nur erahnen, wie visionär die Entscheidungen meines Großvaters damals waren.“ Und wie viel Mühe es ihn gekostet haben muss, das Familienerbe vor anderen zu verteidigen.