Das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen ist dem modernen Menschen verloren gegangen. Astrid Eichelroth will das ändern. Seit rund 25 Jahren führt sie die Besucher des  Heilkräutergartens im Weinheimer Schlosspark durch ihre bunte und duftende Bibliothek jahrhundertalter Arzneimittel.

Nur ein paar Stufen geht es hinunter – und doch ist man am Fuße der schiefen Steintreppe wie in einer anderen Welt. Friedlich ist es hier, voller Farben, Aromen und Düfte, die Luft erfüllt vom Summen und Zirpen unzähliger kleiner Lebewesen. Im Hintergrund erheben sich die sattgrünen Hänge des Odenwalds, während der altehrwürdige Wehrturm „Blauer Hut“ stumm über der Szenerie zu wachen scheint. „Dieser Garten hat etwas Heilendes“, sagt Astrid Eichelroth und schaut sich mit einem sanften Lächeln um. „Man spürt geradezu die Verbindung zwischen Menschen und Pflanzen.“

Schon immer eine besondere Beziehung zur Natur: die Weinheimer „Kräuterfee“ Astrid Eichelroth.

Man erkennt die Weinheimer „Kräuterfee“ auch, ohne sie jemals zuvor getroffen zu haben. Ein breitkrempiger heller Strohhut, der Blick wach und wissend, die gesunde Haut eines Menschen, der einen Großteil seines Lebens an der frischen Luft verbracht hat. Alle paar Schritte bleibt sie stehen, streicht über ein paar Blätter oder fährt mit der Hand durch die Erde.

Es ist vor allem der 69-jährigen Eichelroth zu verdanken, dass hier, in einer vormals etwas vernachlässigten Ecke des Weinheimer Schlossparks, eine Oase der Naturheilkunde entstanden ist. Wo früher hauptsächlich Vierbeiner ihr Geschäft erledigen durften, sprießen heute Weißdorn und Frauenmantel, Natternkopf und Lavendel, Sonnenhut und Ballonblume. In unermüdlicher ehrenamtlicher Arbeit hat Eichelroth den Heilpflanzengarten seit 1995 angelegt, gepflegt und umsorgt – allein unterstützt von Spenden und einer Handvoll Helferinnen. „Ich hatte schon immer eine besondere Beziehung zur Natur“, sagt sie.

Bis heute ist die ehemalige Waldorf-Lehrerin täglich für drei bis vier Stunden zwischen Sträuchern und Kräutern zu finden. Sie kümmert sich dann um ihre Schützlinge, immer wieder gibt sie auch interessierten Besuchern spontan Auskunft und Rat zur Heilkraft einzelner Pflanzen. Man kennt und schätzt ihre Expertise in der Zwei-Burgen-Stadt an der Bergstraße. „Hätte ich ein Handy, käme ich wohl gar nicht mehr zur Ruhe“, sagt sie und lacht.

Dieses zunehmende Interesse an der Naturheilkunde freut sie natürlich. Dennoch macht sie immer wieder die gleiche Beobachtung: „Das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen ist uns fast vollständig verloren gegangen. Heute können viele Menschen nicht einmal mehr ein Maiglöckchen von Bärlauch unterscheiden.“ Eichelroth sagt das mit ehrlichem Bedauern, ganz ohne Zynismus. Und sie will das ändern. Regelmäßig führt sie deshalb Besuchergruppen durch das Gelände des Heilpflanzengartens, bietet Kurse zur Herstellung von Salben oder Kräuterseifen an.

„Heilmittel muss man verschenken, damit sie wirken“.

Über 200 verschiedene Heil-, Duft- und Arzneipflanzen lassen sich mittlerweile in den über vier Terrassen angelegten Beeten finden. Das Besondere: Wie in den Regalen einer Apotheke sind die Pflanzen nach ihren Heilkräften gruppiert. Wen es nach also allzu üppigen Mahlzeiten öfters mal drückt und zwickt, der könnte im Magen-Darm-Beet Hilfe finden. Denn hier finden sich bekannte Namen wie Wermut oder Estragon, deren natürliche Bitterstoffe die Verdauung anregen sollen. Nelkenwurz oder Lavendelblüten empfiehlt Expertin Eichelroth dagegen, wenn die gegenteilige Wirkung erwünscht ist.

Mit allen Sinnen kann man sich seinen Weg durch den Weinheimer Heilpflanzengarten erschließen. Nach feinster Zartbitterschokolade duftet etwa die Schokoladenblume, die Blätter der Süssdolde hingegen erinnern beim Kauen an Lakritz. Völlig unbekümmert sollte man beim Besuch des Gartens allerdings nicht auf Entdeckerreise gehen: „Wir haben hier auch sehr viele hochgiftige Pflanzen“, warnt Eichelroth. „Damit arbeite selbst ich nicht.“ Im Herz-Kreislauf-Beet wächst beispielsweise der Rote Fingerhut. Schon der Verzehr von zwei Blätter kann tödlich sein.

„Das ist eine tolle Pflanze“, ruft Eichelroth dann und bleibt vor einem Beet stehen, in dem ein kleines gelbes Schild mit der Aufschrift „Haut-Knochen-Verletzungen“ steckt. Der Beinwell, eine kniehohe Pflanze mit kelchförmigen Blüten und langen spitzen Blättern hat es ihr dort angetan. „Der hilft bei allen Beschwerden des Bewegungsapparats, früher hat man ihn vor allem bei Knochenbrüchen eingesetzt“, erklärt Eichelroth.

Und nicht nur die Weinheimer Fachfrau ist ein Fan der Heilpflanze, deren Wirksamkeit mittlerweile auch in wissenschaftlichen Studien nachgewiesen wurde. Schon der englische Arzt Nicholas Culpeper schrieb im 17. Jahrhundert: „Der Beinwell hat eine solche Kraft zu heilen und zusammenzufügen, dass zerteilte Fleischstücke wieder zusammenwachsen, wenn man sie mit Beinwell in einem Topf kocht.“

Soweit würde Eichelroth wohl nicht gehen. Sie weiß von der Heilkraft der Natur, als universelle Wundermittel würde sie ihre Salben und Tinkturen aber deshalb niemals bezeichnen. Geld möchte sie für die Produkte aus ihrem Garten sowieso nicht haben: „Heilmittel muss man verschenken, damit sie wirken“, sagt sie und lächelt. „Ich bin in dieser Hinsicht vielleicht etwas eigen, aber irgendwann kommt dann auch etwas zu einem zurück.“


Heilpflanzengarten im Schlosspark Weinheim

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