Gärtner aus Leidenschaft pflegen gerne ihr internationales Netzwerk. Wie Professor Cassian Schmidt, der Leiter des Schau- und Sichtungsgartens Hermannshof in Weinheim. Der Gärtnermeister und Diplom-Ingenieur für Landschaftsarchitektur sammelt Samen und Früchte, die an der Bergstraße zu besonderer Pracht erblühen.

 

Wenn Cassian Schmidt im wissenschaftlichen Auftrag mal wieder ferne Länder bereist, kehrt er selten ohne „Mitbringsel“ zurück, sei es aus den USA, aus China, Russland oder Kirgistan. Es ist eine Art „Mundraub“ – für seinen Hermannshof. Fast immer trifft sich der Natur-Professor mit Kollegen, tauscht Samen oder kleine Pflanzen aus. Im Gepäck trägt er dann auch Inspirationen für neue Pflanzenkombinationen und Gestaltungsideen. Er beschreibt: „Für mich ist es das Wichtigste, die Pflanzen in ihrer natürlichen Umgebung gesehen zu haben.“ Dann weiß er, was sie mögen, um zu gedeihen. Schmidt besucht Gärten und Wälder, lässt sich inspirieren für Zuhause. Dieses Zuhause ist 2,2 Hektar groß und ein botanisches Kleinod.

Leiter des Schau- und Sichtungsgartens Hermannshof in Weinheim: Prof. Cassian Schmidt

Der Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof gehört zu den schönsten, abwechslungsreichsten und geschichtsträchtigsten Botanischen Gärten in ganz Deutschland und Europa. Er steht im Besitz der Unternehmensgruppe Freudenberg, die auch 75 Prozent der jährlichen Kosten trägt, den Rest schießt die Stadt Weinheim dazu. Und er ist als vorwiegend privat finanzierter Staudensichtungsgarten einzigartig – nicht nur in der Metropolregion Rhein-Neckar. Im Garten, der ganzjährig kostenlos geöffnet ist, stehen uralte Bäume. Sie scheinen sich Geschichten zuzuraunen. Wie jene der fast 140 Jahre alten Myrte. Sie wuchs aus einem Brautstrauß, den Helene Siegert trug, als sie 1879 mit dem Lederfabrikanten Hermann Ernst Freudenberg vor den Traualtar trat. Heute ist die größte und älteste Myrte Deutschlands, seit 2017 sogar ein offizieller deutscher Rekordbaum, rund 8 m Meter hoch und breit; jeden Winter bauen die Gärtner ein eigenes Überwinterungshaus um den Baum herum.

Einige heute ausgewachsene Bäume sind als Samen in Cassian Schmidts Handgepäck nach Deutschland gereist, um im botanischen Garten in Sichtweite des Weinheim Schlosses Wurzeln zu schlagen. Einige asiatische Magnolienarten sind auf diesem besonderen Luftweg im chinesischen Quartier des rund 2,2 Hektar großen Gartens angekommen; auch die Myoga-Pflanze, der Chinesische Ingwer. Ihre botanischen „Eltern“ wurzeln im Garten eines chinesischen Hotels. Wie andere Leute ihren Kindern und Freunden Geschenken von Reisen mitbringen, gehören Schmidts Mitbringsel eben seinem Garten.

Die Methusaleme unter den knorrigen Denkmälern sind eine Orientalische und eine Ahornblättrige Platane; jede ist 233 Jahre alt. Ein Ginkgo zählt 113 Jahre, die Glyzinie, die sich abenteuerlich um eine Pergola knotet, ist mit rund 85 Jahren im Vergleich noch ein Jungspund. Sie erblüht Ende April bis Anfang Mai atemberaubend violetten Wucht und bildet einen beeindruckenden Wandelgang für Brautpaare auf Motivsuche.

„Wir erforschen, wie es gelingt, dass Pflanzen im öffentlichen Grün schön aussehen, den Menschen gefallen, eine Stadt aufwerten und trotzdem so wenig Pflegeaufwand wie möglich benötigen“.

Der Hermannshof ist ein altehrwürdiger Garten; ein Ort, an dem die Zeit stillsteht. Und doch: seit Dipl. Ing. Prof. Cassian Schmidt dieses Kleinod leitet, ja gestaltet, seit jetzt fast 20 Jahren, ist alles ein bisschen anders. Der Mann hat dem Garten einen Stempel aufgedrückt. Der Hermannshof mit seinen rund 2000 verschiedenen Staudenarten ist schön – aber auch lehrreich und für wissenschaftliche Fragestellungen aufgestellt, blühende Landschaften für Akademiker. Für die Geisenheim University im Rheingau ist der Hermannshof eine Art wissenschaftlicher Vorgarten; dort lehrt Cassian Schmidt auch sein Metier: im Studiengang Landschaftsarchitektur mit Schwerpunkt Pflanzplanung und Pflanzenverwendung… Das Fach hat er in den 80er-Jahren selbst in Weihenstephan studiert – nach einer handfesten Gärtnerlehre, von der Pike auf. Seine Diplomarbeit widmete sich dem Thema, wie Konversionsflächen nach dem Abzug amerikanischer Truppeneinheiten künftig landschaftlich reizvoll und nutzbar gestaltet werden können. Da hat Cassian Schmidt einen Blick auf die Schnittmenge von Landschaftsarchitektur und Politik erhalten.

Die wichtigste Zeit für seine weitere Laufbahn und die Sicht der Dinge im Allgemeinen waren aber weitere Lehrjahre in verschiedenen Gartenbaubetrieben, insbesondere in einer Staudengärtnerei und Baumsschule in Maryland/USA. Diese Zeit habe ihn geprägt, sagt er selbst. Der Hang zu den Staaten, vor allem zu jenen des wohlhabenden Ostens der USA, ist geblieben. Schmidt und sein Hermannshof sind in den USA in Fachkreisen ein Begriff. Als der niederländische Gartengestalter Piet Oudolf eine stillgelegte Hochbahntrasse in New York bepflanzte und als Touristenattraktion gestaltete, die „Highline“, entlieh er sich auch Pflanzbeispiele und vor allem handfeste Zahlen zum zu erwartenden Pflegeaufwand aus dem Hermannshof.

Aus zahlreichen Städten Europas und den USA besuchen Stadt- und Grünplaner häufig den Weinheimer Garten. Sie kommen, um sich zu erfreuen und zu lernen. Denn in Prof. Cassian Schmidts Garten gehen Pflanzen an ihre Grenzen. „Wir erforschen, wie es gelingt, dass Pflanzen im öffentlichen Grün schön aussehen, den Menschen gefallen, eine Stadt aufwerten und trotzdem so wenig Pflegeaufwand wie möglich benötigen und gleichzeitig stresstolerant sind“, beschreibt der Gartenleiter, der auch Wissenschaftler ist. Stresstoleranz der Pflanzen bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem: weniger Wasserbedarf! Und deutlich weniger Arbeitseinsatz. Beides zusammen kann für eine Großstadt Hunderttausende Euro (oder Dollar), mitunter Millionen an Einsparungspotential bedeuten. Es gibt einen Arbeitskreis „Pflanzenverwendung“, den Schmidt seit vielen Jahren leitet. Dessen Mitglieder wie Hochschulprofessoren und Leiter von Versuchsanstalten beschäftigen sich unter anderem mit zukünftigen Möglichkeiten für kostensparende und gleichzeitig attraktive Bepflanzungsmöglichkeiten im Verkehrsbegleitgrün. In den letzten 15 Jahren wurden durch dieses Team von Experten über 35 attraktive, pflegereduzierte Pflanzmodule, sogenannte „Staudenmischpflanzungen“, für das öffentliche und private Grün entwickelt und jeweils über mehrere Jahre getestet (http://www.stauden.de).

International bekannt – nicht nur in Fachkreisen – wurde der Hermannshof durch seinen einzigartigen Präriegarten, den Schmidt 2001 angelegt hat und der mit deutlich weniger Pflege wächst und gedeiht als konventionelle Staudenrabatten – der Herbst malt dort einen mystischen „Indian Summer“. Auf der „Highline“ in New York sieht es ähnlich aus. „Es kommt darauf an, dass die richtige Pflanze am richtigen Ort steht und mit den richtigen Begleitpflanzen zusammenwächst, so dass es langfristig ein funktionierendes System ergibt, in das der Gärtner möglichst wenig eingreifen muss“, beschreibt Schmidt, der weltweit zu den anerkanntesten Fachautoren für Effizienz und Kostenersparnis beim so genannten Öffentlichen Grün – ohne ästhetische Verluste – gehört. Attraktiv und preiswert. Der Klimawandel verleiht dem Thema weitere Relevanz. Es wird heißer. Wer heute in seiner Stadt so pflanzt wie vor 30 Jahren, mit Gewächsen, die viel Wasser brauchen, der schmeißt Geld zum Fenster hinaus. Wer es modern anstellen will, effizient, ökologisch und ökonomisch auf einmal, der schaut es sich vom Hermannshof in Weinheim ab.

Der Besucher merkt bei seinem Lustwandel nicht, dass er sich in einem Labor der Jahreszeiten befindet; er nimmt das Schöne wahr und das Üppige. Er spaziert durch Vegetationen und botanische Weltregionen, die auf das Format eines größeren Wohnzimmers geschrumpft sind. 5000 bis 6000 Arbeitsstunden pro Jahr bewahren einen Zustand, der gepflegt aber nie unnatürlich wirkt. Der Garten ist in sieben Lebensbereiche eingeteilt, welche die natürlichen Standortverhältnisse berücksichtigten und unterschiedliche Vegetationsbilder aus der Natur gestalterisch neu interpretieren, so dass sie gartentauglich sind, von Wasserrand- bis Steinanlagen. Eine kraftstrotzende Bananenstaude aus den Monsunwäldern Chinas hat dort genauso ihren Platz wie nordamerikanische oder zentralasiatische Graslandschaften, die mit dem Nötigsten auskommen. Die ersten Krokusse im Februar oder März werden von einem Meer von Tulpen im April abgelöst. Die Natur hat nicht nur eine schöne Seite. Im Hermannshof sieht man sie alle.


Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof e.V.

www.weinheim.de

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