Die Methusaleme unter den knorrigen Denkmälern sind eine Orientalische und eine Ahornblättrige Platane; jede ist 233 Jahre alt. Ein Ginkgo zählt 113 Jahre, die Glyzinie, die sich abenteuerlich um eine Pergola knotet, ist mit rund 85 Jahren im Vergleich noch ein Jungspund. Sie erblüht Ende April bis Anfang Mai atemberaubend violetten Wucht und bildet einen beeindruckenden Wandelgang für Brautpaare auf Motivsuche.
„Wir erforschen, wie es gelingt, dass Pflanzen im öffentlichen Grün schön aussehen, den Menschen gefallen, eine Stadt aufwerten und trotzdem so wenig Pflegeaufwand wie möglich benötigen“.
Der Hermannshof ist ein altehrwürdiger Garten; ein Ort, an dem die Zeit stillsteht. Und doch: seit Dipl. Ing. Prof. Cassian Schmidt dieses Kleinod leitet, ja gestaltet, seit jetzt fast 20 Jahren, ist alles ein bisschen anders. Der Mann hat dem Garten einen Stempel aufgedrückt. Der Hermannshof mit seinen rund 2000 verschiedenen Staudenarten ist schön – aber auch lehrreich und für wissenschaftliche Fragestellungen aufgestellt, blühende Landschaften für Akademiker. Für die Geisenheim University im Rheingau ist der Hermannshof eine Art wissenschaftlicher Vorgarten; dort lehrt Cassian Schmidt auch sein Metier: im Studiengang Landschaftsarchitektur mit Schwerpunkt Pflanzplanung und Pflanzenverwendung… Das Fach hat er in den 80er-Jahren selbst in Weihenstephan studiert – nach einer handfesten Gärtnerlehre, von der Pike auf. Seine Diplomarbeit widmete sich dem Thema, wie Konversionsflächen nach dem Abzug amerikanischer Truppeneinheiten künftig landschaftlich reizvoll und nutzbar gestaltet werden können. Da hat Cassian Schmidt einen Blick auf die Schnittmenge von Landschaftsarchitektur und Politik erhalten.
Die wichtigste Zeit für seine weitere Laufbahn und die Sicht der Dinge im Allgemeinen waren aber weitere Lehrjahre in verschiedenen Gartenbaubetrieben, insbesondere in einer Staudengärtnerei und Baumsschule in Maryland/USA. Diese Zeit habe ihn geprägt, sagt er selbst. Der Hang zu den Staaten, vor allem zu jenen des wohlhabenden Ostens der USA, ist geblieben. Schmidt und sein Hermannshof sind in den USA in Fachkreisen ein Begriff. Als der niederländische Gartengestalter Piet Oudolf eine stillgelegte Hochbahntrasse in New York bepflanzte und als Touristenattraktion gestaltete, die „Highline“, entlieh er sich auch Pflanzbeispiele und vor allem handfeste Zahlen zum zu erwartenden Pflegeaufwand aus dem Hermannshof.
Aus zahlreichen Städten Europas und den USA besuchen Stadt- und Grünplaner häufig den Weinheimer Garten. Sie kommen, um sich zu erfreuen und zu lernen. Denn in Prof. Cassian Schmidts Garten gehen Pflanzen an ihre Grenzen. „Wir erforschen, wie es gelingt, dass Pflanzen im öffentlichen Grün schön aussehen, den Menschen gefallen, eine Stadt aufwerten und trotzdem so wenig Pflegeaufwand wie möglich benötigen und gleichzeitig stresstolerant sind“, beschreibt der Gartenleiter, der auch Wissenschaftler ist. Stresstoleranz der Pflanzen bedeutet in diesem Zusammenhang vor allem: weniger Wasserbedarf! Und deutlich weniger Arbeitseinsatz. Beides zusammen kann für eine Großstadt Hunderttausende Euro (oder Dollar), mitunter Millionen an Einsparungspotential bedeuten. Es gibt einen Arbeitskreis „Pflanzenverwendung“, den Schmidt seit vielen Jahren leitet. Dessen Mitglieder wie Hochschulprofessoren und Leiter von Versuchsanstalten beschäftigen sich unter anderem mit zukünftigen Möglichkeiten für kostensparende und gleichzeitig attraktive Bepflanzungsmöglichkeiten im Verkehrsbegleitgrün. In den letzten 15 Jahren wurden durch dieses Team von Experten über 35 attraktive, pflegereduzierte Pflanzmodule, sogenannte „Staudenmischpflanzungen“, für das öffentliche und private Grün entwickelt und jeweils über mehrere Jahre getestet (http://www.stauden.de).
International bekannt – nicht nur in Fachkreisen – wurde der Hermannshof durch seinen einzigartigen Präriegarten, den Schmidt 2001 angelegt hat und der mit deutlich weniger Pflege wächst und gedeiht als konventionelle Staudenrabatten – der Herbst malt dort einen mystischen „Indian Summer“. Auf der „Highline“ in New York sieht es ähnlich aus. „Es kommt darauf an, dass die richtige Pflanze am richtigen Ort steht und mit den richtigen Begleitpflanzen zusammenwächst, so dass es langfristig ein funktionierendes System ergibt, in das der Gärtner möglichst wenig eingreifen muss“, beschreibt Schmidt, der weltweit zu den anerkanntesten Fachautoren für Effizienz und Kostenersparnis beim so genannten Öffentlichen Grün – ohne ästhetische Verluste – gehört. Attraktiv und preiswert. Der Klimawandel verleiht dem Thema weitere Relevanz. Es wird heißer. Wer heute in seiner Stadt so pflanzt wie vor 30 Jahren, mit Gewächsen, die viel Wasser brauchen, der schmeißt Geld zum Fenster hinaus. Wer es modern anstellen will, effizient, ökologisch und ökonomisch auf einmal, der schaut es sich vom Hermannshof in Weinheim ab.
Der Besucher merkt bei seinem Lustwandel nicht, dass er sich in einem Labor der Jahreszeiten befindet; er nimmt das Schöne wahr und das Üppige. Er spaziert durch Vegetationen und botanische Weltregionen, die auf das Format eines größeren Wohnzimmers geschrumpft sind. 5000 bis 6000 Arbeitsstunden pro Jahr bewahren einen Zustand, der gepflegt aber nie unnatürlich wirkt. Der Garten ist in sieben Lebensbereiche eingeteilt, welche die natürlichen Standortverhältnisse berücksichtigten und unterschiedliche Vegetationsbilder aus der Natur gestalterisch neu interpretieren, so dass sie gartentauglich sind, von Wasserrand- bis Steinanlagen. Eine kraftstrotzende Bananenstaude aus den Monsunwäldern Chinas hat dort genauso ihren Platz wie nordamerikanische oder zentralasiatische Graslandschaften, die mit dem Nötigsten auskommen. Die ersten Krokusse im Februar oder März werden von einem Meer von Tulpen im April abgelöst. Die Natur hat nicht nur eine schöne Seite. Im Hermannshof sieht man sie alle.
Schau- und Sichtungsgarten Hermannshof e.V.
www.weinheim.de