Zeitgenössischer Tanz in einer denkmalgeschützten Kirche. Was wie ein Widerspruch klingt, hat sich als Glücksfall für einen ganzen Stadtteil erwiesen: Mit dem EinTanzHaus hat Leiterin Daria Holme gemeinsam mit ihrem Team die Mannheimer Trinitatiskirche wieder zu einem Ort gemacht, der Menschen zusammenbringt.
Getanzt wurde in der Mannheimer Trinitatiskirche schon immer. Doch lange Zeit waren es nur die Farben. Von der Sonne zum Leuchten gebracht, flimmern sie über Boden und Bänke, über Holz und Beton. Die bunten Dickglaselemente verändern die Atmosphäre – je nachdem, welche Tages-, welche Jahreszeit ist. Ob es bewölkt ist oder die Sonne scheint. Dann erstrahlt um 11 Uhr der weite, offene Innenraum der Kirche. Und um 16 Uhr bringt die Nachmittagssonne den Beton zum Leuchten, malt ihn in kräftigen, bunten Farben an.
Daria Holme erinnert sich noch genau an ihren ersten Besuch in der Trinitatiskirche 2015. Natürlich kannte sie den Bau, sie ist in Mannheim aufgewachsen. „Ich habe ihn aber nie richtig wahrgenommen. Er wirkte so verschlossen, fast hermetisch.“ Dass die kleinen Glasflächen im Inneren so eine Kraft entfalten können, beeindruckte sie. „Wir standen da und alles hat sofort Sinn gemacht. Unsere Idee, diese einzigartige Atmosphäre. Licht und Tanz.“ Dabei war damals noch gar nicht sicher, dass sich ihre Idee durchsetzen wird. Dass aus der Mannheimer Trinitatiskirche ein Haus für zeitgenössischen Tanz wird.
Nach dem Zweiten Weltkrieg war im Quadrat G 4 in der Mannheimer Innenstadt, dort, wo zuvor die alte Trinitatiskirche stand, nur noch ein Trümmerhaufen. Ein Wiederaufbau, ein Neubau? Die Gemeinde diskutierte lange. Schließlich erhielt Helmut Striffler den Auftrag, eine neue Kirche zu errichten. Es sollte ein modernes Kirchengebäude werden, ein Neuanfang. Für den jungen Architekten war es eine Chance, in Mannheim das weiterzudenken, was er als Bauleiter für Egon Eiermanns Matthäuskirche in Pforzheim angefangen hatte. Ein Bau aus Sichtbeton und Glas, angelehnt an die gotische Kathedralen-Architektur, mit einem gestreckten Sechseck als Grundriss und einem freien, stützenlosen Innenraum.
Von außen wirkt die Trinitatiskirche auf den ersten Blick eher verschlossen.
Doch die Kirche lässt dank des säulenlosen Innenraums viel Platz zum Atmen - und Tanzen.
Immer wieder bauen die Tänzer*innen die Kirche in ihren Auftritt bewusst mit ein. Wie hier die Junior Dance Company. Foto: Lys Y. Seng
Beim EinTanzParcour entdeckte das La_Trottier Dance Collective neue Perspektiven mit und in der Kirche. Foto: Lys Y. Seng
Leiterin Daria Holme auf dem Weg zur Empore...
...wo heute die Technik steckt.
Die neue Trinitatiskirche fand weltweit Beachtung, wurde in Architektenkreisen gefeiert und ist seit 1995 ein Kulturdenkmal von besonderer Bedeutung. Doch die Pfarrgemeinde wurde nie richtig warm mit dem kühlen Betonbau. Sie nutze ihn immer seltener, es wurde still in der Trinitatiskirche. Schon zu Lebzeiten von Helmut Striffler gab es Umnutzungspläne – sie scheiterten alle. Teils auch am heftigen Widerstand des Architekten selbst. Dann schrieb die Kirche 2015 einen Ideenwettbewerb für eine Zwischennutzung aus.
„Wir wollten von Anfang an ein offenes Haus.“
Daria Holme
Zur gleichen Zeit war Daria Holme gemeinsam mit dem Choreographen Éric Trottier auf Tour durch Mannheim, auf der Suche nach einem Ort für ihre Idee: einem Raum für zeitgenössischen Tanz. Daria Holme hat in Amsterdam studiert und danach als freie Grafikerin und Konzeptentwicklerin im Kulturbereich gearbeitet – zunächst in den Niederlanden, dann in Karlsruhe und schließlich wieder in ihrer Heimatstadt. Zunächst schwebte beiden ein mobiles Konzept vor, ähnlich dem des namensverwandten Einraumhauses, das zeitgenössischer Kunst in Mannheim einen Raum gibt. „Wir sind voller Enthusiasmus – und Naivität – losgerannt.“ Daria Holme lacht. Doch bald merkten sie, dass mit einem Publikum auch mehr Auflagen zu erfüllen sind, die ihren Enthusiasmus doch etwas bremsten. Dann lasen sie vom Ideenwettbewerb. „Wir dachten: ‚Kann man sich ja mal anschauen‘“. Doch bereits beim ersten Besuch war ihr klar: Es ist der perfekte Ort für das EinTanzHaus. „Es war schon so viel da.“ Die Lage mitten in der Stadt, die gute Erreichbarkeit. Der große, freie Raum als Bühne. Die Höhe. Die besondere Atmosphäre. Der Entwurf, den sie gemeinsam mit der Mannheimer Architektin Mireille Solomon einreichten, ergab sich „fast von selbst“, wie Daria Holme erzählt. „Es fühlte sich so natürlich an.“ Der Entwurf setzte sich durch. Aus der Bühne für das Licht wurde eine Bühne für den Tanz.
Der feste Ort mitten in der Stadt gab ihrer Idee eine neue Richtung. „Wir wollten von Anfang an ein offenes Haus.“ Es sollte kein Ort werden, der am Freitagabend seine Türen für das Kulturpublikum öffnet und nach dem Wochenende wieder schließt. „Wir wollten ein Treffpunkt für das Viertel, einen Ort, der Menschen zusammenbringt – egal, ob sie hier nun eine Veranstaltung besuchen oder nicht.“ Daria Holme sitzt auf einer Bank direkt am Eingang, als sie diese Sätze sagt. Die Sonne scheint, der Geruch von frischgebackener Pizza weht die Stufen hoch. Auf der Terrasse vor der Kirche hat die Pizzeria Salerno Tische und Stühle aufgestellt. Als „Glücksfall“ bezeichnet Daria Holme die Nachbarschaft. „So wie es ist – das hätten wir gar nicht planen können.“ Auf dem Podest, rund um die große Platane an der Straßenecke, macht ein junges Paar Pause im Schatten. Ihre einjährige Tochter tapst über die Holzplanen.
Die Türen der Kirche stehen fast immer offen. Auch bei Proben können neugierige Besucher zuschauen. „Es kommen immer wieder Leute, die erzählen, dass sie hier in der Kirche getauft wurden oder geheiratet haben und sich freuen, dass die Kirche wieder auf ist“, erzählt Daria Holme. Ab und an wandern Architektengruppen durch den Bau – dessen Umnutzungskonzept inzwischen mehrfach mit Preisen ausgezeichnet wurde – und zu besonderen Anlässen nutzt die Gemeinde die Kirche weiterhin für Gottesdienste. Neben den Veranstaltungen am Wochenende finden im EinTanzHaus auch Workshops und Kurse für Laien statt. Vom kreativen Kindertanz über Breakdance bis zum Tanzfest für ältere Menschen. Gerade wärmen sich in der Kirche einige Jugendliche für den Kurs Contemporary Technique & Junior Training auf. „Denkt daran: Es gibt kein richtig und falsch. Findet heraus, wie sich euer Körper bewegen kann“, erinnert sie Tanzlehrer Jonas Frey, der gemeinsam mit Julie Pécard auch die 2018 gegründeten Junior Dance Company leitet.
„Der zeitgenössische Tanz sucht nach möglichen Bewegungsformen des Körpers, nicht nach perfekten Bewegungsabläufen“, erklärt Daria Holme. Für sie ist Tanz vor allem Bewegung. Auf der Bühne ebenso wie im Alltag. „Jedes Überqueren einer Straße, jedes Gestikulieren, jede Umarmung und jedes Gespräch ist ein Bewegungsablauf. Deshalb ist für mich Tanz etwas, das Menschen wirklich verbindet.“ Und genauso möchte sie ihn mit dem EinTanzHaus vermitteln.
Für drei Jahre war die Zwischennutzung ursprünglich geplant. Bereits im Sommer 2020 wurde sie um weitere drei Jahre verlängert. Architektin Mireille Solomon achtete in ihrem Entwurf darauf, so wenig wie möglich in die Architektur der Kirche einzugreifen. Die Technik sitzt auf der Empore, die Garderobe ist im Altarbereich. Die Kanzel, das Taufbecken und der Altar wurden dafür überbaut – und so auch geschützt. Alle Änderungen sind leicht zurückbaubar. Die alten Kirchenbänke sind nun Teil der Zuschauertribüne und die Bühne im Innenraum umgibt ein rund sechs Meter hohes Metallgerüst, an dem Lampen und schwarze Vorhänge angebracht werden können. Doch ganz dunkel wird es nie in der Kirche – und auch nie ganz still. Das Licht und die Geräusche der Stadt dringen immer nach innen. Vogelzwitschern, spielende Kinder, vorbeifahrende Autos. „Ich finde das schön“, sagt Daria Holme. „Dass alle, die hier auftreten, auch mit der Kirche und mit der Stadt kommunizieren müssen.“ Ein Haus, das verbindet.
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