Radtouren im Rhein-Neckar-Kreis bieten eigentlich immer schöne Ausblicke. Die App Weitersehen ermöglicht nun auch Einblicke, die über die Realität hinaus gehen. Mit Hilfe von Augmented Reality wird Unsichtbares sichtbar, längst Vergangenes lebendig und Geschichte erlebbar. Dann steht auch mal ein Säbelzahntiger mitten auf dem Weg oder werden Pilze groß wie Bäume.
Den Blick fest auf das Tablet vor sich gerichtet, geht Annina Lucke den Waldweg entlang. Vorbei an riesigen, alten Baumstämmen, die kreuz und quer aufeinanderliegen. Von Sträuchern, jungen Bäumen und Moos überwuchert. Ein Totholzgarten, der im Waldschutzgebiet Schwetzinger Hardt angelegt wurde, um seltenen Tieren und Pflanzen eine Heimat zu geben. Wie dem zierlichen Haarzungen-Faulholzkäfer oder dem olivgrünen Braunsporrindenpilz – beides stark gefährdete Arten.
Zu sehen sind sie zwischen all dem Holz allerdings nicht. Annina Lucke dreht sich jetzt um sich selbst, wirkt kurz etwas verloren. Dann hat sie gefunden, was sie sucht. „Ah, hier ist das Portal“, sagt sie. Mit Blick auf ihr Tablet macht Lucke einen großen Schritt nach vorne und schaut sich staunend um. Sie steht in einem Wald aus baumhohen Pilzen, links krabbelt ein riesiger Hirschkäfer, weiter hinten ist ein Marienprachtkäfer zu sehen. Eine Szene, die ein wenig an Alice im Wunderland erinnert. Und für alle, die nicht wissen, welcher der vielen Pilze nun der olivgrüne Braunsporrindenpilz ist, stehen die lateinischen Namen der Tieren und Pflanzen gleich mit dabei. Zumindest, wenn man wie Lucke auf das Tablet schaut – und die App Weitersehen aktiviert hat.
Der Totholzgarten bei Walldorf ist eine Station der (Ur-)Rhein-Route der App, die Annina Lucke mit entwickelt hat. Sie ist im Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis für das Projekt verantwortlich. Zwei Jahre hat es gedauert, die Informationen aus zwölf verschiedenen Kommunen zu sammeln und zu koordinieren, die Routen zu planen und die App zu entwickeln. „Das Projekt ist gleichzeitig auch ein Test, wie Kreise, Städte und Kommunen Augmented Reality für sich nutzen können, welche Möglichkeiten sie bietet“, erklärt sie. Auf die Station am Totholzgarten ist sie besonders stolz. „Sie hat etwas sehr Fantasievolles, als würden die Betrachter:innen durch die App eine Welt betreten, die ihnen normalerweise verborgen bleibt – aber sie bekommen gleichzeitig viel Wissen vermittelt.“
Zwei Rad-Rund-Touren hat der Kreis mit der Weitersehen-App geplant. Die (Ur-)Neckar-Route, die auf anspruchsvollen 37 Kilometern über Neckargemünd, Bammental, Meckesheim und Wiesenbach führt und die 52 Kilometer lange (Ur-)Rhein-Route mit familienfreundlichen Etappen und Stationen in Schwetzingen, Sandhausen, Hockenheim oder Ketsch. 17 sind es insgesamt – derzeit. „Wir können die App jederzeit erweitern, wenn wir weitere, spannende Geschichten über einen Ort entdecken“, sagt Lucke. Denn das ist es, was die App macht: Sie übernimmt die Rolle eines virtuellen Reiseführers und erzählt Geschichten. Darüber, wieviel Leben sich in totem Holz verbergen kann. Oder welche Tiere früher die Rhein-Neckar-Region bevölkert haben. Oder was es mit der Burg unter der Grasnarbe auf sich hat.