Kein Gebäude ist so sehr mit der Landauer Stadtgeschichte verwoben wie das Haus zum Maulbeerbaum. Das findet jedenfalls die Architektin und Denkmalschützerin Gunhild Wolf, die mit 70 Bürger:innen eine Genossenschaft gegründet hat – und so das älteste Haus der Stadt vor dem Abriss bewahrt.
Ein Gebäude, das seit 700 Jahren denselben Namen trägt: Schon das macht das Haus zum Maulbeerbaum zu einer Seltenheit. 700 Jahre – so alt ist die namensgebende Pflanze im Hof in der Marktstraße 92, in unmittelbarer Nähe zum Stiftsplatz und der Fußgängerzone, freilich nicht. Auch wenn Morus nigra, die schwarze Maulbeere, durchaus ein paar Hundert Jahre alt werden kann. Ob der Baum 1987 schon steht, als Gunhild Wolf das Haus zum ersten Mal betritt, kann sie heute nicht mehr sagen. Vielleicht bemerkt sie ihn schlicht nicht bei all dem bröckelnden Putz, aber auch dem „Charme des Alten“, wie sie es heute nennt. Auf der Suche nach einem Wohnhaus stoßen sie und ihr Mann damals auf das historische Gebäude. Spätestens, als sie über einem Fenster im ersten Stock die Reste einer barocken Malerei entdeckt, ist sie hin und weg: „Die habe ich nie mehr vergessen.“
35 Jahre später wandert Wolfs Blick über die Fassade. Obwohl Spanplatten einige Fenster verdecken und Löcher das Mauerwerk durchbohren, ist sie sichtlich stolz: „Das war noch viel schlimmer!“, ruft sie, nach wie vor empört über den Zustand des Gebäudes – nicht nur bei ihrem ersten Besuch 1987, sondern auch 2011, als sie einen Verein gründet, um das älteste Haus der Stadt zu retten. Dass es heute überhaupt noch steht, ist auch und vor allem ihr Verdienst.
Dabei wissen die junge Gunhild Wolf und ihr Mann schnell, dass sie das Haus nicht für sich kaufen wollen: zu groß, zu wenig Grün drumherum. Doch das Anwesen geht ihr nicht aus dem Kopf. Seit ihrer Lehre als Bauzeichnerin fühlt sie sich zu alten Häusern hingezogen, studiert Architektur und spezialisiert sich auf Denkmalpflege. Alt, das ist das Haus zum Maulbeerbaum allemal: Ende des 13. Jahrhunderts wird es zum ersten Mal als Adelshof eines Ritters erwähnt. In den kommenden Jahrhunderten gehen Adlige ebenso ein und aus wie Marktbesucher, kurpfälzische Gefangene, französische Offiziere und Schausteller mit Seelöwen und Krokodilen. Eines der bedeutendsten Treffen, das sich hier ereignet, führt je nach Quelle gleich bis zu 600 Ritter zusammen. Bis kurz vor dem Zweiten Weltkrieg lagern jüdische Kaufleute in den Räumen Waren aus aller Welt und betreiben im ersten Stock ein koscheres Café. Sie sind nicht die ersten, die hungrige Gäste empfangen: 400 Jahre lang sind hier Wirtsstuben untergebracht.