Bei Bad Dürkheim zieht sich ein Steinwall durch den Wald, mehrere Kilometer lang. Zu Zeiten der Kelten könnte hier die älteste Stadt der Pfalz gelegen haben. Auf dem Kästenberg, gut 170 Meter über dem Isenachtal. Aber wer wohnte dort? Und warum wurde die Stadt so plötzlich wieder verlassen? Eine Spurensuche im Pfälzerwald mit dem Archäologen Thomas Kreckel.

Es sind kleine Hinweise, oft nur Bruchstücke, die Thomas Kreckel auf eine Fährte bringen. Wie die Verfärbungen: dunkle Streifen im Sand. „Ich war schon bei Ausgrabungen dabei, da waren diese Streifen viel klarer erkennbar“, erzählt der Archäologe. „Aber der Boden im Pfälzerwald, gerade hier auf dem Kastanienberg, ist kalkarm, er konserviert Spuren nicht gut.“ Aber dann, als die untergehende Sonne ihre letzten schrägen Strahlen durch die Bäume schickte, war er sich sicher: Diese Verfärbungen hat ein Holzpfosten verursacht, der einst an dieser Stelle stand – als Teil einer Holzkonstruktion, die einer gigantischen Mauer Halt gab. Ein keltischer Ringwall, über zwei Kilometer lang. Er schloss eine Fläche von 26 Hektar ein – etwa die Größe des benachbarten Wachenheim. Eine Stadt, die um 500 vor Christus rund 170 Meter über dem heutigen Bad Dürkheim auf dem Kästenberg thronte.

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Mit Archäologe Thomas Kreckel auf den geheimnisvollen Spuren der Kelten. Musik: Emit Fenn – Alone

„Das muss ein beeindruckender Anblick gewesen sein“, sagt Kreckel. 2,5 bis vier Meter hoch war der Ringwall vermutlich. Sichtbar sind davon heute nur noch die Steine – jede Menge davon. Manchmal deutlich sichtbar, wie ein holpriger Weg durch den Wald, manchmal überwuchert und überwachsen von Moos und Bäumen. Doch wer hier wohnte und warum die Siedlung wieder aufgegeben wurde – das war lange ein Rätsel. Als Heidenmauer wird der Wall oft auch bezeichnet: „Einfach, weil früher alle Funde aus vorchristlicher Zeit pauschal als ‚heidnisch‘ galten“, erklärt Kreckel.

Schon als kleiner Junge wollte Thomas Kreckel Archäologe werden, die Spurensuche in der Geschichte fasziniert ihn.

Der Pfälzer trägt eine Brille mit dünnem Gestell, die Haare schulterlang, den Bart voll. Über ein T-Shirt hat er ein Hemd mit schwarz-weißem Ethno-Muster und eine braune Weste gezogen. Er geht nicht durch den Wald, sondern marschiert. Immer an seiner Seite: Taranis. Der Border Collie ist benannt nach dem keltischen Wetter- und Donnergott. „Schon als Bub“ wollte Kreckel Archäologe werden, erzählt er. Sein Großvater war sehr an Kultur und Geschichte interessiert. „Er ist leider früh gestorben, da war ich gerade drei Jahre alt. Aber ich habe ihn über seine Bücher kennengelernt.“ Sobald er lesen konnte, arbeitete er sich durch die beeindruckende Bibliothek seines Großvaters, in der auch „Götter, Gräber und Gelehrte“, der „Roman der Archäologie“ von C.W. Ceram stand. „Das Buch hat mich begeistert. Danach stand fest, was ich mal werden will.“ Ihn fasziniert die Spurensuche, die Detektivarbeit als Archäologe. „Geschichte wird ja häufig aus Sicht der Mächtigen erzählt. Mich interessiert aber viel mehr, wie die einfachen Leute gelebt haben, wie sie ihren Alltag verbracht haben“.

Gerade steht er an einer Stelle mit Gräben und Mauerteilen, die mehrere Rechtecke bilden. „Das hier war mal die Toranlage, der Eingangsbereich zur Stadt“, erzählt der Archäologe. Die Anlage war stabil gebaut, aber nicht so massiv, dass sie Angriffen lange standgehalten hätte. „Die Mauer galt wohl eher der Repräsentation. Sie sollte zeigen: Da wohnen Leute, mit denen will ich keinen Ärger haben. Aber das sind auch Leute, mit denen kann man gut handeln.“ Von 2004 bis 2006 leitete Kreckel die Ausgrabungen der Archäologischen Denkmalpflege Speyer auf dem Kästenberg. Im Rahmen des Programms „Frühkeltische Fürstensitze“, finanziert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, wollten die Forschenden mehr über die Bewohner:innen der Stadt herausfinden. Und Antworten auf Fragen finden, die seit Jahrhunderten ungeklärt sind.

Geschichte wird ja häufig aus Sicht der Mächtigen erzählt. Mich interessiert aber viel mehr, wie die einfachen Leute gelebt haben, wie sie ihren Alltag verbracht haben

Thomas Kreckel

Denn: dass es diesen Wall gibt, das war bekannt. Doch welche Bedeutung die Stadt hatte, die sogar die früheste Stadt der Pfalz sein könnte, war lange unklar. Bereits 1864 entdeckten Arbeiter beim Bau der Bahnlinie östlich von Bad Dürkheim ein Grab. Doch erstmal wurde einfach weitergebaut. „Später konnten nur noch die Überbleibsel der Grabausstattung geborgen werden.“ Doch selbst diese waren beeindruckend. Eine Kanne aus Bronze, ein goldener Armreif, ein Stabdreifuß, der als Gestell für Gefäße diente – eindeutig etruskisch. Importware aus Italien also. Wer hier begraben wurde, war eindeutig mächtig, reich und hatte gute Handelsbeziehungen: ein frühkeltisches Fürstengrab. „Und aus dem geringen Durchmesser des Armreifs schließen wir, dass es ein Frauengrab ist“, erklärt Kreckel.

Im Stadtmuseum von Bad-Dürkheim ist eine Nachbildung des Grabs der Fürstin zu sehen.

Die Frage war nun: Wo wohnte diese Frau einst? Wo lag der Fürstensitz? „Und da haben wir in Bad Dürkheim ein Luxusproblem. Es gibt sogar zwei Möglichkeiten: Das Plateau, auf dem heute die Ruinen des Klosters Limburg stehen, oder die mysteriöse Stadt innerhalb des Ringwalls.“ Lange vermutete man, die Stadt auf dem Kästenberg sei der Fürstensitz. Kreckel ist sich jedoch mittlerweile sicher: „Die Fürsten lebten auf dem Areal der Limburg.“ Denn alle Spuren, die er und seine Kolleg:innen innerhalb des Ringwalls gefunden haben, deuten darauf hin, dass es die Stadt nicht lange gab. „Der Ringwall weist nur wenige Umbauten auf und die Kulturschicht ist maximal 30 Zentimeter dick“, erklärt Kreckel. Hätten hier mehrere Generationen gelebt, gäbe es deutlich mehr Umbauten, und mehrere Kultur- und Schmutzschichten, die sich aufeinanderlegen.

Dort, wo nun die Ruinen des Klosters Limburg stehen, lag früher ein keltischer Fürstensitz,

Ein bis zwei Generationen lebten vermutlich nur hier. Dann haben die Bewohner:innen die Stadt aufgegeben, die Holzpfosten des Ringwalls herausgerissen und ihn so zum Einsturz gebracht. Nur: Warum? „Da der Boden hier oben nicht wirklich fruchtbar ist, wurde die Stadt vermutlich vor allem zu einem Zweck errichtet: um Handel zu treiben.“ Schließlich liebten die Kelten italienischen Wein und etruskische Handwerkskunst. „Doch genau zu diesem Zeitpunkt ging der Handel abrupt zurück, weil die Etrusker damit beschäftigt waren, sich mit den Griechen um die Vorherrschaft am Mittelmeer zu streiten“, erzählt Kreckel. Die Stadt hat schlicht nicht die Erwartungen erfüllt, die an ihre Gründung geknüpft waren.

Die vielleicht älteste Stadt der Pfalz – aber leider nur von kurzer Dauer.

Im Süden läuft der Ringwall spitz zu. Nur wenige Meter sind es von hier noch bis zur Kaiser-Wilhelm-Höhe. Kreckel steigt die Stufen hoch, Taranis sprintet hinterher. Von oben blickt man direkt auf die Limburg, den ehemaligen keltischen Fürstensitz. Ein beeindruckendes Panorama. Kreckel atmet tief durch. „Schon schön hier, oder?“ Er war bereits bei Grabungen in der Türkei und quer durch Deutschland dabei. Aber hier in seiner Heimat eine Ausgrabung zu leiten, war für ihn etwas ganz besonders. Auch, weil es auf dem Kästenberg noch viel mehr zu entdecken gibt. Nicht weit entfernt von der Toranlage der frühkeltischen Stadt, betrieben einige Jahrhunderte später die Römer einen Steinbruch, den Kriemhildenstuhl, um dessen Erhalt sich der Drachenfels-Club kümmert. In den senkrechten Wänden und fast rechteckigen Terrassen sind noch heute Zeichen und Inschriften der römischen Legionäre zu sehen. Zahlreiche Wanderwege laden hier zum Erkunden ein, wie der Panoramarundwanderweg des Drachenfelsclubs oder der Römer-Rundwanderweg.

Die Steine aus dem Kriemhildenstuhl transportierten die Römer vermutlich über den Rhein nach Mainz.

Mittlerweile arbeitet Kreckel im Archiv und im Museum der Stadt Bad Dürkheim. Dort führt er auch durch die Ausstellung, die 2010 erweitert und modernisiert wurde. Ein Nachbau des Grabhügels der Fürstin wird hier gezeigt und Fundstücke aus der Umgebung, etwa ein mächtiges Signalhorn. Auf einem Bildschirm ist eine 3D-Ansicht der Toranlage zu sehen, wie sie einmal ausgesehen haben könnte. Links und rechts die Steinmauer, gehalten von unzähligen Holzpfosten. Der Weg hindurch überdacht von einer Art Holzhaus auf Stelzen. Die Animation macht klar, wie beeindruckend die Stadt einmal gewesen sein muss. Kreckel setzt sich dafür ein, dass dies bald auch vor Ort deutlich wird. Die Toranlage soll von Bewuchs befreit werden, um ihre Dimensionen sichtbar zu machen und um sie vor einem weiteren Verfall zu schützen. In einem zweiten Schritt würde Kreckel gerne einen Teil des Walls rekonstruieren. Um die Geschichte der keltischen Stadt mit all ihren Geheimnissen sichtbar und erlebbar zu machen. 


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