Ein Herz für die Subkultur

Als Jugendlicher organisierte Michael Wiegand Untergrundkonzerte im Odenwald. Heute leitet er mit dem Café Central in Weinheim einen Club, den man weit über die Grenzen der Metropolregion Rhein-Neckar hinaus kennt.

Drei Jahrzehnte Café Central – konserviert an drei Wänden voller Plakate. Von rechts schaut Mambo Kurt auf die Bühne. Der „King of Heimorgel“ mit der ikonischen Glatze und der 70er-Jahre-Sonnenbrille tritt gerne auf Metal- und Hardrock-Festivals auf und gehört fest ins Programm des Café Central. Weiter in der Mitte hängen die Jungs von Knorkator, bekannt für ihre skurrilen Auftritte, bei denen sie auf Klobürsten musizieren oder das Publikum mit gehäckseltem Gemüse beschießen. Nachdem die Band zum ersten Mal in Weinheim zu Gast war, pulte Michael Wiegand Gurkenstücke aus dem Mischpult. „Das war legendär“, erinnert sich der Clubbetreiber und lässt seinen Blick weiter über die Poster schweifen. Casper, KIZ, Zebrahead, Absolute Beginner, Samy Deluxe – alle waren hier. Die meisten, lange bevor sie groß rauskamen.

Plakatwände voller Musikgeschichte(n).

Seit 1995 holt das Café Central Bands aus aller Welt und aus allen Genres nach Weinheim. Aus der Clubszene der Region ist es nicht mehr wegzudenken. Dreimal gewann der Club den Applaus-Award, einen Preis des Kultusministeriums für herausragende Musikclubs und Veranstaltungsreihen. Vom Weinheimer Hauptbahnhof sind es nur ein paar Minuten Fußweg zum Central: Hohe Fenster, breiter Treppenaufgang, großzügige Räume – man kann sich gut vorstellen, dass hier einst Jugendliche in ihre Klassenzimmer stromerten. Dabei sind die Zeiten, in denen das Gebäude in der Hauptstraße als Schule genutzt wurde, lange her. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es erbaut und zwischenzeitlich als Jugendzentrum genutzt. Es gehört der Stadt Weinheim. Heute sitzt der Stadtjugendring im Erdgeschoss. Das Café Central mietet den ersten Stock.

Quasi Stammgast in Weinheim: Der „King of Heimorgel“ Mambo Kurt. Foto: Dennis Ott

„Ich bin da ein bisschen reingestolpert“, sagt Michael Wiegand über die ersten Jahre, als sie den Club aufbauten. Ein befreundeter Sozialarbeiter hatte das ehemalige Jugendzentrum übernommen. Er holte ihn und einen weiteren Bekannten ins Boot, weil er wusste, dass die beiden Konzerte organisierten. Drei Jahre nach der Gründung stiegen die anderen aus. Seither leitet Wiegand den Club alleine – und das zu seiner eigenen Überraschung ziemlich gern: „Obwohl ich das jüngste von fünf Kindern bin, arbeite ich ganz gerne für mich“, sagt der zurückhaltende, eher unauffällige Mann mit den zerzausten Haaren und dem grau melierten Bart.

Nur wenige Meter und zwei Türen trennen sein Büro von der Bar und der Bühne. Wenn es sein muss, kann er hier arbeiten, während nebenan bis zu 300 Gäste abgehen: „Wenn ich die Tür zu meinem Büro zumache, bekomme ich von den Konzerten kaum etwas mit.“ Meistens will er aber natürlich etwas mitkriegen – denn die Musiker*innen, die er bucht, überraschen ihn nicht selten selbst. Seine jüngste Entdeckung: das Berliner Duo Odd Couple, deren Musik sich schwer auf ein Genre festlegen lässt.

Wir haben von Anfang an viel mit lokalen Bands gemacht – und das wird auch so bleiben

Michael Wiegand

Ganz ähnlich wie das Programm im Central: War der Club anfangs vor allem für Punkrock bekannt, treten heute auch Metal-Bands aller Spielarten auf. „Das Central hat irgendwie ein Eigenleben entwickelt“, meint Wiegand und grinst verschmitzt. „Wir sind ein bisschen szeniger geworden.“ Früher habe es mehr Pop gegeben: Wir sind Helden, Silbermond und Mark Forster etwa. Gerade war dagegen die Band Gutalax aus Tschechien da. Goregrind heißt der Musikstil, den sie spielen. „Die grunzen nur, aber auf hohem Niveau“, beschreibt der Clubbesitzer und er meint es kein bisschen ironisch. Dazwischen Lesungen, Kinderzirkus, Techno, Ska, der Odenwälder Shanty Chor, Newcomer und viele Künstler*innen aus der Region. „Wir haben von Anfang an viel mit lokalen Bands gemacht – und das wird auch so bleiben“, verspricht Wiegand.

Die Band Minnow hat im Café Central ein Heimspiel – sie stammt aus Weinheim. Foto: Simon Hofmann

Als er 1995 zum Central kam, machte er grade eine Ausbildung zum Energieanlagenelektroniker. Wirklich gearbeitet hat er in dem Beruf nie, denn das Central ging schnell durch die Decke. Schon als Jugendlicher veranstaltete der gebürtige Mörlenbacher improvisierte Konzerte im Odenwald. Ein befreundeter Schreiner baute die Bühne, Wiegand und seine Kumpels organisierten Bands und Getränke, brachten beides zu einer Waldhütte und traten sogar selbst auf. „Im Odenwald musst du selbst etwas machen, sonst bist du verloren. Das war Rock’n’Roll“, sagt der Clubchef.

Rock’n’Roll im Odenwald: Schon als Jugendlicher organisierte Michael Wiegand Konzerte.

Zwischenzeitlich spielte er Bass, Gitarre und Schlagzeug in vier Bands, „klassischer Noise-Rock“, viel Krach, scheppernde Sounds. Inzwischen kann er vielen Musikstilen etwas abgewinnen. Sein Motto: „Es gibt nur gute Musik und schlechte Musik.“ Wer sein Genre beherrscht, ist im Central willkommen. „Nur Schlager und Rechtsrock wird man bei uns nie hören.“

Kunterbunte Mischung – Schlager und Rechtsrock ausgeschlossen.

In der Anfangszeit übernachteten die Bands, die Wiegand buchte, auch mal in seinem alten Kinderzimmer. „Es war ein harter Weg“, sagt er über diese Zeit, in der die Agenturen keine Ahnung hatten, wo Weinheim liegt, und sich einfach nicht zurückmeldeten. Also setzte Wiegand auf lokale Bands und Newcomer, auf gutes Essen und einen vernünftigen Sound. Und das Konzept ging auf.

Kleiner Club, großer Sound – darauf setzte das Café Central von Anfang an.

Der Durchbruch kam um die Jahrtausendwende, als der deutsche Hip-Hop groß wurde. Viele der Bands, die heute im Central auftreten, kennt Wiegand schon seit Jahrzehnten: „Demented, Peacocks, Mambo Kurt – die gehören zur Familie.“ Für sie serviert der Clubbesitzer auch mal Putenbraten und kandierte Bohnen. Bekocht werden alle Bands vom Chef persönlich. „Ich sehe mich ein bisschen als Herbergsvater.“ Umso wichtiger sei es ihm geworden, dass die Künstler*innen, die er bucht, nicht nur gute Musik machen, sondern auch nette Menschen sind.

So sieht sie aus, die Musikherberge für nette Menschen.

Wie Hermeto Pascoal, der 2022 im Central auftrat. Der brasilianische Jazz-Musiker und Multi-Instrumentalist war damals schon Mitte 80. Pascoal sieht ein bisschen aus wie der Weihnachtsmann und entlockt jedem noch so absurden Gegenstand einen Ton. Im Central ließ er unter anderem kleine Plastikschweinchen ertönen – vor gerade einmal 80 Gästen. „Aus kommerzieller Sicht war das für’n Arsch. Aber es war das geilste Konzert, das wir hier je hatten“, schwärmt Wiegand. „Total dada, aber genial. Die Leute hatten Gänsehaut.“ In solchen Momenten spürt er genau: Im Central ist er zuhause.


https://cafecentral.de

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