Muddersprooch auf Amerikanisch

Eine Reise nach Pennsylvania ist für Pfälzer auch eine Reise zu sich selbst. In die Vergangenheit ihrer Sprache und Kultur. Denn hier leben die Pennsilfaanisch Deitschen, ausgewanderte Pfälzer, die noch immer ihren alten Dialekt pflegen. Im Interview spricht Sprachwissenschaftler Dr. Michael Werner über ein Pfälzisch ohne „alla hopp“, gruselige „Elwedritsche“ und über Murmeltier Bert, der seit kurzem in einem pfälzischen Weinfass lebt.

Michael Werner ist sofort im Thema. Kaum hat das Video-Interview begonnen, zeigt er eine Holzfigur aus Pennsylvania in die Kamera. Unheimlich sieht sie aus. Ein gefiedertes Etwas mit gruseligem Gesicht. Eine „Elwedritsch“ – doch das amerikanisch Fabelwesen kommt lange nicht so ulkig daher wie seine Verwandten aus der Pfalz. Auch der „Belzenickel“, den Werner gleich danach zeigt, macht einen gruseligen Eindruck. Jedes Jahr an Weihnachten besucht der schaurige Geselle Kinder in Pennsylvania, erinnert dabei aber eher an den grimmigen Knecht Ruprecht als den freundlichen Nikolaus. Mit den Fabelfiguren galoppiert Michael Werner mittenrein in die kurpfälzische Geschichte, berichtet von den Spuren, die er in den USA entdeckt hat, zeigt Parallelen und Gemeinsamkeiten auf, verweist auf Verbindungen bis in die indische und germanische Mythologie. Zeit, ihn mal kurz in die Gegenwart zurückzuholen.

Zweisprachiges Straßenschild in Pennsylvania.

wo sonst: Wilkum, wie bischt?

Michael Werner: (lacht) Ganz guud!!

wo sonst: Das war’s leider schon mit meinen Pennsilfaanisch Deitsch -Kenntnissen. Aber würde ich mit Pfälzisch in Pennsylvania heute denn wirklich weiterkommen?

Werner: Wenn Sie in Pennsilfaanisch-Deitschland unterwegs sind, in der Gegend nördlich von Philadelphia, dann ja. Das Deitsch – oder Dutch – das dort gesprochen wird, ist unserem heutigen Pfälzisch zu 80 Prozent ähnlich. Es entspricht etwa dem Kurpfälzisch, das bis ins 18. Jahrhundert so 20 Kilometer rund um Mannheim und Heidelberg gesprochen wurde. Aber es gibt natürlich auch Unterschiede.

Reinhören, rausfinden: Eine kleine Unterrichtsstunde in Pennsilfaanisch Deitsch.

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wo sonst: Welche?

Werner: Im Deitschen gibt es kein „alla“, und deshalb auch kein „alla hopp“!

wo sonst: Wie jetzt? Pfälzisch ohne „alla hopp“?

Michael Werner: Ja, offensichtlich ist „alla hopp“ erst in das Pfälzische eingewandert, als viele Pfälzer schon ausgewandert waren. „Alla hopp“ ist vom französischen „allons“ entlehnt und hat sich, wie so viele französische Wörter, erst ab Ende des 18. Jahrhunderts ins Pfälzische eingeschlichen. Die großen Auswanderungswellen waren aber schon im 17. und 18. Jahrhundert. Deshalb kennt das Pennsilfaanisch Deitsch keine französischen Lehnwörter. Dafür hat sich eben manch englisches Wort eingeschlichen.

wo sonst: Wie wilkum, das fast wie welcome klingt?

Michael Werner: Ja, solche deutsch-amerikanischen Mischwörter gibt es oft. Oder auch „mer dschumbe“ statt „mir hickele“ (wir hüpfen). Es gibt auch Wörter, die ihre Bedeutung im Laufe der Zeit geändert haben. Wie: „halt an“. Das heißt nicht etwa, dass derjenige anhalten, sondern dass er weitermachen soll. Die Bedeutung hat sich an das englische „hold on“ angepasst.

Michael Werner ist Sprachwissenschaftler – mit einer Vorliebe für linguistische und historische Rätsel. Er verfolgt Wörter, Mythen und Bräuche über Kontinente, durch Kulturen und Jahrhunderte. Werner kommt aus Frankenthal, hat in Mannheim Linguistik studiert und über den Pfälzer Dialekt promoviert. Besonders fasziniert ihn die Geschichte der ausgewanderten Pfälzer in Amerika. Er gibt die deutsch-pennsylvanische Zeitschrift „Hiwwe wie driwwe“ heraus, hat die Recherchen für den gleichnamigen Erfolgsfilm unterstützt, der auch in den Kinos lief, und bald ist auch sein ReiseVERführer mit Geschichten aus Pennsylvania erhältlich. Er spielt auch in einer Band: „New Paltz“ verbindet amerikanischen Folk mit deitschen Texten. Einmal im Jahr organisiert Werner auch den Deutsch-Pennsylvanischen Tag mit, der immer in wechselnden Gemeinden in der Pfalz und Kurpfalz stattfindet. Für diese transatlantische Pfälzerverständigung hat er 2020 auch die Hermann-Sinsheimer-Plakette der Stadt Freinsheim bekommen.

Reingeschaut: Der Trailer zum Erfolgsfilm „Hiwwe wie Driwwe – Pfälzisch in Amerika“
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wo sonst: Was fasziniert Sie so am Dialekt?

Werner: Ich fand es immer spannend, dass Menschen mehr als ein sprachliches System haben können. Obwohl ich im Elternhaus kaum noch Dialekt gesprochen habe: Sobald ich bei meinen Großeltern war, konnte ich sofort ins tiefste Pfälzisch wechseln. So etwas passiert nicht bewusst, wie bei einer Fremdsprache, sondern geschieht ganz automatisch. Der Dialekt ist eben ein Stück unserer Identität, eine direkte Verbindung in unsere Kindheit.

wo sonst: Und wie wurden sie auf das Pennsilfaanisch Deitsch aufmerksam?

Werner: Als Sprachwissenschaftler habe ich mich auch mit den pfälzischen Auswanderern beschäftigt. Dass sich in den USA der Dialekt so bewahrt hat – das ist für einen Dialektologen natürlich ein Segen! Pennsylvania ist für Pfälzer tatsächlich eine Art lebendiges Museum – ich kann dorthin fahren und bin in einer sprachlichen und kulturellen Vergangenheit.

wo sonst: Warum ist das so? Warum ist der Dialekt nicht schon längst ausgestorben?

 Werner: Das hängt mit der starken Gemeinschaft dort zusammen. Sie geht auf William Penn zurück, der die Kolonie Pennsylvania gegründet hat. Er war Quäker und bevor er ausgewandert ist, kam er auch in die Pfalz und suchte Menschen, die mit ihm kommen wollten. Im Laufe der Zeit folgten immer mehr Menschen, die in Europa wegen ihres Glaubens diskriminiert wurden: Quäker, Lutheraner, Mennoniten. Sie ließen sich als Bauern nieder und hielten über Jahrhunderte an ihrem Land fest. Man trifft dort heute noch auf Menschen, die in der 12. Generation den gleichen Bauernhof betreiben wie ihre Vorfahren im 17. Jahrhundert.

Deitsch Eck - Schild eines Restaurants in Pennsylvania.
Hausmannskost in Pennsylvania – und vielleicht steht sogar Pfälzer Saumagen auf der Speisekarte.

wo sonst: Was nicht unbedingt erklärt, warum sie noch immer die gleiche Sprache sprechen.

Werner: Das hat auch sehr unterschiedliche Gründe. Es gibt die deutschstämmigen Amerikaner, die zum größten Teil die amerikanische Kultur übernommen haben. Bei ihnen wird der Dialekt wohl früher oder später aussterben. Und dann gibt es die Amish und Mennoniten. Die Kinder lernen von Geburt an Deitsch, das wird einfach erwartet. Es gibt rund 400.000 Sprecher und alle 20 Jahre wird sich die Zahl vermutlich verdoppeln, da es sehr viele kinderreiche Familien gibt. Es ist tatsächlich die am schnellsten wachsende nichtenglische Sprachgemeinschaft der Vereinigten Staaten.

wo sonst: Sie waren nun schon oft in Pennsylvania. Ist der Dialekt auch bei diesen Menschen ein Türöffner?

Werner: Auf jeden Fall! Es gibt sprachlich und kulturell einfach viele Gemeinsamkeiten. Wenn Sie auf einem Bauernmarkt auf pfälzisch Äpfel bestellen, kommen Sie schnell ins Gespräch.

wo sonst: Aber es gibt doch auch große Unterschiede – gerade in der Lebensweise.

Werner: Ja, die gibt es. Die Pennsilfaanisch Deitschen sind insgesamt sehr konservativ, sehr republikanisch. Das kommt aus der Pionierzeit, in der den Menschen drei Dinge heilig waren: Die Bibel, ihre Waffen und ihr Unternehmergeist. Und bis heute gibt es ein tiefes Misstrauen gegen alles und jeden, der es wagt, diese Dinge einzuschränken. Über die Mundart bekommt man allerdings die Chance, einen ganz anderen Einblick zu bekommen, ihre Sichtweise kennenzulernen und was dahinter steckt – das kann sehr spannend und bereichernd sein.

wo sonst: Engagieren Sie sich deshalb so für die transatlantischen Beziehungen zwischen Pfälzern?

Werner: Ja, mir geht es darum klar zu machen, dass es eben nicht „die Amerikaner“ gibt, sondern dass dort auch Menschen leben, die uns sehr ähnlich sind. Bei ihnen hat sich in Sprache und Bräuchen über 300 Jahre erhalten, was hier durch Kriege und Industrialisierung verloren ging. Wir können von ihnen so viel über unsere eigene Identität lernen. Ich habe zum Beispiel erst hier erfahren, was es mit dem Bi-Ba-Butzemann auf sich hat. Denn in Pennsylvania steht er noch auf den Feldern und wacht über die Ernte. Diese ursprüngliche Bedeutung ist bei uns längst verloren. Und wussten Sie, dass der Murmeltiertag eine pfälzische Tradition ist?

Reimport: Der „Grundsautag“ in Bockenheim – mit Michael Werner ganz rechts.

wo sonst: Der „Groundhog Day“? Nein.

Werner: Ursprünglich war es der Dachs, der am 2. Februar, an Mariä Lichtmess, einen langen Winter ankündigte, wenn er seinen Schatten sieht. In Pennsylvania gibt es allerdings keine Dachse, also übernahm das Murmeltier seine Rolle. Es ist doch etwas Wunderbares, dass der Brauch jenseits des Atlantiks immer noch lebendig ist! Wir haben die Tradition übrigens reimportiert: In Bockenheim feiern wir seit 2020 am 2. Februar den „Grundsautag“ – den Murmeltiertag, zumindest wenn keine Pandemie wütet. Mit Murmeltier Bert, der in einem pfälzischen Weinfass lebt.

wo sonst: Herr Werner, Danke fürs Gschpräch!

Werner: Gern gschehne. Du bischt wilkum.


Wer das Buch „Hiwwe wie Driwwe – Der Pennsylvania ReiseVERführer“ bestellen möchte, kann sich per Mail an Dr. Michael Werner wenden: info@hiwwe-wie-driwwe.de

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