„Ein Dialekt muss gepflegt werden, sonst stirbt er aus“, sagt Ralf Frohnhäuser. Nicht zuletzt deshalb ist er Jurymitglied des Mundart-Wettbewerbs Dannstadter Höhe der Verbandsgemeinde Dannstadt-Schauernheim – den Toni Ostermayer schon mehrfach gewann. Für beide geht das Pälzisch direkt ins Herz – und reicht manchmal bis nach Pennsylvania.  

Vor wenigen Tagen kam er an. Der dicke, unscheinbare Umschlag, abgeschickt von Ute Günther aus dem Rathaus in Dannstadt-Schauernheim. Wie einen Pokal hält Ralf Frohnhäuser ihn in seinen Händen, wiegt behutsam das Gewicht. Er hat mit dem Öffnen gewartet, bis er die nötige Zeit und Ruhe hat. Jetzt ist Wochenende. Im Garten seines Hauses in Hochdorf-Assenheim sind nur die Vögel zu hören und ab und an die zwei Schildkröten, die in ihrem Gehege scharren. Frohnhäuser öffnet den Umschlag, feierlich und mit einem breiten Lächeln im Gesicht. „Ich freue mich jedes Jahr aufs Neue darauf“, sagt er. Und das, obwohl nun jede Menge Arbeit vor ihm liegt. 51 Gedichte und 22 Prosatexte stecken in dem Umschlag, alle geschrieben „uff Pälzisch“. Frohnhäuser wird jedes einzelne Werk mindestens dreimal lesen, viele davon noch weit öfter.

51 Gedichte und 22 Prosatexte „uff Pälzisch“ liegen vor Ralf Frohnhäuser.

Seit 2016 ist er Jurymitglied des Mundart-Wettbewerbs Dannstadter Höhe. Eine Aufgabe, die er mit Begeisterung erfüllt – und mit Dankbarkeit. „Als mich Bürgermeister Stefan Veth damals angesprochen hat, ob ich mir vorstellen kann, in der Jury mitzuarbeiten, habe ich sofort zugesagt.“ Frohnhäuser leitet die Grundschule Am Neuberg in Rödersheim-Gronau, unterstützt das Vereinsleben in der Gemeinde tatkräftig und schwärmt vom „schönen Miteinander“ in den Dörfern. Dass er dazu beitragen kann, dass in der Verbandsgemeinde der Dialekt lebendig bleibt und Jahr für Jahr neu gefeiert wird, erfüllt ihn mit Stolz. „Ein Dialekt muss gepflegt werden, sonst stirbt er aus“, sagt Frohnhäuser. Denn er sei viel mehr als nur die Sprache des Alltags, er vermittle Heimat und Zugehörigkeit, Geschichte, Lebensart und oft Humor. All das steckt in den Werken, die nun ausgebreitet vor ihm liegen. Von wem sie sind, weiß Frohnhäuser nicht – die Texte sind lediglich nummeriert. Sicher ist nur: Es wird auch wieder eines von Toni Ostermayer darunter sein.

Toni Ostermayer: Ein Dichter der ersten Stunde des Wettbewerbs und mehrmaliger Sieger.

Der Rödersheimer ist ein Dichter der ersten Stunde des Wettbewerbs und mehrfacher Preisträger. Teilgenommen hatte er sogar schon am Vorläufer der offiziellen Veranstaltung. Das war 1987. Damals feierte der Männergesangsverein „Frohsinn Rödersheim“ sein 100-jähriges Bestehen, für das es etwas Besonderes geben sollte – einen Mundart-Wettstreit. Die Resonanz war gewaltig. Es gab deutlich mehr Einschreibungen als erwartet und der Schlussvortrag der Sieger kam beim Publikum so gut an, dass der damalige Verbandsbürgermeister Heinz Werner Ziegler noch am gleichen Tag beschloss, in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule des Rhein-Pfalz-Kreises einen regelmäßigen Wettbewerb ins Leben zu rufen. Im Jahr darauf fand auf dem „Radieselfest“ der erste Mundart-Wettbewerb Dannstadter Höhe statt.

An die Feste erinnert sich Toni Ostermayer gerne zurück. Er sang damals bei „Frohsinn Rödersheim“ und reichte ein Gedicht ein. Schon früher hatte er an Fasnacht Reden „für die Bütt“ geschrieben – natürlich „uff Pälzisch“. Ostermayer ist in der Verbandsgemeinde geboren und aufgewachsen, noch heute wohnt er in Rödersheim, im Haus seiner Eltern. Seine Heimat hat er nur für sein Lehramtsstudium und das anschließende Referendariat verlassen. „Da hat es mich in den Westerwald verschlagen. Die haben dort ja auch einen super Dialekt“, erzählt er und grinst. Es machte ihm Spaß, Mundarten zu vergleichen, Wörter und ihre Herkunft zu enträtseln. „In dieser Zeit wurde mir bewusst, wie sehr ich mit dem Pälzisch verbunden bin.“

„Auf Hochdeutsch könnte ich mich emotional nie so ausdrücken.“

Ostermayer hat nie versucht, auf Hochdeutsch zu dichten. „Der Dialekt hat eine viel direktere Verbindung zu unseren Gefühlen“, sagt er. „Auf Hochdeutsch könnte ich mich emotional nie so ausdrücken.“ Er schreibt meist über persönliche Gedanken und Erlebnisse, oft humorvoll – aber nicht immer. Als seine Nichte 2004 durch den verheerenden Tsunami in Indonesien ums Leben kam, verarbeitete er auch das literarisch. „Das hat mir damals sehr geholfen.“ Es zeigt auch: Beim Mundart-Wettbewerb geht es eben nicht um Pfälzer Weinseligkeit, um „Weck, Worscht un Woi“.

Ostermayer verarbeitet in seinen Texten auch viel Persönliches.

Ralf Frohnhäuser ist voller Bewunderung für die Autoren des Wettbewerbs. „Wie man mit Worten so umgehen kann, das begeistert mich immer wieder.“ Es falle ihm nie leicht, die Texte nach Originalität, Struktur oder Inhalt einzuordnen. Und dass, obwohl er als Lehrer ja eigentlich genug Erfahrung damit hat. „Kunst zu bewerten – das finde ich ungeheuer schwierig.“ Abendelang sitze er vor den Texten, bis seine Favoriten feststehen. Neun Werke bringt jedes der sieben Jurymitglieder in die gemeinsamen Sitzungen mit, seit 2018 werden sie zusätzlich von den Vorjahressiegern unterstützt. „Und dann diskutieren wir.“ Die Meinungen gingen teils weit auseinander. Jedes Jurymitglied bringe seine eigene Expertise ein. „Manche können anhand der Gedichte bestimmen, aus welchem Dorf der Autor kommt – oder auch, ob er vielleicht in der Nähe zur französischen Grenze aufgewachsen ist und später in die Kurpfalz zog.“

Die eingereichten Werke kommen aus der gesamten Pfalz.

Die eingereichten Werke kommen aus der gesamten Pfalz – und darüber hinaus. Denn die sprachliche Palz ist größer als die geographische. „Die Autoren kommen auch aus dem Elsass, dem Saarland oder dem Odenwald“, sagt Frohnhäuser. Theoretisch könnten auch US-Amerikaner teilnehmen. Denn in Pennsylvania, wo sich Pfälzische Einwanderer niederließen, wird der Dialekt bis heute gepflegt – das Pennsylvania Dutch. „Eine Weltsprache eben.“ Er lacht.

Aus allen Einsendungen wählt die Jury ihre Favoriten für das Finale aus, dem Herzstück des Wettbewerbs, das normalerweise Mitte Mai stattfindet. „Das sind ganz besondere Abende“, erzählt Toni Ostermayer. Der Saal im Zentrum Alte Schule sei immer vollbesetzt, die Stimmung einzigartig. Er freut sich jedes Mal darauf: auf seinen Auftritt und darauf, die Reaktionen des Publikums direkt zu erleben. „Auch wenn man es auf Papier bringt, es bleibt ja gesprochene Sprache – und die wird nur im Vortag lebendig.“ Nach den Auftritten berät sich die Jury dann ein letztes Mal, der Vortrag fließt in die Endbewertung mit ein. „Es passiert schon öfter, dass sich beim Finale die Reihenfolge nochmal ändert“, erklärt Frohnhäuser. „Beim Vortrag entfalten die Werke oft eine ganz andere Wirkung.“ Auch das Publikum vergibt einen eigenen Preis.

Beim Finale vergibt auch das Publikum einen Preis.

„Für mich ist der Dialekt eine Erweiterung meiner Sprache“, sagt Frohnhäuser. „Er ist oft viel präziser – vor allem bei den Schimpfwörtern“. Früher sei immer klar gewesen: Wenn die Eltern anfangen im Dialekt zu schimpfen, dann war es Zeit, „die Ohren anzulegen“. Noch heute ist seine Mutter für ihn die erste Ansprechpartnerin, wenn er bei den Einsendungen über Wörter stolpert, die ihm nicht mehr geläufig sind. „Im Alltag benutze ich viele dieser alten pfälzischen Wörter nicht mehr“, sagt er. Einerseits bedauert es das – andererseits kann er als Lehrer auch nicht im breitesten Pälzisch vor seine Klasse treten.

Mann liest in einem Buch
Frohnhäuser: „Für mich ist der Dialekt eine Erweiterung meiner Sprache.“

In Dannstadt-Schauernheim, so viel steht fest, werden die Menschen auch noch in Jahrzehnten wissen, was „Dibblschisser“ sind und was ein „Ferzbeidel“ macht. Und das ist auch Ralf Frohnhäuser und Toni Ostermayer zu verdanken. Gefragt nach ihrem Lieblingswort, landen übrigens beide Dialektpfleger nach einigem Überlegen bei „Alla hopp“. „Es gibt kein anderes Wort, das so vielseitig einsetzbar ist“, sagt Ostermayer. „Egal ob die Situation lustig oder traurig ist – ‚Alla Hopp‘ kann man immer sagen“, so Frohnhäuser. Selbst, wenn man eigentlich überhaupt nichts zu sagen hat.


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