Über 3,5 Millionen Besucher sind bereits in die Eberstadter „Höhlenwelten“ abgetaucht. Hunderte Male schon hat der Buchener Touristik- und Kulturexperte Wolfgang Mackert Besucher durch dieses unterirdische Reich geführt. Doch nun ist etwas anders. Ein innovatives Beleuchtungskonzept rückt die Tropfsteinhöhle noch eindrucksvoller ins rechte Licht.

Das Meer im Odenwald muss voller Tiere und Pflanzen gewesen sein. Seefarne wiegten sich im Rhythmus der Strömung, Urfische schwammen vorbei und auf dem Grund saugten sich faustgroße Muscheln fest. Am Ufer des Meeres saß eine Echse, biss in eine Muschel – und verlor ihren Zahn. Diesen Zahn holt Wolfgang Mackert Millionen Jahre später aus einer Vitrine im Eberstadter Besucherzentrum, eingebacken in Muschelkalk zwar, aber doch deutlich sichtbar. Das Meer ist verschwunden oder besser: seine Reste sind versteinert. Die Welt ist eine andere als damals. Und fern von all den Auf- und Umbrüchen draußen wuchs, im Verborgenen, im Dunkeln, ungestört: eine der schönsten Tropfsteinhöhlen Deutschlands.

„Erdgeschichtlich sitzen wir im Meer“, sagt Wolfgang Mackert und sein Satz klingt zunächst so nüchtern, dass die Geschichte rund um diese Höhle noch gar nicht greifbar wird. Man muss mit ihm eine ganze Weile mitgehen. Vielleicht ist eintauchen auch das richtige Wort, denn in gewisser Weise ist die Tropfsteinhöhle von Eberstadt vergleichbar mit einem Tauchgang im Meer: Ist man erst einmal umgeben von all den wunderbaren Formationen aus Stalakmiten und Stalaktiten, hat man die Dimensionen an Hohlräumen, die in dieser Region im Odenwald noch im Verborgenen schlummern, erst einmal begriffen, ist das mit einem Meer, dessen Dimensionen man ebenfalls nur erahnen kann, durchaus vergleichbar. Zudem schottet sich die Höhle von der Welt da draußen vollkommen ab. Kein Ton dringt herein. Die Luft ist so klar, dass es hier auch Therapiesitzungen für Asthmapatienten gibt. Und man begreift: Dieser Ort hat seine eigenen Gesetze.

Eines heißt: Die Welt der Stalakmiten und Stalaktiten ist zerbrechlich. Die Regel klingt einfach, aber für Wolfgang Mackert, der den Bereich Kultur und Touristik der Stadt Buchen verantwortet, macht sie manches kompliziert. Einerseits ist er für die Vermarktung der Eberstadter Höhlenwelten verantwortlich und öffnet sie für Wissenschaftler und Touristen. Ein neues Besucherzentrum, ein neuer Eingang und ein neues Wege- und Beleuchtungssystem sollen dabei helfen und die Höhle noch leichter, sicherer zugänglich machen. Andererseits ist es der Tourismusbeauftragte selbst, der dem Tourismus Grenzen setzt: „Zu viele Menschen würde die Höhle nicht aushalten“, sagt Mackert, während er mit einer Taschenlampe besonders schöne Stellen noch einmal gesondert ausleuchtet. Als Beispiel zeigt er eine zarte Rosette, die auf der Oberfläche eines kleinen Wasserbeckens wächst – von oben, von der Wand hinab. Vier solcher Rosetten hätte es gegen – drei seien verschwunden. Diese eine kam einst mit der Post zurück: Ihr Dieb hatte sie aus Reue in einen Briefumschlag gesteckt. Seitdem wächst sie nicht mehr von der Wand herab. Man hat einen Aluminiumstab zur Sicherung installiert.
600 Meter tief kann man in die Höhle gehen, durch die einst und noch immer deutlich sichtbar der Strom eines Flusses zog. Mal verengen sich die Wände zu einer Art Schlucht. Dann wieder öffnen sich geradezu kathedralartige Räume – zwischen zwei und acht Meter breit und hoch. Ein bis zwei Millionen Jahre ist die Höhle alt. 11 Grad ist es hier kalt, das ganze Jahr hindurch, bei einer Luftfeuchtigkeit von etwa 95 Prozent. Immer tropft und tröpfelt es an irgendeiner Stelle. Die Höhle wächst, stetig, einen Kubikzentimeter in etwa 100 Jahren. Ein fingerdicker Tropfstein ist also um die 400 Jahre alt. An einer Stelle wachsen zarte Stalagmiten aus dem Boden. Sie sehen aus wie winzige Blumenkohlröschen – und sie haben sich verändert. Ein zweites Gesetz heißt daher: Die Höhle ist wie ein Organismus. Und wer sie wie Wolfgang Mackert seit Jahrzehnten kennt, kann dabei zusehen, wie sie weiter wächst.

Eingang Besucherzentrum

Hunderte Male schon hat der Tourismusexperte Besucher durch die Höhle geführt – in diesem Frühjahr dann aber doch einige Dinge neu, anders gesehen: Die Stadt Buchen hatte sämtliche Lampen gegen LED-Lichter ausgetauscht und ein Soundsystem installiert. Wer mag, kann nun Orgelmusik im „Dom“ hören oder an einer anderen Stelle Harfenklänge einspielen lassen. Zudem taucht das neue Lichtsystem manche Formation in Regenbogenfarben. Das ist hübsch und effektvoll inszeniert, aber am eindrucksvollsten sind wohl die Orte, an denen ein leichter Luftzug spürbar wird – und so etwas wie: Energie. „Wirklich erklären lässt sich dieses Phänomen nicht“, sagt der 59-jährige Fachbereichsleiter  für Kultur und Tourismus und lacht. Aber nüchtern betrachtet wird die Höhle von Kluften, von Spalten zerschnitten. An einer Kluftkreuzung scheint es tatsächlich so etwas wie ein Kraftfeld zu geben. Menschen, die mit Wünschelruten hierher kamen, haben das bestätigt.

Die neuen LED-Lichter sorgen auch dafür, dass weniger Algen, Moose und Farne in der Höhle wachsen. Aus einem Wasserlauf von der Decke hängen dennoch einige Algen herab – sie sehen aus wie ein Bart. Diese Höhle beflügelt die Fantasie, müsste daher eine weitere Regel heißen: Manche Stalaktiten sehen aus wie Maccharoni, wie sie da von der Decke hängen. Es gibt Kalkschichten, die legen sich wie Zuckerguss über die Wände. An einer Stelle türmt sich ein Tropfsteingebilde zu einer „Hochzeitstorte“, ein anderes sieht aus wie ein Elefantenrüssel. Und an einer Stelle geht die „Weiße Frau“ von Eberstadt, die schon lange zu den Sagenfiguren des Odenwaldes gehört. Die Adelige soll sich früher fürchterlich über Äpfeldiebe geärgert haben. Die Besucher verneigen sich nun vor ihr – automatisch, denn ein Vorsprung ragt in den Weg.

Wolfgang Mackert in der Tropfsteinhöhle

 

Rund um Eberstadt sind die geologischen Schätze den Menschen durchaus präsent. Immer wieder finden die Bauern Versteinerungen auf ihren Äckern, etwa Reste eines Mammuts. Und das Burghardt-Gymnasium in Buchen hat einen eigenen Fachzug in Geologie, dessen Schüler Wolfgang Mackert gern als Höhlenführer engagiert. 1971 hatten die Leute vom Steinbruch nebenan die Höhle gefunden. In den vergangenen Jahren wurden dann zwei weitere entdeckt. Den „Hohlen Stein“ und die „Kornäckerhöhle“. Wer hier hinein will, muss zum Teil hunderte von Metern durch schlammiges Wasser hindurch, mit dem Kopf an der Wand entlang, nur ein kleiner Bereich bleibt den Forschern zum Atmen. „Für die Öffentlichkeit sind diese beiden Höhlen daher nicht zugänglich“, sagt Wolfgang Mackert. Auf einer Karte zeigt er, wo sie liegen – und während sein Finger über Ortschaften und Flurnamen fährt, ahnt man, was sich unter dem Boden in dieser Gegend wohl noch verbergen mag. Was im Verborgenen wohl noch so schlummert, im Dunkeln, wunderschön und ungestört.


 

tropfsteinhoehle.eu

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