Sandra Hüller, Klaus Maria Brandauer oder nun Lina Beckmann: An der Bergstraße wird jedes Jahr einer der wichtigsten Schauspielpreise Deutschlands vergeben. Dahinter steckt die Stadt Bensheim, die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste, der Film- und Theaterkritiker Wilhelm Ringelband – und die Geschichte einer außergewöhnlichen Freundschaft.

War es Liebe? Berthold Mäurer muss schmunzeln, als man ihm diese Frage stellt. Und wie zu einer Antwort reicht der ehemalige Kulturamtsleiter der Stadt Bensheim zwei Briefe über den Tisch: Einen aus dem Jahr 1945. Und einen zweiten, den Wilhelm Ringelband 1952 an Gertrud Eysoldt schrieb. Also an ein und dieselbe Person – aber im gänzlich anderen Ton: „Sehr verehrte gnädige Frau!“ hatte der Bensheimer Film- und Theaterkritiker noch in den letzten Kriegstagen der berühmten Theaterschauspielerin nach Berlin geschrieben. Sieben Jahre später dann nannte er sie schon „Du mein Liebes und Großes“. Hatte Wilhelm Ringelband also Gertrud Eysoldt geliebt?

Zeugnisse einer innigen Brieffreundschaft zwischen Wilhelm Ringelband und Gertrud Eysoldt.

Wer die heutige Bedeutung des Gertrud-Eysoldt-Rings kennt, für den ist diese Frage erst einmal nebensächlich. Denn Fakt ist: Jedes Jahr wird er von der Ringelbandstiftung der Stadt mit der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste an die wichtigsten Schauspieler:innen des Landes vergeben. Etwa an Sandra Hüller, Corinna Harfouch oder Klaus Maria Brandauer, die Herausragendes auf der Bühne geleistet haben. Aber sicher ist auch, dass es ohne die besondere Verbindung zwischen Gertrud Eysoldt und Wilhelm Ringelband wohl nie zu diesem Preis gekommen wäre. Schon gar nicht in der Metropolregion Rhein-Neckar.

Berthold Mäurer, ehemaliger Kulturamtsleiter der Stadt Bensheim.

Wilhelm Ringelband hatte von 1944 bis 1981 zwar in Bensheim gelebt. „Sein Verhältnis zur Stadt selbst war aber eher distanziert“, erinnert sich Berthold Mäurer, der 1986 daran beteiligt war, den Eysoldt-Ring nach Ringelbands Tod mitaufzulegen. In einem 19-seitigen Testament hatte der Journalist drei Millionen Mark zunächst Frankfurt, dann München und erst als drittes Bensheim vermachen wollen. Als die ersten beiden Städte aufgrund der äußerst komplizierten Auflagen dankend ablehnten, stieg sein langjähriger Wohnort an der Bergstraße ein. Und ermöglichte damit jenen Preis in Erinnerung an die Schauspielerin Gertrud Eysoldt, die Wilhelm Ringelband so verehrte. „Ja, vielleicht war es so etwas wie Liebe zwischen den beiden“ mutmaßt Mäurer. Ganz sicher aber nur eine platonische – denn getroffen haben sich der 50 Jahre jüngere Kritiker und die Schauspielerin nie.

Berthold Mäurer ist Jahrgang 1953 und zwar in Worms aufgewachsen, aber er hat schon als Schüler das Parktheater in Bensheim besucht – nichtahnend, dass er es eines Tages selbst leiten sollte. 1985 war er nach einem Lehramtsstudium bei der Stadt angefangen – zunächst, um die Volkshochschule, dann später noch das Kulturamt zu leiten und Theaterchef zu werden.

Auf den Spuren von Eysoldt und Ringelband: Berthold Mäurer.

In den Räumen der Bensheimer Volkshochschule hat Mäurer Teile einer Ausstellung ausgebreitet, die er vor Jahren zusammenstellte. Mit Briefen und Fotos zeichnet sie die Lebenswege von Gertrud Eysoldt und Wilhelm Ringelband nach: Zu sehen ist sie etwa als junge Schauspielerin, für die Hugo von Hofmannsthal Dramen wie „Elektra“ schrieb, die in Max Reinhardts legendärem Deutschen Theater spielte und Lovis Corinth als zerstörerische Salomé malte. Dann wiederum zeigt sie ein Foto als alte, ja fast verhärmt wirkende Frau, die lässig an einer riesigen Zigarre zieht.

Wilhelm Ringelband hingegen wirkt auf fast allen Bildern etwas steif. Und dennoch muss seine Verbindung zu vielen Schauspieler:innen sehr innig gewesen sein, wie unzählige Dankesschreiben etwa von Götz George, Volker Schlöndorff oder Senta Berger zeigen. „Ich bin ihm selbst als Student einmal bei den Heppenheimer Festspielen begegnet“, erinnert sich Berthold Mäurer. Der Kritiker habe auf ihn damals kränklich, ja zerbrechlich gewirkt und im Rollstuhl gesessen – „sein Händedruck war äußerst lasch“. Ganz anders seine Texte, in denen Ringelband zwar meist wohlwollend das Geschehen auf der Bühne und Leinwand einordnete – aber auch austeilen konnte, wenn ihm eine Aufführung zu avantgardistisch geriet.

Ringelband war zwar 1921 in Frankfurt geboren worden, aber schon 1944, nach dem Kriegsdienst gesundheitlich stark angeschlagen, in die Villa seines Großvaters in die Auerbacher Jahnstraße 5 gezogen. Obwohl er von Haus aus sehr wohlhabend war, absolvierte er ein geradezu selbstzerstörerisches Arbeitspensum, wie der Blick in seinen Kalender zeigt: Nahezu täglich berichtete er für fast 30 Tageszeitungen und Magazine über Filmstarts, aber auch aus den Bühnenhäusern deutschlandweit – und das ohne einen eigenen Führerschein.

2021 bekam Lina Beckmann die Auszeichnung, für ihre Darstellung des englischen Königs in „Richard the Kid & the King“. Verliehen wird ihr der Preis am 21. Mai 2022. Foto: Jeanne Degraa

161 Kartons sind sozusagen das physische Vermächtnis, das Ringelband in Bensheim hinterlassen hat – Ordner voller Zeitungsartikel, Tonbandaufnahmen, Fotos und Briefen. Ein Stück Film- und Theatergeschichte, das von 1950 bis 1981 reicht und wissenschaftlich aufgearbeitet werden müsste. Um sein ideelles Erbe kümmert sich Prof. Hans-Jürgen Drescher, der als Präsident der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste alle drei Jahre eine unabhängige Jury für den mit 10.000 Euro dotierten Eysoldt-Ring einberuft, die dann wiederum jedes Jahr auf die Suche nach herausragenden schauspielerische Leistungen im Rahmen einer Inszenierung geht – denn vergeben wird der Preis offiziell für die Rolle in einem Stück. 2021 ging er an Lina Beckmann und ihren englischen König in „Richard the Kid & the King“, der als Koproduktion der Salzburger Festspiele und des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg entstand. Verliehen wird die Auszeichnung im Mai 2022. Die Wahl hatte Jossi Wieler als Vorsitzender mit Karin Henkel und André Jung getroffen. „Lina Beckmann ist eine herausragende Theaterpersönlichkeit“, sagt Drescher, der unter anderem noch Präsident der Bayerischen Theaterakademie August Everding in München ist.

Prof. Hans-Jürgen Drescher leitet die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste, die auch ihren Sitz in Bensheim hat.

Die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste hat rund 450 Mitglieder und liest sich wie das Who-is-Who der aktuellen Theater-, Hörspiel-, Film- und Fernsehszene – mit Nadja Uhl, Martin Wuttke, Kay Voges, Andreas Dresen oder Achim Freyer. Dass der Eysoldt-Ring in Bensheim vergeben werde, mache ihn auch besonders – „in Berlin wäre er einer unter vielen“, sagt Drescher, „hier aber ist er solitär und eingebettet in ein großes gesellschaftliches Event“. Was aber macht eigentlich gutes Schauspiel aus? Die Spielarten hätten sich nicht zuletzt durch digitale Formate natürlich stark erweitert, sagt der Akademie-Präsident. „Aber die lebendige Kopräsenz von Schauspieler:innen und dem Publikum ist noch immer die Quelle neuer Erfahrungen.“ Um Fenster zu öffnen. Von Bensheim aus in die Welt.


Die Preisverleihung des Eysoldt-Rings 2021 findet am 21. Mai 2022 im Parktheater Bensheim statt.

www.darstellendekuenste.de

Das Museum Bensheim hat mit Berthold Mäurer eine eigene Podcast-Folge über den Eysoldt-Ring produziert. Hier der Link.

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