Große Schauspielkunst braucht kein großes Theater. Es reichen auch wenige Quadratmeter, um die Welt auf die Bühne zu bringen. Wo Sonst hat sich aufgemacht, auf die Suche nach Kleinoden in der Region, die auch über den Sommer ein Programm bieten – und Off-Theater gefunden, die mit viel Engagement, Idealismus und Herzblut geführt werden. Den Auftakt für unsere kleine Serie macht das Theater in der Kurve in Neustadt-Hambach, das Hedda Brockmeyer und Heinz Kindler aufgebaut haben. In einem Raum, in dem schon Wein gekeltert, Milch verkauft und Öl gelagert wurde, können heute bis zu 50 Zuschauer sorgfältig ausgewählte Stücke erleben.

Die große Scheunentür führt mitten ins Geschehen. Kaum geöffnet, kaum einen Schritt über die Schwelle gesetzt, kommt ein zerbeulter Kanister angeflogen und ein Mann hinterher. Es scheppert und rumpelt, ein Motor explodiert, Rauch zieht auf. Der Mann überschlägt sich und bleibt erstmal regungslos liegen. Langsam lichtet sich der Rauch und eine Frau erscheint, mit Fliegerbrille und Lederjacke. Kaugummikauend schiebt sie einen Oldtimer vor sich her.

Schauspiel hautnah – beim Theater in der Kurve fällt einem schon mal ein Mann vor die Füße.

Zeit, kurz durchzuatmen, sich umzuschauen, Orientierung zu gewinnen. Ein Blick zurück zur Eingangstür, ein Blick nach vorn zur Bühne: Wer das Theater in der Kurve in Neustadt-Hambach betritt, steht tatsächlich direkt vor der Spielfläche. Natürlich fällt einem dann nicht immer direkt ein Mann vor die Füße. Es sei denn, Christian Birko-Flemming und Leni Bohrmann proben gerade zufällig die Eröffnungsszene ihres Stücks „Copper, Flint und der Fabulotor“, im Programm wie folgt beschrieben: „Mit einem Knall werden Copper und Flint aus ihrem Fahrzeug geschleudert.“ Doch dieser Zufall macht gleich zu Beginn deutlich: Für einen großen Knall braucht es keine große Bühne und keine aufwendigen Effekte. Im Gegenteil: Auf so kleinem Raum fällt Flint eben tatsächlich fast ins Publikum. Unmöglich, dabei nicht zusammenzuzucken! Und ein Oldtimer kann auch einfach ein Leiterwagen sein und trotzdem richtig was hermachen.

Der Zuschauerraum, hier nur mit Hedda Brockmeyer, Regisseurin des Stücks – auf den alten Kirchenbänken hätten noch 49 weitere Menschen Platz.

„Ja, man muss schon etwas erfinderisch sein“, sagt Hedda Brockmeyer und lacht. Sie leitet das Theater in der Kurve mit seiner etwa 16 Quadratmeter großen Bühne. Hier ist kein Platz für üppige Kulissen. „Die Bühne ist klein, nicht rechtwinklig, alles ist ein bisschen schief und krumm.“  Doch mit einer bemalten Leinwand, Lichtstimmungen und vielen liebevoll ausgewählten und gut durchdachten Requisiten, kreieren Regisseurin und Schauspieler:innen auch auf 16 Quadratmetern eine ganze Welt. Eine Welt, die viel intimer, viel nahbarer ist, als in großen Häusern. „Die Atmosphäre ist eine ganz andere“, sagt Schauspielerin Leni Bohrmann. „Die Leute sitzen ja direkt vor einem. Man spielt nicht in einen dunklen Raum hinein, sondern sieht ihre Gesichter und Reaktionen. Das ist so intim – ich finde das zauberhaft.“ Auch wenn es viel Konzentration verlangt. „Du musst authentisch sein, hier kannst du nichts faken oder überspielen – die Zuschauer:innen merken das sofort.“

Hedda Brockmeyer ist selbst Schauspielerin, hat am Michael Tschechow Studio in Berlin gelernt und in einem Theater in Kreuzberg gearbeitet. Nach einem kaufmännischen Umweg in den Weinhandel, der sie auch in die Pfalz führte, zog es sie jedoch wieder ans Theater zurück. An der Freilichtbühne Haßloch lernte sie Heinz Kindler kennen. 1997 zogen sie gemeinsam in das verwinkelte Haus in Hambach. Ein ehemaliges Weingut, das sich in einer dreieckigen Form in die schärfste Kurve des Dorfes schmiegt. Eigentlich viel zu groß für das Paar. „Uns war von Anfang an klar: Wenn wir hier einziehen, dann nutzen wir den vorhandenen Raum kulturell.“ Ein eigenes Theater, klein und frei, aber mit professionellem Anspruch – das war ihr Traum.

Es ist das eine, ein Theater zu eröffnen, aber es ist etwas völlig anderes, es dann auch mit Leben zu füllen.“

Hedda Brockmeyer

Doch zunächst feierten sie in dem Raum, in dem heute die Bühne steht und in dem früher Wein gekeltert, Milch verkauft und Öl gelagert wurde, ihre Hochzeit. Danach bauten sie um. Nutzungsänderung, Notausgänge, Brandschutz – von ihrer früheren Tätigkeit in Berlin wusste Hedda Brockmeyer, welcher bürokratischer Aufwand dahintersteckt. „Aber die Zusammenarbeit mit den Ämtern lief erstaunlich reibungslos“, erzählt sie. Ein befreundeter Zimmerer brachte Bänke vorbei, aus einer alten Kirche in Mainz. Heute finden darauf etwa 50 Zuschauer:innen Platz. In der hinteren rechten Ecke sorgt ein kanadischer Holzfällerofen in der kalten Jahreszeit für wohlige Wärme. Wer zur Kasse will, muss zunächst die Bühne einmal umrunden und durch den winzigen Innenhof gehen. Hier liegt das Foyer, ein gemütlicher Raum mit alten Holzbänken und Sandsteinwänden – in denen sich auch der ein oder andere Brocken vom Hambacher Schloss wiederfindet, wie Brockmeyer erzählt.

Klein, aber fein und sehr gemütlich – das Foyer des Theaters. Foto: THUK

2009 feierten sie Eröffnung, mit dem Stück „Sindbad oder Der Quälgeist“. Damals stand Heinz Kindler noch selbst auf der Bühne, heute hält er sich eher im Hintergrund, ist für die Technik, Bühnenbild und Ausstattung zuständig. Schon damals brachten sie vor allem moderne Theaterliteratur auf die Bühne, aber auch Stücke nach eigenen Texten und Konzepten. Ein Theater, das nicht auf Comedy setzt, keine Schenkelklopfer bietet – und das mitten in der pfälzischen Provinz. „Noch während des Umbaus kamen immer wieder Leute vorbei, die uns gesagt haben, wie mutig wir sind, hier so ein Theater zu eröffnen“, erzählt Brockmeyer. Zweifel hatten sie jedoch nie. „Die kamen erst im Nachhinein. Es ist das eine, ein Theater zu eröffnen, aber es ist etwas völlig anderes, es dann auch mit Leben zu füllen.“

Hedda Brockmeyer und Leni Bohrmann lieben die Intimität des kleinen Theaters.

In den ersten Jahren spielten sie auch mal nur für sechs oder zehn Menschen. Aber sie spielten. Nach und nach füllte sich das Theater, mit Leben und Zuschauer:innnen. Auch dank eines wachsenden Netzwerks und Unterstützung aus dem Verband freier professioneller Theater Rheinland-Pfalz. 2011 kam Leni Bohrmann ins Team. Mit einer Schauspielgruppe war sie damals auf der Suche nach Auftrittsorten. „Uns fiel ein: Es gibt doch dieses kleine Theater in Neustadt.“ Sie ging hin, traf Hedda und Heinz und vom ersten Treffen an war allen klar: „Das passt!“ Mittlerweile leitet Bohrmann den Theater- und Kulturförderverein Hambach (THUK) – dessen primärer Wirkungsort das Theater in der Kurve ist, der aber auch darüber hinaus Projekte anstößt und durchführt.

„Mit Rilke im Ring“ ist eine Eigenproduktion mit Schauspiel, Lyrik und Live-Musik, geschrieben von Hedda Brockmeyer. Foto: THUK

Zwei bis drei neue Stücke bringt das Theater in der Kurve im Jahr auf die Bühne. Stücke, die unter die Haut gehen, wie „Mit Rilke im Ring“, aber auch humorvolle Geschichten wie „Copper, Flint und der Fabulotor“, ein Stück von Leni Bohrmann, das für Kinder ab sechs Jahren geeignet ist. Hinzu kommen Gastspiele und die „Sommernachträume“. In den warmen Monaten verlagert sich das Theatergeschehen in den hübschen kleinen Garten neben dem Haus, mit seinem Rosenbogen, der wie gemalt das Hambacher Schloss im Hintergrund einrahmt.

Idyllische Sommernachtträume: Im Sommer steht die Bühne im Garten des Theaters. Foto: THUK

Immer donnerstags trifft sich im Theater das THUK-Ensemble, auch Kinder und Jugendliche sammeln hier erste Bühnenerfahrung. Leni Bohrmann leitet die Jugendgruppe „Dauerstrom“, die zu ihrer Verwunderung selbst in den Ferien spielen wollen. „Die Jugendlichen haben hier einen Ort gefunden, an dem sie sein dürfen. Die spielen hier nicht nur Theater, die feiern, lachen, erzählen und schimpfen auf die Schule.“ Und inszenieren ihre Stücke mittlerweile sogar selbst.

Engagierter Nachwuchs: Die Jugendgruppe „Dauerstrom“ inszeniert ihre Stücke mittlerweile selbst. Foto: THUK

Das ist es, was Hedda Brockmeyer, Heinz Kindler und Leni Bohrmann am meisten freut: Das sie hier einen Ort geschaffen haben, an dem sie ihre Liebe zum Theater weitergeben können. Dass sie das während der Corona-Pandemie nicht konnten, hat sie schwer getroffen. Die Nähe und Intimität, von der das kleine Theater lebt, war lange Zeit nicht möglich. „Corona hat uns sehr zurückgeworfen“, gibt Brockmeyer zu. „Es ist, als müssten alle erst wieder lernen, gemeinsam Kultur zu erleben – und auch diese Intimität wieder zuzulassen.“ Und dafür gibt es eigentlichen keinen besseren Ort, als das Theater in der Kurve. 


www.theaterinderkurve.de

Newsletter

Ausflugstipps und interessante Geschichten über die Rhein-Neckar-Region gibt es regelmäßig in unserem Newsletter.

Und so geht’s: Geben Sie Ihre E-Mail Adresse in das Feld ein und klicken Sie auf abonnieren. Sie erhalten daraufhin eine automatisch generierte Nachricht an die von Ihnen genannte E-Mail Adresse, die Sie nur noch bestätigen müssen. Fertig!

Abbrechen

Suche