Als Kind wollte Rolf Rinklin einfach wegfliegen, wenn’s brenzlig wurde. Heute fliegt er, wenn sein Herz danach ruft – und der Wind aus Westen weht. Dann sind die Bedingungen am Schriesheimer Ölberg optimal, und ein Gleitschirmflug von dort oben wird zu einer Reise in eine andere Welt.
Schon der Weg ist ein Ritual. Hunderte schweißtreibende Höhenmeter quer durch den Wald. Zuerst auf verschlungenen Wingertwegen durch die Schriesheimer Weinberge, dann auf schmalen, verwurzelten Trails zur Ruine Schauenburg – wo Rolf Rinklin seinen über zehn Kilo schweren Rucksack absetzt, durchatmet – und nach den Wolken schaut.
„Wenn ich hier hochlaufe“, sagt der Mannheimer Grafiker, „bin ich glücklich und hab’ ich nur eine Sorge: ob der Wind gut ist.“ Gut ist der Wind meist dann, wenn die Wolken aus Westen, vom Pfälzerwald her, wie weiße Schiffe über die Rheinebene Richtung Badischer Bergstraße segeln. Dann steigt Rolf Rinklin so schnell er kann durch den Wald weiter – bis sich am Ende des Weges eine weite Lichtung öffnet, wie ein Fenster zur Sonne: der Startplatz der „Bergsträßler Drachen- und Gleitschirmflieger“, 270 Höhenmeter über Schriesheim.
40 Jahre früher, im Jahr 1977, ist hier der Schriesheimer Charlie Jöst auf der Suche nach einem sagenumwobenen Segelflugplatz durch den Wald gestapft – und fand den vergessenen Ort, wo in den 30er-Jahren Segelflugzeuge mit einem Gummiseil in den Himmel katapultiert wurden. Um mit seinem Hängegleiter starten zu können, musste der damalige Schlagzeuger der Krautrockband Tritonus nur noch einige Sträucher weghauen, Anlauf nehmen, über die Hangkante spurten – und fliegen!
Dort, wo Charlie Jöst nach ein paar Minuten sicher landete, auf einer Wiese im Weinberg an der Ortsgrenze zu Dossenheim, stehen heute bei gutem Wetter Dutzende von Fliegern – und checken Smartphones. In der WhatsApp-Gruppe „Schrieße nuff schlappe“ ist mal wieder die Hölle los und alle hoffen, nicht auf den Berg schlappen zu müssen – sondern mit dem Bus fahren zu können. Gerade kommt wieder der alte Vereins-VW-Bus um die Ecke, um die nächste Gruppe zum Ölberg raufzuschaukeln. Wer keinen Platz mehr bekommt und nicht auf die nächste Tour warten möchte, muss laufen – wie Rolf Rinklin heute, der jetzt startklar ist.
Auf einer großen grünen Matte hat er den Gleitschirm ausgebreitet. Die vielen feinen Leinen sind sortiert, GPS und Fluginstrumente gecheckt, der Helm sitzt und in seiner Brille spiegeln sich die Wolken. Jetzt nur noch Warten auf den richtigen Moment. Immer wieder wandert der Blick zu den Windfähnchen am Waldrand. Flaute. Nichts passiert. Doch plötzlich beginnt es in den Bäumen zu rauschen. In der hufeisenförmigen Struktur des Ölbergs beginnt sich der Westwind zu fangen – eine Thermikablösung rauscht als warmer Wind den Hang herauf. Jetzt geht alles ganz schnell. Rolf Rinklin rennt rückwärts los, mit einem kurzen Ruck entfaltet sich der Schirm über ihm, bis er den Körper zur Rampe dreht und läuft … und läuft … und fliegt …