Im Hindernislauf durch Mannheim: Über Mauern und Treppen, über Tiefgarageneinfahrten und Zäune. Parkour fasziniert Tim Weickenmeier, seit er in der Schule eine AG besuchte. Heute gibt er seine Begeisterung in Kursen weiter und ist überzeugt: „Parkour kann jeder lernen!“

Für einige Sekunden steht Maurice Meyerhoff ganz still. Er blendet die Straßenbahn hinter sich aus, genauso wie die Passanten, die vorübergehen oder die Frau, die aus ihrer Wohnung im dritten Stock die Handykamera auf ihn gerichtet hat. Er steht hinter dem Museum Weltkulturen der Reiss-Engelhorn-Museen (REM) in Mannheim. Vor sich Mauern und Lüftungsschächte. Mit den Fingern misst er die Distanz, schätzt ab, wie viele Schritte er braucht. Dann setzt er einen Fuß zurück, federt nach vorn, springt mit langen Schritten über die Lüftungsschächte – und klebt kurz darauf in der schrägen Wand des Museums. Tim Weickenmeier hat jede Bewegung seines Freundes beobachtet. „Geil, Alter – du musst nur noch ein bisschen nach oben pushen!“ Maurice probiert es gleich nochmal – und schafft es diesmal, sich an der Wandverkleidung festzuhalten. Beim nächsten Anlauf baut er einen Salto mit ein.

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Mit Feerunner Tim Weickenmeier unterwegs in Mannheim.
Mit gemafreier Musik von www.frametraxx.de

Tim und Maurice sind Freerunner. Und Freunde. Oft sind sie gemeinsam unterwegs in der Stadt. An den REM, am Neckarufer, vor der Abendakademie, am Collini-Center. Überall dort, wo Fassaden und Wände, Treppen und Mauern, Zäune und Geländer für sie geeignete Hindernisse bilden. Diese versuchen sie zu überwinden, mal möglichst schnell und effizient, mal möglichst kreativ. Sie vermischen dabei Elemente des Parkour, bei dem es vor allem um die effiziente Fortbewegung geht, mit Elementen des Freerunning, wo der kreative Körpereinsatz im Vordergrund steht. „Diese Einteilung ist mir persönlich überhaupt nicht wichtig“, sagt Tim. „Hauptsache, es macht Spaß.“

Am liebsten gemeinsam unterwegs: Tim (rechts) und Maurice.

Er beschreibt Parkour eher so: „Als Kind läuft man doch nie auf dem Gehweg, sondern balanciert lieber auf ner Mauer oder kraxelt irgendwo hoch als die Treppe zu benutzen. Wir haben einfach nie damit aufgehört.“ Parkour ist grundsätzlich überall im öffentlichen Raum erlaubt – es gehört zum Ehrenkodex der Szene, keine Spuren an den Hindernissen zu hinterlassen. Illegal wird es dann, wenn Privatgrundstücke oder Dächer ohne Erlaubnis betreten werden.

Parkour kam in den späten 1980er Jahren in Frankreich auf und erlebte in den 1990er und 2000er Jahren durch Spiel- und Dokumentarfilme einen Boom, der die Trendsportart sogar bis nach Speyer trug. Ein Lehrer von Tim war fasziniert von dieser Art der Fortbewegung und bot eine AG in der Schule an. „Er wusste eigentlich nicht wirklich, was er da tat – aber er war begeistert und motiviert. Mich hat das sofort gepackt. Wir haben einfach in der Sporthalle alle möglichen Geräte aufgebaut und sind dann rumgerannt.“ Dem damals 13-Jährigen machte es riesigen Spaß, seine Bewegungsfreude so frei ausleben zu können. „Es gibt keine Regeln, niemand verteilt Haltungsnoten – das fand ich klasse.“ Später übernahm er mit Freunden die AG, sie waren längst besser als ihr Lehrer.

Tim wagte mit seiner Leidenschaft für Parkour den Schritt in die Selbständigkeit.

Nach der Schule machte Tim zunächst eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker. Doch mit der Aussicht, das nun bis zu seinem Lebensende zu machen, konnte er sich nie richtig anfreunden. Er packte lieber seinen Rucksack und reiste durch Australien und Südostasien. „Ich schränke mich nicht gerne ein. Nicht im Denken und nicht in der Bewegung. Diese Freiheit auf Reisen, dieses Vagabundenleben hat mir sehr gefallen.“ Danach war für ihn klar, dass er als Angestellter nicht glücklich werden wird und lieber sein eigenes Ding machen will. Er war mittlerweile gut vernetzt in der deutschen Parkour-Szene. „Das klingt vielleicht wie ein Klischee, aber wir sind wirklich eine große Familie.“ Egal, in welche Stadt er gehe, er könne immer sicher sein, dass dort ein Sofa zum Übernachten für ihn bereit steht. Mit einem Kollegen aus Berlin gründete er die Parkour Akademie, sie wollen die Sportart so realitätsnah wie möglich vermitteln. „Uns geht es einfach darum, Spaß an der Bewegung zu wecken“, sagt Tim. 

Warum laufen, wenn man fliegen kann?

Für seine neue Tätigkeit als Coach zog Tim nach Mannheim. Die Stadt hat sich zu einem Hotspot entwickelt, die Szene wächst und wächst. Der deutsche Film Parkour von 2009 wurde vor der Industriekulisse Mannheims gedreht, die Parkourhalle SPRING!BAR ermöglicht das Training auch bei schlechtem Wetter und sogar auf dem Gelände der Bundesgartenschau 2023 wird es einen Parkour-Park geben – Tim hilft beim Design. „Es gibt hier einfach viele Orte, an denen wir trainieren können. Und dieser urbane Sport passt zu einer so bodenständigen Stadt wie Mannheim.“

Verschiedene Ebenen, viele Kanten – der Brunnen vor den Reiss-Engelhorn-Museen ist ideal für Parkour.

Zweimal in der Woche bietet Tim Kurse an – für alle Altersstufen. Er gibt Workshops in Schulen oder Jugendzentren. Die Nachfrage ging steil nach oben. Bis Corona ihn zu einer Pause zwang. Er hat sie zumindest für eine Sache genutzt: Tim deutet auf seinen Fuß. Er hat gerade eine Operation hinter sich, eine Verknöcherung. Deshalb klebt er heute nicht an der Museumswand und überlässt die Saltos meist seinem Freund Maurice. „Es gibt im Parkour eigentlich nur eine Regel: Achte auf deinen Körper. Und ich muss zugeben, dass ich mich daran nicht immer gehalten habe.“ Er grinst schief.

Was tun, wenn plötzlich ein Hund auftaucht?

Neben ihm nimmt Maurice Anlauf, rennt die Museumswand hoch und setzt zu einem Rückwärtssalto an. In diesem Moment rennt Tims Hund Kiba auf ihn zu. Noch in der Luft spreizt Maurice die Beine und landet breitbeinig über dem Hund. Er lacht, als Kiba an ihm hochspringt, als wolle sie ihm zum gelungenen Kunststück gratulieren. „Ich habe gesehen, dass sie kommt und eben reagiert.“ Es klingt, als wäre für ihn deutlich mehr Zeit vergangen als für den Zuschauer. Zeit genug, um in der Luft den kompletten Bewegungsablauf nochmal zu überdenken. „Das wird Routine, irgendwann“, sagt er nur und federt davon.

Einfach breitbeinig landen!

Seine Bewegungen sehen leicht aus und flüssig, mühelos. Immer wieder bleiben Passanten stehen und zücken ihre Handykamera. Und sie alle denken bestimmt nicht das, was Tim im nächsten Moment sagt: „Parkour kann jeder lernen.“ Jeder? Wirklich? „Es geht ja nicht darum, möglichst viele Tricks zu können, sondern Spaß an der Bewegung zu haben.“ In seinen Kursen trainiert er Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Von 10 bis 60 Jahren. Von durchtrainiert und sportlich bis übergewichtig. „Das ist ja das Schöne an Parkour: Man kann das Training immer individuell anpassen und genau das machen, was der Körper im Moment leisten kann. Und sich mit der Zeit langsam steigern.“ Und um trainieren zu können, reichen zwei Bordsteinkanten. „Es geht darum, seinen Köper kennenzulernen. Genau einschätzen zu können, wieviel Kraft und Schwung ich brauche, um von einer Kante zur anderen zu springen.“

Genau bemessen: Wieviel Kraft brauche ich zur nächsten Mauer?

Wenn es um akrobatische Tricks geht, haben Tim und Maurice eine feste Reihenfolge. Neue Kunststücke werden erstmal auf weichem Untergrund geübt. Maurice hat sich dafür extra ein Trampolin angeschafft, Tim übt in einer Halle mit Airtrack. Dann bringen beide den Trick auf die Matte, dann auf Rasen und erst wenn die Sicherheit groß genug ist, über Beton. Und noch bevor es in die Höhe geht, wird das Fallen geübt – das Aufkommen und Abrollen, das Abfangen von mehreren G bei Sprüngen aus großer Höhe.

Nicht jeder Trick gelingt: Verletzungsfrei Scheitern und Stürzen will gelernt sein.

Am liebsten trainieren beide in der Gruppe, geben sich Tipps, helfen sich gegenseitig. „Es geht nicht darum, besser zu sein als andere. Sondern einfach besser zu werden. Für sich selbst.“, sagt Maurice.  Immer wieder gibt es Anläufe, die Sportart ins olympische Programm aufzunehmen – doch immer wieder gibt es dagegen auch Widerstände in der Szene. „Vermutlich wird sich mit der Zeit ein Wettkampf-Typ herausbilden, der gut bewertbar ist“, sagt Tim. Für ihn bleibt die Individualität der Bewegungen jedoch das Wichtigste an seinem Sport. Und die Freiheit, diese Lust überall ausleben zu können. Deshalb ist Parkour für ihn auch Interaktion, er erschließt sich so Städte, erfährt seine Umwelt mit vollem Körpereinsatz – ohne selbst Spuren zu hinterlassen.


www.parkourakademie.com

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