In der blau-weißen Keimzelle

Der Aufstieg der TSG Hoffenheim begann genau hier – im Dietmar-Hopp-Stadion. Und mit ihm: Denn Horst Heinlein ist die Stimme des Vereins. Von seiner Sprecherkabine aus hat er ein Stück Sportgeschichte mitverfolgt – und sogar schon den „Kaiser“ empfangen.

Kurz vor 14 Uhr wird es langsam ernst. Draußen auf den blauen Sitzschalen haben die Fans Platz genommen: Familien und Paare, Kinder, Eltern und Großeltern, den blau-weißen Schal um den Hals, die obligatorische Stadionwurst in der Hand. Drinnen schaut Horst Heinlein noch einmal auf den Zettel mit der Mannschaftsaufstellung. Komplizierte Namen hat er angestrichen und bei den Betreuern nach der richtigen Aussprache gefragt. Nachdem die Zuschauer das Badnerlied gesungen haben, schallt Heinleins freundliche Stimme aus den Boxen, es kann losgehen. „Herzlich willkommen hier bei uns in Hoffenheim! Wir freuen uns auf ein faires und spannendes Spiel gegen den SC Sand.“

Horst Heinlein – die Stimme der TSG 1899 Hoffenheim.

Horst Heinlein ist die Stimme der TSG 1899 Hoffenheim. In der großen PreZero Arena in Sinsheim begrüßt er bei Bundesliga-Heimspielen das gegnerische Team und gibt die Zwischenergebnisse der anderen Spiele durch. Sein eigentliches Domizil aber ist die Sprecherkabine im Dietmar-Hopp-Stadion in Hoffenheim – am Ort, wo alles angefangen hat und wo noch heute die Erste Frauen-Mannschaft und die Nachwuchsteams der Männer ihre Partien austragen. An diesem Tag treten die Frauen in der Bundesliga gegen den SC Sand an. Ein bis zwei Mal, manchmal auch drei Mal pro Woche sitzt Heinlein in seiner Kabine. Bevor er auch begann, die Spiele der Damen anzusagen, hatte er sich zunächst die „Erlaubnis“ seiner eigenen Frau geholt. „Ich bin ja sowieso schon jedes Wochenende im Stadion.“

Das Dietmar-Hopp-Stadion thront am Hang über dem Sinsheimer Ortsteil und seinen knapp 3300 Bewohnern, die Flutlichtmasten sind auch vom unteren Dorf aus zu sehen. 6350 Fans – also fast doppelt so viele Menschen wie Hoffenheim Einwohner hat – finden im Stadion Platz. Die Atmosphäre ist gleichzeitig professionell und familiär. Egal ob auf der kleinen Stehtribüne oder auf den Sitzrängen: Der Zuschauer ist hier immer nah dran am Geschehen auf dem Naturrasenplatz.

Das gilt auch für Horst Heinlein. Weil er gerade Geburtstag hatte, kommen an diesem Sonntag immer wieder Kollegen vorbei, gratulieren und nehmen ihn in den Arm. Hier kennt ihn jeder. Der Stadionsprecher erinnert sich an junge Talente wie den heutigen Nationalspieler Sebastian Rudy. „Der kam oft vorbei, hat mit mir geflachst und gesagt, dass ich jemanden grüßen soll.“ Das sei das Tolle, sagt Horst Heinlein: Dass so viele Jungspieler in Hoffenheim angefangen und dann Karriere gemacht haben. Auf seinen wenigen Quadratmetern stand allerdings auch schon der „Kaiser“: Franz Beckenbauer war mehrmals im Stadion, wenn die Hoffenheimer gegen eine der Mannschaften von Bayern München spielten. Einmal habe in der Vorbereitung der Kopierer gestreikt, erzählt Horst Heinlein. Es wurde hektisch und er bat den früheren Weltmeister, an seiner Stelle die Aufstellung rauszugeben. „Das hat er auch gemacht. Der ist ein ganz unkomplizierter Typ.“

Wie viele Partien er aus seiner Kabine verfolgt und moderiert hat? Horst Heinlein hat nicht mitgezählt. Auf jeden Fall hat er mit Blick auf das Spielfeld auch ein Stück Sportgeschichte verfolgt: den Aufstieg eines Kraichgauer Dorfvereins von der Kreisliga in die deutsche Spitzenklasse. Hätte er das für möglich gehalten? Damals, als die TSG noch einer von unzähligen unterklassigen deutschen Vereinen war? Heinlein schüttelt den Kopf. „Wenn mir das jemand erzählt hätte, hätte ich gesagt: Träum weiter.“

„Früher haben wir noch mit dem Megaphon gearbeitet.“

Heinlein war sechs Jahre jung, als er in den 50ern begann, für seinen Heimatverein zu spielen. Danach blieb er der TSG immer treu, seinen Mitgliedsausweis trägt er noch heute immer bei sich. Für die Zweite Mannschaft stand er Anfang der 80er im Tor, amtierte später als Vizepräsident. 1990 fing er als Sprecher an. „Damals haben wir noch mit dem Megaphon gearbeitet.“ Heinlein nimmt sich selbst nicht allzu wichtig. Dass er zum Zuge kam, sei er eine Notlösung gewesen, sagt er.  „Es wurde gesagt: Von der Stimme her könnte der das doch machen.“

Es war die Zeit des großes Umbruchs. 1989 war Hoffenheim in die die Kreisliga A abgestiegen und die Stimmung am Boden. SAP-Mitbegründer Dietmar Hopp, der in seiner Jugend selbst für die TSG gespielt hatte, entschied daraufhin, den Verein als Mäzen zu unterstützen. Von da an ging es beständig aufwärts. Das Spiel, das Horst Heinlein besonders im Gedächtnis geblieben ist, fand im Dezember 2003 statt: Der damalige Regionalligist Hoffenheim empfing im Achtelfinale des DFB-Pokals Bayer Leverkusen, das Hopp-Stadion war brechend voll. Horst Heinlein ist ein höflicher Mensch, niemand für überhebliche Siegerposen. Doch bei dieser Erinnerung legt er seine professionelle Neutralität kurz zur Seite: „Die haben wir aus dem Stadion gehauen.“ Rein sportlich natürlich. 3 zu 2 gewannen die Gastgeber – und bekamen vielleicht eine Ahnung davon, dass es noch weiter bergauf gehen würde. Am Mikro war Heinlein dann natürlich auch am 18. Mai 2008.  An dem Tag also, als Hoffenheim mit einem Heimsieg gegen Greuther Fürth den Aufstieg in die Erste Bundesliga besiegelte.

Hoffenheim ist heute einer von drei Standorten der TSG. Neben dem Hopp-Stadion befindet sich dort das Leistungszentrum der U17- und U19-Mannschaften. Pünktlich zum 100. Jubiläum des Vereins war das Stadion 1999 fertig, für die große Bundesliga-Bühne ab 2008 allerdings schon wieder zu klein. Trotzdem füllen sich die Ränge auch an diesem zugigen Sonntagnachmittag mit Fans aller Altersklassen, denn Spitzensport bekommen die Besucher in Hoffenheim immer noch zu sehen. In der vergangenen Saison spielte die U19-Mannschaft in der europaweiten Youth League – im Hopp-Stadion liefen die Nachwuchsmannschaften von Real Madrid, Olympique Lyon und Schachtar Donezk auf.

Gerade die jungen Spieler liegen Horst Heinlein am Herzen. Es komme schon einmal vor, dass er sich über ein Spiel ärgere und in seiner Kabine fluche, sagt der 70-Jährige. Aber natürlich nur, wenn das Mikro aus ist. An diesem Tag hat er kaum Anlass dazu: Die Hoffenheimerinnen gewinnen 1 zu 0 gegen den SC Sand. Sie sind auch so eine Erfolgsgeschichte, auch wenn sie weniger im Rampenlicht stehen als die Männer. „Der Frauen-Fußball hat sich in den letzten Jahren total entwickelt“, sagt Heinlein. Die TSG-Mannschaft konnte sich in der Frauen-Bundesliga in die Spitzengruppe spielen.

Fußball ist bei den Heinleins Familiensache. Horsts Bruder Achim ist Schiedsrichterbetreuer. Willi, der Dritte im Bunde, führte ab 1989 für kurze Zeit den Verein als Präsident und umsorgt heute die Spieler als Mannschaftsbetreuer. Jeden Freitag treffen sich die Brüder bei ihrer Mutter zum Kaffeetrinken und sprechen dann – natürlich – vor allem über Fußball. Horst Heinlein ist zwar längst im Rentenalter. Ans Aufhören denkt er aber nicht. „Es macht immer noch großen Spaß.“ Und wer weiß, welche Erfolgsgeschichten vor seinem Fenster noch geschrieben werden.


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