Bunte Farben, allerlei Gerüche, Stimmen und fremde Melodien. Im Mannheimer Jungbusch treffen die unterschiedlichsten Lebensstile aufeinander. Und dort, im Zentrum dieses quirligen, multikulturellen Stadtteils, befindet sich eine besondere Schule. Die Orientalische Musikakademie Mannheim, kurz OMM, ist ein Ort für Kunst, Kultur und Integration.

Der Musiker und Soziologe Mehmet Ungan gründete sie 2008 gemeinsam mit einer Gruppe von Künstler:innen und Kulturschaffenden unterschiedlicher Herkunft. „Damals pflanzten wir den Samen“, beschreibt er es. Und tatsächlich, wie ein stattlicher Baum mit kräftigen Wurzeln und einer weitverzweigten Krone, steht das vielseitige Angebot und Engagement der Akademie. Auch die räumliche Nutzung ist stetig gewachsen. Das Gebäude im Innenhof der Jungbuschstraße wird nun komplett von der Schule genutzt. Im Keller etwa befinden sich Studios, in einem der Geschosse gibt es Platz zum Meditieren. Einen „Raum für die Raumlosigkeit“, wie Ungan es mystisch umschreibt.

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Mehmet Ungan, Leiter der OMM, lässt im Video die Welt erklingen.

Angefangen hat es allerdings ganz oben, unterm Dach. Durch die vielen Fenster wird der große Raum mit Licht durchflutet. „Im Sommer wird es hier richtig heiß – orientalisch eben“, scherzt der Leiter. Das Parkett ist mit farbenfrohen Teppichen bedeckt, die Wände säumen niedrige Polsterbänke, bestickte Kissen laden zum Sitzen auf dem Boden ein. An den Wänden hängen die unterschiedlichsten Saiteninstrumente, etwa Rebab, Saz oder Kemençe. Doch auch Blasinstrumente oder verschiedenes Schlagwerk finden sich in dieser musikalischen Wunderkammer. Unterrichtet werden aktuell zehn verschiedene Instrumente und Tanz.

Zehn verschiedene Instrumente werden an der OMM unterrichtet.

Mehmet Ungan selbst lehrt die Spieltechnik auf der Ney, einer Rohrflöte, die zu den ältesten noch immer gespielten Musikinstrumenten der Welt gehört. Und der Oud, einer Laute aus dem Vorderen Orient, die als Mutter des deutschen Pendants gesehen werden kann. Gezupft wird sie mit einem Plektron, das viel länglicher ist als die hier bekannten. „Früher“, weiß der Instrumentalist, „verwendete man dafür die Feder eines Adlers.“ Fragt man ihn, wie viele dieser Lauten er besitzt, winkt Ungan nur ab. „Zehn sind gerade ausgeliehen, sieben davon kommen garantiert nicht mehr zurück“, sagt er mit einem breiten Lachen. 

Mehmet Ungan spricht, wie er musiziert. Leidenschaftlich, blumig, tiefgründig. Er springt zwischen Humor und Mystik, zitiert Philosophen wie Ernst Bloch oder erzählt in lebendigen Szenen aus seiner Kindheit. Etwa, wie er als 13-Jähriger mit einem Tablett über dem Kopf balancierend durch die belebten Straßen seiner Geburtsstadt Adana rannte, Kebab verkaufte, um sich am Ende des Sommers seine erste eigene Gitarre leisten zu können.

Hier zählt nicht, was deins ist oder meins. Hier gibt es nur ein wir

Mehmet Ungan

Seine Eltern hätten viel musiziert. „Zu meinen schönsten Erinnerungen an meine Mutter gehört, wie sie beim Nähen sang. Die Stoffbahnen türmten sich auf dem Tisch, ich drehte das kleine Rad der Maschine und sie improvisierte Lieder über ihren Schmerz und den Verlust ihrer eigenen Eltern.“ Doch so musikalisch die Eltern auch waren, der Sohn als Berufsmusiker – unvorstellbar.

Ungan spielt und lehrt Ney, ein Instrument mit großer Tradition.

Ungan wollte sich frei machen, wachsen und wurzeln. Und kam im Dezember 1976 zum Studium aus der Türkei nach Mannheim. Der erste Eindruck dieser Stadt, die nun ein Teil seines Zuhauses wird – er hat ihn nie vergessen. „Die Lichter leuchteten, es war Weihnachten und ich dachte, das ist alles für mich.“ Er fand hier seine Freiheit, gründete eine Familie. „Heimat ist ein Gefühl, kein geografischer Ort“, sagt er heute. Und doch fehlte ihm damals etwas. In ihm wuchs diese Vision eines Zentrums der interkulturellen Begegnung. Er wollte die alt-orientalische Lehre der Musiktherapie tradieren. Den Reichtum der Weltmusik und ihrer Instrumente lehren. Und die Kraft der Rhythmen für sozial-integrative Projekte nutzen. Dieser Samen, er ging auf. In den physischen Räumen der Akademie haben sich psychische Weiten aufgetan. „Hier zählt nicht, was deins ist oder meins. Hier gibt es nur ein wir“, beschreibt es Ungan. In diesem Sinne haben sich hier einige Bands gefunden, die stilistisch mit europäischer Klassik oder Jazz und verschiedenen Traditionen des Nahen Ostens experimentieren. 

Das riesige Potenzial hat die nur wenige Schritte weiter in Richtung Hafen gelegene Popakademie erkannt. Sie bietet seit 2015 den deutschlandweit einzigartigen Studiengang Weltmusik an, der in enger Zusammenarbeit mit der OMM gelehrt wird. Aber auch und gerade Jugendliche fernab des akademischen Wegs finden in den Räumen der Akademie ein Zuhause. Nicht nur im übertragenen Sinne: „Manche Kinder wollen hier schlafen,“ sagt Ungan lächelnd. Dass die pädagogische Arbeit in diesem multiethnisch geprägten Stadtteil reiche Früchte trägt, ist nicht verwunderlich. Viele dieser jungen Menschen hatten vorher keine Chance, sich zu verorten. In Musik, Tanz und Kultur finden sie eine heilsame Antwort auf ihre stummen Fragen nach Zugehörigkeit. Und eine wichtige Bestätigung. Niemand, das wird hier vermittelt, soll sich weniger wertgeschätzt fühlen, nur weil er anders ist. 

Für viele junge Menschen ist die OMM ein Zuhause – und ein Ort der Zugehörigkeit.

Dieses Engagement der Lehrer:innen und Sozialpädagog:innen wird unterstützt. Die Stadt Mannheim hat die OMM im politischen Stadtplan integriert. Auch durch kommunale institutionelle Förderung. Darüber hinaus erhält die Akademie finanzielle Unterstützung vom Flüchtlingsfonds und vom Integrationsfonds der Stadt Mannheim sowie durch wechselnde Förderprojekte. Für die Zukunft wünscht sich Mehmet Ungan, dass Musik in den Themenplänen weiterführender Schulen weniger nebensächlich behandelt werden soll. „Wenn wir singen, schwingt alles.“ Und Schwingungen können heilen. Vielstimmig singt Mannheim seit jeher. Mit der Orientalischen Musikakademie haben noch einige Stimmen mehr ihren Platz bekommen. Weltoffen ist dieser Ort, aber tief verwurzelt im Jungbusch.


www.orientalischemusikakademie.de

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