Roller Derby ist wie Rugby auf Rollschuhen – gespielt hauptsächlich von Frauen. Sie drängeln und rempeln, stecken ein, teilen aus. Klingt wild, ist aber ein großer Spaß. Bei diesem Sport, das zeigt ein Besuch bei den Rhein-Neckar Delta Quads in Mannheim, zählt vor allem eines: die Lust, mitzumachen.

Am Anfang ist da einfach ein großer Haufen. Ein Pack aus zehn Spielerinnen auf Rollschuhen, die drängeln, rempeln, drücken, schieben. Bis es der Spielerin mit dem Kampfnamen „SplinterBelle“ gelingt, sich mit einer Drehung herauszuwinden. Zwei kleine, schnelle Schritte auf den Stoppern ihrer Rollschuhe und sie ist draußen aus dem Pack. Sie nimmt Schwung auf, ihre Schritte werden größer, sie gleitet über den Track, einmal im Kreis, bis sie es wieder vor sich hat: das Pack. In dem ihre Konkurrentin noch immer feststeckt, im Block von „Rhonda Housekick“ und „Hannahbelle Lecter“, die Schulter an Schulter dastehen und sie nicht durchlassen. „SplinterBelle“ nimmt die Geschwindigkeit etwas raus, geht leicht in die Knie – fährt mit Wucht rein in das Pack und dreht sich dabei.

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Ruppige Rempler, rasante Rollen und Partystimmung: Ein Besuch bei den Rhein-Neckar Delta Quads. Musik: „Infraction“

Klingt alles etwas verwirrend? Ist es auch. Zumindest, wenn man zum ersten Mal beim Roller Derby zuschaut. Macht aber nichts, denn die Stimmung beim Spring Clean Scrimmage (direkt übersetzt: Frühjahrsputz-Gedrängel) der Rhein-Neckar Delta Quads in der Hockey-Halle des TSV Mannheim ist auch so mitreißend. Roller-Derby-Spielerinnen aus ganz Deutschland laufen sich in Mannheim warm für die neue Saison. Am Rand des Spielfelds steht Nicole Geller alias „Nicky Knox“, die Ansagerin der Delta Quads – wie immer verkleidet. Diesmal als Elvis in einem weißen Kostüm mit bunt-glitzernden Pailletten, goldener Sonnenbrille und aufgeklebten Koteletten. Wer nicht versteht, was auf dem Spielfeld vor sich geht, dem erklärt sie einfach gleich über Lautsprecher, was Sache ist.

„Nicky Knox“ führt lautstark und glitzerbunt durch das Derby.

„Gogogogogo!“, feuert sie jetzt die Spielerinnen an. Am Spielfeldrand steht Alisa Herm alias Carrie Headshot, die Trainerin der Delta Quads, wedelt aufgeregt mit einer Warnweste und ruft „SplinterBelle“ zu: „Call it! Call it!“ Dann ertönen drei schrille Pfiffe, die Spielrunde – der Jam – ist vorbei, die Roller-Derby-Spielerin hat sechs Punkte gesammelt. Für jede überrundete Gegnerin einen. Das Publikum jubelt, aus den Boxen johlt die britische Rockband Blur „Woo hoo“.

„Das ist kein Pullunder-Sport“, sagt „Rhonda Housekick“ nach dem Spiel, als sie wieder Schuhe an den Füßen hat und Jennifer Moss heißt. Und meint damit: nicht elitär, nicht wichtigtuerisch, sondern bodenständig – trotz Rollen an den Füßen. Vor allem ist Roller Derby eines: offen für alle, die Lust darauf haben. „Egal wie alt, groß, dick, dünn, ob super durchtrainiert oder zum ersten Mal überhaupt auf Rollschuhen unterwegs“, fügt Elena Bruckner hinzu, die erst seit kurzem bei den Delta Quads mitrollt. „Und vor allem: der Sport nimmt sich selbst nicht so ernst.“ Elena ist ein Newbie, eine Anfängerin, und hat noch keinen Derby-Namen. Aber schon einige Ideen für ihre neue Identität auf acht Rollen, wie sie versichert. Denn der richtige Kampfname gehört zum Sport wie die blauen Flecken. 

Das ist kein Pullunder-Sport

Jennifer Moss alias „Rhonda Housekick“

Jennifer Moss ist Mitbegründerin der Rhein-Neckar Delta Quads, dem Mannheimer Roller-Derby-Team. Dabei stand sie bis in ihre Dreißiger nie auf Rollschuhen. „Vielleicht als Kind mal, aber das war’s.“ 2011 war sie beruflich für eine Konferenz in Austin. Die Hauptstadt von Texas gilt als Geburtsort des modernen Roller Derby, die Texas Rollergirls als eines der besten Teams der Welt. Hier entwickelte sich das Rollschuhlaufen Anfang der 2000er Jahre von einem Show-Wettrennen hin zu einer fordernden Sportart mit einem 80-seitigen Regelwerk. Wie gedrängelt, geschubst und geblockt wird, ist streng festgelegt – wer sich nicht daran hält, landet auf der Strafbank.

Rhonda Housekick gut gelaunt zwischen zwei Spielen.

Ein Freund erzählte Jennifer von den Rollergirls und wollte sie auf ein Spiel mitnehmen. Aber sie hatte keine Zeit, verpasste das Spiel, lernte dafür später in Florida eine Spielerin kennen und war begeistert von dem, was sie erzählte. „Irgendwie hatte ich das Gefühl, das Universum wollte mir etwas sagen“, erzählt sie heute. Obwohl sie nie bei einem Spiel war, die Regeln nicht kannte und nicht einmal wusste, ob sie sich auf Rollen überhaupt fortbewegen konnte, kaufte sie sich Rollschuhe und postete stolz ein Bild von ihnen auf Twitter. „Jemand hat mir dann darunter geschrieben, dass es doch in Karlsruhe eine Mannschaft gibt.“ Kurze Zeit später stand sie dort zum ersten Mal auf dem Spielfeld – und ist seitdem als „Rhonda Housekick“ in der Szene bekannt.

Die Delta Quads – hier im Team mit befreundeten Spielerinnen – schwören sich auf das Spiel ein.

2013 gründete sie mit vier anderen Spieler:innen die Delta Quads, als Abteilung des Inline Sportclub (ISC) Mannheim. Vor Corona spielte das Team in der zweiten Bundesliga, doch durch Lockdown und Kontaktbeschränkungen war ein Training lange nicht möglich. Einige Spielerinnen stiegen aus, zogen weg – das Team schrumpfte und kommt nun so langsam wieder in Fahrt. Lange trainierte das Team im Eisstadion am Friedrichspark, das nun vor dem Abriss steht. Bis die neue Halle des ISC in Käfertal steht, drehen sie in der Halle des Mannheimer TSV am Luisenpark ihre Runden. Hier trainieren sie jeden Sonntag – und hier können alle vorbeischauen, die Lust haben, mitzurollen. „Und keine Angst haben vor blauen Flecken“, wie Elena schnell hinzufügt. 

Angst vor blauen Flecken sollte man bei diesem Sport definitiv nicht haben.

Roller Derby ist ein Vollkontaktsport für Frauen und hat seine Wurzeln in der feministischen Punkbewegung der Riot Grrrls in den USA. Es ist ein Frauensport – und meint damit FLINTA*s – also Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen. Ausgeschlossen sind Männer aber keinesfalls. Sie trainieren mit und sind während der Partien Schiedsrichter. Mittlerweile gibt es auch Herren- und gemischte Teams. Doch von Geschlechterklischees hält hier sowieso niemand etwas. Die Regenbogenflagge ist beim Scrimmage in Mannheim überall präsent. Auf Knieschonern, auf Jacken, auf Buttons und Flaggen. „Roller Derby ist ein sehr inklusiver Sport“, sagt Jennifer Moss. „Man kann hier so sein, wie man ist – die Leute fühlen sich sicher.“ Gerade auch, weil sich für jede Körperstatur, für jedes Fitnesslevel und Alter eine geeignete Position findet.

Und ab dafür! Die Jammerin holt die Punkt beim Roller Derby – eine Position für schnelle, wendige Spieler:innen.

Als „Rhonda Housekick“ ist Jennifer am liebsten Blockerin. „Roller Derby ist ein sehr taktisches Spiel – und das spielt sich für mich hauptsächlich im Pack ab. Als Jammerin hätte ich das Gefühl, dass ich gar nicht richtig mitspielen darf.“ Zwei Teams mit fünf Spielerinnen treten beim Roller Derby auf einem flachen Rundkurs gegeneinander an. Das Ziel: möglichst viele Punkte zu sammeln. Das ist die Aufgabe der Jammerin. Sie versucht, sich aus dem Pack herauszuwinden, eine Runde zu drehen und noch einmal an den gegnerischen Blockerinnen vorbeizukommen. Für jede überrundete Fahrerin gibt es einen Punkt. Zweimal 30 Minuten dauert eine Spielzeit, eine Runde, ein „Jam“, maximal zwei Minuten – dann wechseln beide Teams einmal durch und stellen sich neu auf. Denn auf Dauer hält die Belastung des Spiels niemand durch.

Egal wie das Ergebnis ausfällt – gefeiert wird am Ende gemeinsam.

So bunt wie die Spielerinnen ist auch das Publikum. Alle Altersklassen sind vertreten, eingefleischte Fans der „Ground Crew“ ebenso dabei wie Roller-Derby-Neulinge. Die Zuschauer:innen sprechen englisch, Hindi, polnisch und pfälzisch – und befinden sich plötzlich selbst mitten in einem Wettkampf. Während das Spiel noch läuft, fordert Ansagerin Nicky Knox zum Tanzen auf. Die rechte Seite tanzt zu „Pretty Woman“, die andere lieber zu „Eye of the Tiger“. Ein Trash-Hymnen-Dance-Battle. Auch die Spielerinnen lassen sich anstecken und legen zwischen zwei Jams eine Polonaise auf Rollen ein. Bis Nicky Knox ins Mikro schmettert: „Eh, das ist ne‘ Sportveranstaltung!“ Aber, wie gesagt, so ernst sollte man das alles sowieso nicht nehmen.


rollerderby.deltaquads.com

Wer Lust hat, mitzurollen, kann immer sonntags ab 19 Uhr zu einem Probetraining vorbeikommen. Anmeldung über contact@deltaquads.com – dann organisieren die Delta Quads auch Leihequipment in der richtigen Größe.

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