Mit zweieinhalb Jahren schlüpft Gundi Pawasserat in ihr erstes Paar Schlittschuhe. 55 Jahre später gehört die Ludwigshafenerin zu den erfolgreichsten Short-Track-Läuferinnen der Welt – und hat die Liebe zum Eisschnelllauf an ihre Kinder weitergegeben.

Gundi Pawasserat hält den Blick nach vorn gerichtet. Konzentriert, ihre Gesichtszüge sind entspannt, der Körper angespannt. Sie hält den Rumpf nach vorne geneigt, die Finger sind auf dem Rücken ineinander verschränkt. Die goldenen Kufen ihrer Schlittschuhe gleiten übers Eis. Ein gleichmäßiges, monotones Kratzen. Runde um Runde dreht sie auf der 30 mal 60 Meter Eislauffläche im Mannheimer Eissportzentrum Herzogenried.

Rasante Fahrt: Gundi Pawasserat beim Training

Seit mehr als 55 Jahren gleitet Gundi Pawasserat über das Eis. Die meiste Zeit davon trainiert sie im Eissportzentrum am Herzogenried, wo viele Mannheimer ihre ersten Gehversuche auf dem Eis starten und später mit ihren Kindern ihre Runden drehen. Gleichzeitig ist hier auch das Landesleistungszentrum für Eissport angesiedelt – für Eiskunstlauf, Eisstocksport, Curling, Eishockey im Junioren- und Seniorenbereich. Und: für Eisschnellauf.

Beliebt bei Freizeit- und Leistungssportlern: Das Mannheimer Eissportzentrum

Gundi Pawasserat hat unzählige Titel für den Mannheimer ERC (MERC) hierhergeholt – von der Deutschen Meisterschaft bis zum Weltmeister. Im Short Track – der vielleicht rasantesten Eisschnelllauf-Disziplin.

Gundi Pawasserats Eisliebe beginnt in den 60er Jahren. Mit zweieinhalb Jahren steht sie zum ersten Mal auf dem Eis. Ihre Schwester Karin Gramminger gilt als Eiskunstlauftalent. Der Vater – ein Macher auf Vereinsebene. „Als in Ludwigshafen 1971 das neue Eisstadion gebaut wurde, trat er in den Vorstand ein und gründete die Eisschnelllaufabteilung“, erinnert sich Gundi Pawasserat. Mit neun versucht sie sich selbst im Eisschnellauf. Mit zwölf kehrt sie dem Eiskunstlauf den Rücken und wechselt zur schnelleren Disziplin. Sie trainiert hart. Und viel. Und schnell. 1988 – ihre ersten olympischen Spiele im kanadischen Calgary. 1992 der nächste Meilenstein: Short Track wird olympisch. Ihre Disziplin. Eine 111 Meter lange ovale Bahn, vier bis acht Athleten. Besonders aufreibend: der Massenstart. Die Ludwigshafenerin ist als schnellste deutsche Short Trackerin für die Spiele im französischen Albertville nominiert. Und schaut von der Bande aus zu – weil den Offiziellen nach der Wiedervereinigung ein Formfehler unterläuft. „Das war ein harter Schlag für mich“, sagt sie in der Rückschau.

Viele Erfolge, aber auch einige Rückschläge: Gundi Pawasserat erzählt von ihrer Karriere.

Gundi Pawasserat gleitet weiter in ihrem rot-blauen MERC-Rennanzug über die Bahn. Es ist Wettkampftraining-Tag. Marathontraining für die „Masters“, die Kader-Sportler und Aktiven, die inzwischen bei Gundi ins Training gehen. Immer wieder rauscht ihr schwarzer Helm an der Bande vorbei. Dahinter steht ihre älteste Tochter Jennifer, dreht der Eisbahn den Rücken zu, „Short Track Mannheim“ ist auf der Rückseite ihres schwarzen Kapuzen-Pullis zu lesen. Die 33-Jährige beugt sich vor, schnürt Schlittschuhe. Sie trainiert die Anfängergruppe, die gleich auf 111 Metern ihre Plastik-Robben übers Eis schieben wird, die den Kleinsten dabei helfen, die Balance zu halten. Durch Mattentunnel und übers blanke Eis. Ganz spielerisch. Und doch ist es ein Wettkampf-Training. Die Kinder sind aufgeregt. Irgendwann wollen sie auch mit 50 Stundenkilometern übers Eis rasen, ihre Kufen hinein rammen, sich in die Kurve legen.

Mit 50 Stundenkilometern übers Eis.

„Jennifer ist nach den Olympischen Spielen in Calgary auf die Welt gekommen“, sagt Gundi Pawasserat. Vier Jahre später – nach Olympia in Albertville – wird ihre Tochter Desiree geboren. Weitere vier Jahre später – zwischen den Olympischen Winterspielen in Lillehammer und Nagano – ihr Sohn Patrick. Die Drei wachsen zu Hause in Oggersheim auf und im Eissportzentrum Herzogenried. Die Tage sind eng getaktet, akribisch geplant. Um 6.30 Uhr endet Gundi Pawasserats Nachtschicht als Krankenschwester im Ludwigshafener Klinikum. Dann geht es nach Hause, Pausenbrote, die Kinder für die Schule fertigmachen. Haushalt, schlafen. Mittagessen kochen. Um 16 Uhr mit den Kindern in die Eishalle. Training. Zuerst die ganz Kleinen, dann die Anfänger, schließlich die Fortgeschrittenen. Und Gundi trainiert selbst. Um fit zu bleiben. Und den Kopf frei zu bekommen. Sich leicht und frei zu fühlen. Wenn sie über das Eis gleitet, gibt es nur die Geschwindigkeit, den schnellen Moment.

Die Hallenuhr tickt. Vorletzte Runde. Gundi Pawasserat schiebt sich weiter gleichmäßig über das Eis. Ihre Wangen sind leicht gerötet, sie atmet schneller. In der Mitte der Eisbahn wartet Desiree, hat als Schiedsrichterin alles im Blick. Die 29-Jährige steht jeden Sonntag früh auf, um in der Eislaufschule zu unterrichten, packt beim MERC mit an, immer dort, wo Hilfe gebraucht wird. „Wir sind wie eine Familie“, sagt sie.

Trainingstrubel. „Wir sind wie eine Familie“, sagt Desiree Pawasserat über den MERC.

15 Minuten dauert das Marathon-Training. Eine echte Langdistanz, wenn man in Short-Track-Dimensionen denkt. Gundi Pawasserat schiebt sich an den schwarzen Hütchen vorbei, die die Bahn abstecken. Ihr Sohn Patrick hat sie vor Trainingsbeginn auf das Eis gelegt. Gemeinsam mit Gundi trainiert er die Fortgeschrittenen. Ehrenamtlich, wie alle anderen Trainer der Short-Track-Abteilung. Mit 16 wechselte er an den Bundesstützpunkt für Short Track nach Dresden und blieb fünf Jahre lang dort. Trainierte, reifte, wurde erwachsen und kehrte nach Mannheim zurück. 

Konzentration bis zum letzten Meter.

„Man lernt so viel im Leistungssport“, sagt Gundi Pawasserat und lächelt. „Disziplin, Ausdauer und Durchhaltevermögen.“ Und: „Er schenkt einem Selbstbewusstsein – wie man sieht.“ Mit einer ausladenden Handbewegung deutet sie auf ihre Kinder. Die Sätze sprudeln nur so aus ihrem Mund, überschlagen sich. Vor allem wenn sie über den Verein spricht, über ihre Gemeinschaft, über die Talente, die Nachwuchsförderung und die fehlende Finanzierung.

Großer Zusammenhalt: Jennifer, Gundi, Nadine und Desiree Pawasserat.

.Letzte Runde. Gundi Pawasserat lehnt sich abermals in die Kurve, die kühle Hallenluft streift ihr Gesicht. Aus den Boxen wummert die Playlist eines Radiosenders. Oben auf der Empore steht ihr Mann Rudolf. Die beiden kennen sich aus Schulzeiten, als Gundi schon längst in ihre Klappschlittschuhe geschlüpft war. Ihre Leidenschaft hat ihn nie so gepackt wie den Rest der Familie. Und doch war er immer mit dabei. An der Bande. Am Steuer des Wohnwagens, auf dem Weg zum nächsten Wettkampf. Nach dem Training, um die Kinder abzuholen. „Unser Vater war immer unser Ruhepol“, sagt Jennifer Pawasserat. Inmitten ihrer schnellen Welt, in der die kühle Hallenluft ihre Herzen wärmte. Bis heute. Vor allem, wenn es um etwas geht. Wie bei Nadine. Kurz nach der Geburt wird Gundi Pawasserats jüngste Tochter MERC-Mitglied, ihre Mutter baut einen Papierkorb zum Laufstall um und schiebt sie übers Eis. Heute startet die 14-Jährige bei den D-Juniorinnen und gehört zum Landeskader.

Gundi Pawasserat fährt knapp als Zweite über die Ziellinie, richtet sich auf, legt die Hände auf die Schenkel. Sie nimmt die Geschwindigkeit heraus, gleitet aus, atmet auf. Und lächelt.


www.merc-schnelllauf.de

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