Thomas Grommes leitet das Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk in Ludwigshafen und hat mit dem Hallenbad Nord ein Kleinod der 50er Jahre in einen der ungewöhnlichsten Ausstellungsorte der Rhein-Neckar-Region verwandelt. Ein Parcours führt zu den großen Fragen unserer Zeit wie Klimaschutz und Müllvermeidung – vorbei an Kunst und 1000 Ideen.

Um kurz vor zwölf war sie eines Tages stehen geblieben. Die goldfarbene Uhr auf der gefliesten Schmuckwand im Ludwigshafener Hallenbad Nord. Tatsächlich aber schien ihre Zeit fast abgelaufen zu sein: Als die Journalistin Karin Leydecker 2005 einen Architekturführer über Rheinland-Pfalz herausgab, wirkte ihr nachdenklicher Text über dieses „denkmalwürdige Zeugnis der Badekultur“ wie eine letzte Würdigung kurz vor dem baldigen Abriss. Das große Becken mit den himmelblauen Fliesen – leer. Das kleine Glashäuschen des Bademeisters – verwaist. Die Topfpflanzen in den 50er-Jahre-Kübeln – verwelkt. Nichts deutete damals daraufhin, dass jemals wieder Leben in diese schöne, lichte, stilprägende Architektur kommen würde. Und dass ausgerechnet ein großes Feuer dafür sorgen sollte, dass das Becken eines Tages wieder voller Wasser ist – wenn auch nicht zum Schwimmen.

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An diesem Nachmittag braust es ziemlich laut aus einer Nachfüllleitung am Beckenrand, auf die Thomas Grommes kurz einen fachmännischen Blick wirft. Eine riesige Pumpe sorgt dafür, dass für sein benachbartes Müllheizkraftwerk in dem ehemaligen Hallenbad Nord eine Million Liter Wasser vorgehalten werden. Rund um die Uhr. Das war sozusagen die Grundidee, die vor einigen Jahren aus dem Geschäftsführer und promovierten Chemiker auch einen Denkmalschützer, Veranstaltungsmanager und Ausstellungserfinder machte: Täglich kümmert sich die Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk Ludwigshafen GmbH (GML) um die Restabfälle von einer Million Menschen in der linksrheinischen Metropolregion. Im Oktober 2010 hatten sich allerdings im Müllbunker Abfälle selbst entzündet. Fünf Jahre lang musste die Anlage daraufhin saniert werden –und erweitert: Die GML bekam die Auflage, eine zweite Löschanlage zu installieren und künftig Löschwasser vorzuhalten. So entstand die Idee, das Becken des leerstehenden Schwimmbades nebenan als Reservoir zu nutzen.

„Gekauft hat die GML das Hallenbad dann 2013“, erinnert sich Grommes. Schnell wurde allerdings klar, dass sie damit nicht nur die eigene Betriebserlaubnis, sondern auch den Erhalt eines einzigartigen Gebäudes gesichert hatte: „Zwar war das Hallenbad 2009 in die Liste der Kulturdenkmäler aufgenommen worden“, erzählt Matthias Ehringer von der Unteren Denkmalschutzbehörde der Stadt – aber ein Konzept für seine Weiternutzung gab es lange Zeit nicht. Dabei war das „Winterbad“ nach Plänen von Heinrich Schmitt und Philipp Blaumer 1956 als beeindruckendes Beispiel der Nachkriegsmoderne errichtet worden – mit seiner lichtdurchfluteten Schwimmhalle, dem 25-Meter-Becken, einer Sprunganlage und seinen Wannen- und Brausebädern. Zum „Lebensgenuss-Konzept“ gehörten auch ein Frisör und eine Milchbar, ein Schwitzbad und eine Sonnenterrasse. Berühmtheit erlangte die Sauna. Nicht nur unter Kunsthistorikern, weil hier der Maler Rolf Müller-Landau einige wunderbare Wandmosaike hinterließ. Sondern auch in der Weltpolitik, weil hier Bundeskanzler Helmut Kohl regelmäßig Vertraute zu Gesprächen versammelte.

„Ich habe damals selbst nicht geahnt, was wir hier alles in Gang setzen würden“

Thomas Grommes

„Ich habe damals selbst nicht geahnt, was wir hier alles in Gang setzen würden“, sagt Thomas Grommes und lacht. Denn nach und nach verwandelte er die „alte Dame“, wie er sein Bad gerne nennt, in einen der ungewöhnlichsten Veranstaltungsorte der Metropolregion: Gemeinsam mit Klaus Kufeld, der lange das Ludwigshafener Bloch-Zentrum geleitet hatte, und der Professorin für Umwelttechnik, Ulrike Stadtmüller, entwickelte er zunächst ein Konzept für ein Informationszentrum zum Thema Müll und Klimaschutz. „Die vier Elemente“ ist eine Art Dauerausstellung für die ganze Familie, in der es um Feuer, Wasser, Erde, Luft, vor allem aber um die großen Fragen unserer Zeit geht – wie lässt sich Müll vermeiden? Was bedeutet der Klimawandel für uns? Und was kann jeder einzelne tun, um bewusster mit den Ressourcen unserer Erde umzugehen?

Auf der Suche nach Antworten geht es auf einem Parcours einmal quer durchs Schwimmbad – von der Empore die Treppen hinab bis in die ehemaligen Dusch- und Umkleidekabinen. Mit Infotafeln hat man sich aber nicht begnügt: Da lässt es sich mit Hilfe von VR-Brillen direkt in den Heizkessel des Müllkraftwerks schauen oder auf Zimmerdecken, in Ecken und Nischen, hinter alten Schildern Cartoons, Architekturmodelle des Schwimmbads oder in umfunktionierten Mülltonnen witzige Videos zum Thema Konsum entdecken.

Seit 2016 stellt die GML das Hallenbad Nord auch für Kunst und Kultur zur Verfügung – Grommes hat aus ihm eine „LUcation“, einen besonderen Veranstaltungsort gemacht. Im selben Jahr übernahmen die Technischen Werke Ludwigshafen den anderen Schwimmbad-Bereich Richtung Pettenkoferstraße, der seitdem in das Start-up-Zentrum „Freischwimmer“ umgewandelt wird – mit Co-Working-Spaces, Räumen für Seminare und Events.

Im GML-Teil finden rund 200 Leute Platz. Auf der Empore, aber auch am Beckenrand, an dem schon der Internetaktivist Sascha Lobo mit seinen Gästen diskutierte, Solisten der Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz spielten oder Musiker der Mannheimer Popakademie wie LEOPOLD oder Ultramaryn (Mareike Berg) Videos drehten. Dank der abgehängten Decke und verbauter Lochziegel ist die Akustik erstaunlich gut. „Wir hatten sogar schon zwei Welturaufführungen hier“, sagt Grommes stolz, der 2016 sein Müllheizkraftwerk dem Verein „Industrietempel“ für eine eindrucksvolle Kunstaktion zur Verfügung stellte: Während riesige Müllgreiferarme Abfälle hin- und herschaufelten, ließ die Künstlergruppe konsumkritische Videos über die Betonwände wabern.

Mit unzähligen technischen Funktionsschildern haben der Künstler Konstantin Voit ein Treppenhaus in eine Art Unterwasserlandschaft verwandelt und der Künstler Stephan Horch während seiner unzähligen Paddeltouren Plastikmüll aufgefischt und mit der Kamera dokumentiert. Als mahnende Statements sind sie nun an den Hallenbadwänden zu finden – und auf dem Wasser selbst. Aufgezogen auf Styroporplatten schaukeln Horchs konsumkritischen Bilder am Beckenrand. Im Schwimmbad der 1000 Ideen.


Das Ehemalige Hallenbad Nord und das GML-Informationszentrum „Die vier Elemente“ stehen Besuchern bei Veranstaltungen offen. Zudem werden Gruppenführungen angeboten: www.gml-ludwigshafen.de

Unter dem Titel „LUcation“ sind neben dem ehemaligen Hallenbad Nord weitere ungewöhnliche Veranstaltungsorte in Ludwigshafen zu finden – darunter das Cinema Paradiso oder die Leerguthalle auf dem Firmengelände der Firma Berkel: www.lucations.de

Weitere Infos zur Geschichte des Hallenbad Nord hat auch der Verein Rhein-Neckar-Industriekultur recherchiert: www.rhein-neckar-industriekultur.de

Hinweis der Redaktion: Ab 1. Januar 2024 wird Jochen Schütz das Gemeinschafts-Müllheizkraftwerk Ludwigshafen als neuer GML-Geschäftsführer leiten.

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