Fernab von jedem Meer, an den Hängen des Odenwalds, schlossen sich 1989 acht Menschen zusammen, um Seemannslieder zu singen. Heute sind die Konzerte des Odenwälder Shanty Chors Bühnenshows zwischen Heimatgefühlen und Meeresbrise – und eigentlich immer ausverkauft.
Schon mit den ersten Akkordeonklängen kommt sie auf: Die Meeresbrise, die den Geruch von Salz und Algen mitbringt. Gemeinsam mit Gitarre und Mandoline setzen im Kopf auch die Rufe der Möwen ein. Und wenn der mehrstimmige Gesang beginnt, ist man längst dort: am Meer. Hört die Brandung, spürt den Wind. Und das mitten in der Keltensteinhalle im Weinheimer Ortsteil Rippenweier. Über 500 Kilometer von jeder Küste entfernt. Sehr viel weiter kann man in Europa nicht vom Meer entfernt sein.
Und dennoch schafft es der Odenwälder Shanty Chor, seine Zuhörer:innen mit wenigen Takten mitzunehmen an den Ort, von dem seine Lieder erzählen. An die See. Dorthin, wo Schann Scheid einst aus Fränkisch-Crumbach seine Heldentaten vollbrachte. Von ihm erzählt Manfred Maser, Texter und Erzähler des Odenwälder Shanty Chors, als die Frage aufkommt, warum ausgerechnet hier im Odenwald, wo höchstens Felsen Meere bilden, ein Chor die See besingt. Denn jener Schann Scheid segelte im 19. Jahrhundert über alle sieben Weltmeere, ging an vielen Küsten als erster Odenwälder an Land und gründete, als er nach 25 Jahren auf See in die Heimat zurückkehrte, einen Shanty Chor. „Belegt und bestens erforscht“, fügt Manfred Maser noch hinzu, „ist diese Geschichte durch Prof. Dr. Alfons Netwohr, den Leiter des Instituts für spekulative Heimatgeschichte mit Sitz in Fränkisch Crumbach.“

Während Manfred (auf See duzt man sich) mit würdevollem Ernst von Schann Scheid erzählt, sitzt Gabi Walther neben ihm und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Auch wenn sie die Geschichte natürlich schon oft gehört hat – schließlich ist Prof. Dr. Alfons Netwohr, der Manfred übrigens außergewöhnlich ähnlich sieht, Teil jedes Konzerts. Gabi war dabei, als der damals noch namenlose Chor gegründet wurde.

Auch 1989 waren es weitgereiste Odenwälder, die mit Shantys im Gepäck in ihre Heimat zurückkehrten. Als Schreiner hatten die Brüder Arno und Thilo Spilger auf einem Segelschiff gearbeitet und überzeugten ihren Freund Matz Scheid, dass Seemannslieder auch in trockener Umgebung gut klingen. Andrea, die Schwester von Arno und Thilo, stieg mit ein – und damit war auch klar, dass dieser Shanty Chor kein reiner Männerverein bleiben sollte. Ein Kneipenwirt erzählte Gabi und drei Freundinnen damals von dem neuen Chor und „beackerte“ sie, doch mal zu einer Probe zu gehen. „Das war an einem Freitagabend“, erinnert sich Gabi. „Da hatte ich mir eigentlich etwas anderes vorgestellt, als in einem Wohnzimmer Seemannslieder zu singen.“ Mittlerweile tut sie es seit über 30 Jahren.