Ihren ursprünglichen Zweck erfüllt sie schon lange nicht mehr, einmal stand sie sogar schon auf dem Schrottplatz: Dass es die Mannheimer Altrheinfähre zwischen dem Stadtteil Sandhofen und der Friesenheimer Insel überhaupt noch gibt, hat sie einigen beharrlichen Fans zu verdanken. Nur deshalb können Passagiere auch nach 120 Jahren noch mit ihr aus der Zeit fallen und die Schönheit einer Industrieinsel entdecken. 

Es gibt Orte, die sind, wie sie waren. Die gar nicht erst versuchen, Schritt zu halten, sondern ihren eigenen, gemächlichen Takt bewahren. Der nördlichste Zipfel der Friesenheimer Insel in Mannheim ist so ein Ort. Der Altrhein fließt hier träge, am Ufer schwappt Treibholz. Vögel zwitschern, Schwäne keifen und dazwischen tuckert eine Fähre an einer rasselnden Kette von der Friesenheimer Insel nach Sandhofen und wieder zurück. Seit 120 Jahren.

Emma nennen sie viele. Dabei heißt sie offiziell einfach nur Altrheinfähre Sandhofen. Emma hatte sie der langjährige Fährmann Willi Bauer getauft. Warum, weiß niemand mehr so genau. Aber der Name blieb im Gedächtnis. Vielleicht auch, weil sie so einiges gemeinsam hat mit ihrer Namensschwester Emma, der zuverlässigen Dampflokomotive von Jim Knopf und Lukas. Denn man könnte auch die Sandhofer Fähre mit den Worten Michael Endes beschreiben: Sie ist „gut, wenn auch vielleicht etwas altmodisch“. Die einzige Grundkettenfähre in Deutschland, die noch regelmäßig im Dienst ist.

Fährmann Fatmir Elshani.

Von April bis September ist Emma im Einsatz, jeden Tag – außer Montag. Immer mit an Bord ist Fatmir Elshani. Auch wenn das bedeutet, dass er im Sommer eben nur für einen Tag in den Kosovo fliegen kann, um seine Mutter zu besuchen. „Is so“, sagt er. Er hat sich ja freiwillig für das Dasein als Fährmann entschieden. Eigentlich war Elshani Kellner im benachbarten Fischrestaurant Dehus. Dort arbeitet er auch jetzt noch im Winter oder am Wochenende, wenn er eigentlich Mittagspause hat, aber das Restaurant brummt. 2009 hatte die Stadt nach einem neuen Fährmann gesucht – lange, sie fand keinen. Bis Elshani sagte: „Komm, ich übernehm das.“ Seitdem fährt er „hin und her und hin und her und …“ – ist eben auch dann da, wenn eigentlich niemand hin und her fahren will.

Er mag sie nicht, diese langsamen Tage, wenn er mit Emma auf Passagiere wartet. Manchmal schrubbt er die Fähre dann ein bisschen, ölt nach oder versucht, in einem der sonnengebleichten roten Plastikstühle ein Nickerchen zu machen. „Das klappt aber nie.“ Dann geht er lieber hoch zum Gasthaus, trinkt einen Kaffee oder zwei, und „liest das Internet“. Auch von hier hat er ja im Blick, wenn „hiwwe oder driwwe“ ein Fahrgast naht.

„Wohin heute, nach Venedig?“

Elshani hat es lieber, wenn etwas los ist. Wenn jemand da ist, der seine Sprüche hört, seine Hände etwas zu reden und die sonnengegerbten Falten etwas zu lachen haben. Breitbeinig steht er auf der Fähre, mit kurzem Hemd und kurzen Hosen, weißen Socken in Pantoletten. Mit einer höflichen Verbeugung und einladender Geste lotst er die Passagiere auf die Fähre und fragt: „Wohin heute, nach Venedig?“ Antwortet auf die Frage, wann er denn losfährt: „Wenn der Bus voll ist!“ oder auf die Frage, wieviel die Überfahrt denn koste: „100 Euro“. Dann grinst er und lauert auf die Reaktionen. Und wenn drüben, am Sandhofer Ufer, der Schnellboot-Anhänger der Wasserschutzpolizei steckenbleibt, tuckert er mit Emma rüber, holt seinen für alle Fälle ausgestatteten Werkzeugkasten und packt mit an. Der Fährmann, dein Freund und Helfer. Die Polizisten grinsen und nicken. „Das ist er tatsächlich immer.“

Eine Insel ist das Gebiet erst seit der Rheinbegradigung. Der „Friesenheimer Durchstich“, der 1827 begann, schnitt die Bauern aus Friesenheim und Oppau von ihren Feldern ab, sie mussten fortan mit Fähren übersetzen. 1862 wurde die nun rechtsrheinische Insel badisch und Teil von Sandhofen, 1895 erwarb Mannheim die Insel und begann mit dem Bau des Industriehafens. Die Sandhofer Bauern bestanden damals auf den Fährbetrieb. Also gab Mannheim den Bau in Auftrag. 1899 setzte die Fähre zum ersten Mal über. Als Sandhofen 1913 ein Mannheimer Stadtteil wurde, hielt der Eingemeindungsvertrag die Aufrechterhaltung des Fährbetriebs schriftlich fest.

Der Verlauf des Rheins rund um Mannheim: Rechts unten die Quadratestadt, nördlich davon die Friesenheimer Insel mit dem Durchstich im Westen und Sandhofen im Nordosten. Der kleine Punkt zwischen Insel und Sandhofen symbolisiert die Altrheinfähre.

Doch dass sie heute, 120 Jahre später, noch immer fährt, ist alles andere als selbstverständlich. „Es war bestimmt nicht geplant, dass die Fähre so lange in Betrieb bleibt“, sagt Roland Seitz vom Mannheimer Tiefbauamt. Denn Traktoren setzen hier kaum noch über. „Die modernen Bulldogs sind viel zu groß für die Fähre – und auch schnell genug, dass sie einfach den Umweg über die Brücke nehmen können.“ Ihren ursprünglichen Zweck erfüllt Emma schon lange nicht mehr. „Aber sie hat treue Fans, die sich für sie einsetzen“, sagt Seitz. Wie Schiffbauingenieur Claus Winterheld, der die Fähre seit seiner Jugend kennt und für den sie einfach zur Friesenheimer Insel dazugehört. 2008 überstand sie eine technische Überprüfung nicht, 300.000 Euro sollte die Sanierung kosten. Zu viel für die Stadt. „Ich hab sie vom Schrott geholt“, erzählt Winterheld mit resoluter, knarzender Stimme. Er fand Mitstreiter – auch von städtischer Seite – und gemeinsam setzten sie die Fähre wieder in Stand. Winterheld wurde ihr Betreiber, während sie weiterhin der Stadt gehört.

Betrieben hatte die Fähre zuvor über viele Jahre Richard Dehus, dessen gleichnamiges Restaurant oberhalb der Anlegestelle liegt. Es ist fast ebenso alt wie die Fähre. Auf die Frage, ob sich hier in den vergangenen Jahrzehnten etwas verändert hat, antwortet Elshani überrascht, fast entsetzt: „Nein!“ Die meisten Gäste hier sind Stammgäste. Sie sitzen auf dunklen Holzstühlen mit geblümtem Polster und essen, was der Fluss und die Insel hergeben: Zander, Wels, Hecht – aber auch mal Wildschwein oder Reh. Zubereitet vom jetzigen Inhaber Georg Wetzel, dem „Spätzle-Opa“, der hier am Herd stehen wird, solange er stehen kann, wie er beteuert.

Georg Wetzel: Inhaber und Koch des Restaurant Dehus noch „solange ich stehen kann“.

Viele Gäste setzen nach dem Essen noch mit Elshani über, es gehört einfach dazu. Ansonsten sind es vor allem Radfahrer, die Emma heute von einem Ufer ans andere bringt. Reisende wie Rob Kraneveld, der dem Rhein von der Mündung in Antwerpen bis zu seinem Quellgebiet in den Schweizer Alpen folgt, auf dem Rheinradweg. Oder Stammgäste wie Timo Siedelberg, der bei gutem Wetter von Heidelberg zur Arbeit im Mannheimer Norden radelt und für die Fährfahrt sogar einen Umweg in Kauf nimmt. Oder Roland, der jeden Sonntag mit dem Zug nach Lampertheim fährt und dann zurück in die Mannheimer Neckarstadt spaziert. Er fährt gleich mehrere Runden mit Emma und Elshani: Für ein ordentliches Gespräch sind fünf Minuten Fahrzeit einfach zu kurz.


Informationen des ADFC

Hinweis der Redaktion: Das Fischrestaurant Dehus hat 2023 seinen Betrieb eingestellt. 

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