Im Jahr 1930 schoss dem Hilfszeitnehmer Ernst Christ plötzlich die Idee durch den Kopf, in seiner Heimatstadt Hockenheim eine Rennstrecke zu gründen. Schon zwei Jahre später pilgerten 60.000 Menschen zum ersten Motorradrennen auf dem „Ring“ – der Rennsportgeschichte geschrieben und Hockenheim weltberühmt gemacht hat. Bei einem „Großen Preis von Deutschland“ ist Formel 1-Ausnahmezustand angesagt, aber der „Ring“ lässt sich auch anders erleben: mit einer Fahrt mit dem Renntaxi.
Die Ampel steht auf Rot, unterm Helm versickern Schweißperlen in der Sturmmaske. Erbarmungslos kriecht die Hitze in jede Ecke des Ferrari 458 Challenge. V8-Motor, 4500 Kubikzentimeter, 570 PS. Von 0 auf 100 in 3,4 Sekunden. Es ist der „Arbeitsplatz“ von Martin Kohlhaas. Der 37-Jährige fährt Renntaxi am Hockenheimring. Im Moment aber steht er. „Da muss erst noch jemand aus dem Kiesbett gezogen werden“, gibt ein Ordner Bescheid. Ein Satz, wie ein Beifahrer ihn hören möchte, kurz bevor es auf die Strecke geht.
Der Pilot lacht, auf die Frage, ob er schon lange Rennen fährt. „Das mit dem Kiesbett“, sagt er und grinst, „kann uns natürlich auch passieren“. Die Ampel schaltet auf Grün, Kohlhaas drückt den roten Startknopf. Der Motor heult auf, der Mann am Steuer gibt Vollgas. Auf der Zielgeraden des legendären Motodroms treibt er den Rennwagen in wenigen Sekunden über 200 Stundenkilometer. Sechster Gang, es gibt auch noch einen siebten. Die Sportsitze und der Spezial-Gurt geben Halt. Auch beim harten Bremsen, ganz knapp vor der Kurve. Der Adrenalinspiegel steigt mit jeder Biegung, es kribbelt im Bauch. Die Gedanken rasen: Hoffentlich bremst er bald. „Daumen hoch?“, gestikuliert der Fahrer auf der Zielgeraden. Daumen hoch! Nach zwei Minuten geht es – schon viel entspannter – in die zweite Runde. Ganz ohne Kiesbett.
Verschiedene Wagen stehen als Renntaxi vor der Boxengasse: neben dem Ferrari ein Porsche GT3, der Aston Martin Vantage GT4, ein Audi R8 sowie der BMW 235i Cup. Fünf- bis sechsmal pro Jahr können Kunden der Hockenheim-Ring GmbH für drei Runden neben einem Rennfahrer in diesen Modellen Platz nehmen. Und bei „Race’n’Roll“ dürfen die Gäste sogar selbst ans Steuer. Hier unterstützt Nicolas Armindo, französischer Fahrer im Porsche Carrera Cup, das Team der Rennstrecke und kommt eigens nach Hockenheim. Daneben gibt es die Touristenfahrten – dann darf jeder mit seinem eigenen Auto auf die Strecke. Und für kleine „Rennfahrer“ den „Kids Cup“, bei dem Kinder spielerisch den Hockenheimring kennenlernen – auf der Kartbahn oder mit der Quiz Rallye.
Viele Besucher zeigen Gutscheine für das Renntaxi vor. Meist sind es Männer, die zu Martin Kohlhaas und seinen Kollegen, darunter Kurt Ecke (RDM Racing) und Ralf Lange (Licence to race), ins Cockpit steigen. Zuvor durften sie schon auf den gepolsterten VIP-Plätzen der Süd-Tribüne Platz nehmen. Den Rängen „mit der schönsten Aussicht“, wie Ivonne Stäcker versichert: Bis nach Heidelberg und zu den Ausläufern des Odenwalds können die Besucher blicken. Die 40-Jährige ist bei der Hockenheim-Ring GmbH für den Bereich Führung und Tourismus zuständig.
Die Parabolika, lässt sie ihre Zuhörer wissen, ist mit 18 Metern der breiteste Teil der Strecke – den Rekord dort stellte vor zwei Jahren Fernando Alonso auf: mit 347 Stundenkilometern im Qualifying der Formel 1. Die schmalste Stelle ist die Einfahrt ins Motodrom – optimal, damit die Zuschauer auf der engen und kurvenreichen Strecke Überholmanöver und „kleine Karambolagen“ miterleben können. Davon zeugen dunkle Bremsspuren, die sich in den Asphalt gefressen haben. Die Gruppe ist plötzlich abgelenkt, weil ein – voll besetzter – Bus auf dem Ring ein waghalsiges Manöver fährt. Staunen. Bangen. Aufatmen. Binnen weniger Sekunden.