Von Königinnen aus dem Odenwald

Hans-Georg und Johannes Vleugels führen im Odenwald eine der größten Orgelmanufakturen Deutschlands. In Hardheim bauen, restaurieren und konstruieren sie die „Königin der Musikinstrumente in dritter Generation.

 Sie kann hell klingen wie eine Flöte, oder auch samtig und warm wie eine Oboe. Aber sie kann noch mehr: sich anhören wie ein ganzes Orchester. „Königin der Musikinstrumente“ wird die Orgel genannt. Schon 1619 stellte der Komponist Michael Praetorius fasziniert fest: „Die Orgel trägt alle Instrumente groß und klein alleine in sich.“

Wen wundern da die gewaltigen Dimensionen dieser Orgel, die in der Werkstatt der „Orgelmanufactur Vleugels“ fast zehn Meter hoch bis zur Hallendecke reicht? Hans-Georg Vleugels ist ein groß gewachsener Mann. Aber vor diesem historischen Instrument aus der Stephanuskirche in Lahr-Reichenbach wirkt er fast klein – was nicht nur mit den Ausmaßen des Instruments zu tun hat, sondern auch mit der ureigenen Aufgabe von Orgeln.

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Hier geht‘s voran – Geschichte wird gemacht: In der Werkstatt werden historische Orgeln liebevoll restauriert.

„Ihr Klang vermag den Glanz der kirchlichen Feiern wunderbar zu steigern“, heißt es im Zweiten Vatikanischen Konzil. Er hebe die „Herzen mächtig zu Gott“. Ja, Hans-Georg Vleugels kennt die Faszination dieser „göttlichen Musik“ sehr gut, er ist selbst gläubiger Katholik. Aber als Inhaber der Orgelmanufactur in der Odenwälder Gemeinde Hardheim ist er auch noch Orgelbaumeister, Designer, Restaurator, Manager und Chronist. 1958 hatte sein Vater Hans Theodor Vleugels die traditionsreiche Orgelwerkstatt der Brüder Bader übernommen, die der Hardheimer Ignaz Dörr 1855 gegründet hatte. Seitdem wurden in der „Manufactur“, die er heute zusammen mit seinem Sohn Johannes und 20 Mitarbeitern betreibt, über 400 „Königinnen“ gebaut oder restauriert – und viele von ihnen haben bemerkenswerte Geschichten zu erzählen.

Made in Hartheim: Die original Vleugelsorgel in der Hardheimer Kirche St. Alban.

Made in Hardheim: Die Vleugels-Orgel in der Hardheimer Kirche St. Alban.

 

Da ist die kleine, aber feine „Vleugels Truhenorgel“, von denen Hans-Georg Vleugels im Jahr 2006 ein besonders schönes Exemplar Papst Benedikt XVI. schenkte und im Vatikan persönlich übergab – oder mit der der Mainzer Domchor heute durch die Lande tourt. Da ist diese gigantische Orgel, die die Vleugels zuletzt für die Trinitatiskirche in Leipzig produzierten, dem größten Kirchenneubau in den neuen Bundesländern seit der Wende. Sie hat nicht nur eindrucksvolle 46 Register, also Pfeifenreihen, sondern sie kann auch bis zu 40.000 Klangkombinationen elektronisch speichern.„Es gibt natürlich Orgeln, auf denen Barockwerke am besten klingen“, weiß Vleugels, dessen größte Leidenschaft nach der Hobbyfliegerei die Musik ist, an der er immer neue Seiten entdeckt. Denn längst ist die „Königin“ und ihr komplexer Klang auch im Zeitgenössischen, ja Experimentellen angekommen. Dazu passt, dass Hans-Georg Vleugels in der Hardheimer St. Alban-Kirche ungewöhnliche Konzerte organisiert. Im Februar steht ein Gastauftritt des E-Gitarristen Holger Koester an. Flankiert werden seine Stücke dann von Organist Horst Berger – natürlich an der Vleugels-Orgel.

E-Gitarren und Orgelmusik oder Improvisationen aus der ganzen Welt – solche Ideen zeigen, dass man bei der „Orgelmanufactur Vleugels“ die „Königin“ auch zeitgemäß interpretiert. Für den Neubau einer Orgel wird schon mal ein Künstler wie Jacques Gassmann beauftragt, um das Gehäuse außergewöhnlich zu gestalten. Die handwerkliche Qualität und ihr Klang, aber auch das Design der Vleugels-Orgeln haben dem Unternehmen einen sehr guten Ruf beschert. Aufträge kommen inzwischen auch aus dem Ausland, aber auch in der Metropolregion Rhein-Neckar sind Vleugels-Orgeln zu entdecken: etwa in der Heidelberger Stadthalle, in der Evangelischen Stadtkirche in Lampertheim, in Schifferstadt, in Hockenheim, in Waibstadt oder auch in der Mannheimer Hedwigsklinik.

Eine Besonderheit ist die Orgel in Limbach im Odenwald: Nachdem 2003 die Pfarrkirche St. Valentin bei einem Brand fast völlig zerstört wurde, verlangte der Neubau einer modernen Betonkirche des 21. Jahrhunderts nach einer besonderen Orgellösung. Die Vleugels entwickelten ein freistehendes Instrument mit elliptischem Grundriss – außergewöhnlich und spektakulär. Das über sieben Meter hohe Instrument ist mit 26 Registern und 88 Zungenpfeifen ausgestattet, die den Klang historischer Blasinstrumente nachahmen und kühn aus dem Gehäuse herausragen. Die Künstlerin Gabriele Wilpers kreierte dazu passend eine „Zinnwelle“, die über das Gehäuse zu gleiten scheint.

Orgelbau ist traditionelles Handwerk – aber entworfen, geplant und konzipiert wird am Computer.

Mit moderner Software werden die Orgelprojekte virtuell geplant, manchmal liegen vor Juniorchef Johannes Vleugels auch einfach die Innereien einer historischen Orgel auf der Werkbank wie etwa jene aus Lahr-Reichenbach. Ein für Laien chaotisches System von Linien und Farben, aus denen nur ein Profi ablesen kann, welche Teile später wieder zurück in den Schwarzwald ziehen und welche nicht. „1917 war die erste Pfeifenreihe zu Kriegszwecken eingezogen, eingeschmolzen und durch Zinkpfeifen ersetzt worden“, erzählt der 32-Jährige. Nun werde die Orgel wieder in ihren Originalzustand aus dem Jahr 1849 zurückversetzt.

Juniorchef Johannes Vleugels

Juniorchef Johannes Vleugels

Im oberen Stockwerk seines großen Werkstatt- und Bürogebäudes hat Hans-Georg Vleugels ein Archiv eingerichtet. In Regalen liegen und stehen unzählige Windladen, Holz- oder Metallpfeifen, manchmal mehrere Meter lang. Ausgemusterte Fragmente aus mehreren Jahrhunderten und Kirchen in ganz Süddeutschland, die weiterhelfen, sollte ein weiteres Instrument eines bekannten oder unbekannten Meisters restauriert werden. Darunter ganze Spieltische, auf denen häufig Namen von Firmen stehen, die längst untergegangen sind.

Hat sich über die Vleugels Truhenorgel aus dem Odenwald mächtig gefreut: Papst Benedikt

Hat sich über die Vleugels Truhenorgel aus dem Odenwald mächtig gefreut: Papst Benedikt XVI

Auch die Orgelpfeifen aus dem Kurhaus in Baden-Baden erzählen eine Geschichte. Lange Zeit galt das kostbare Instrument der Firma Voit von 1916 als verschollen. Vleugels jedoch besitzt wohl rund Zweidrittel der Pfeifen und Windladen. Dazu zwei Klaviaturen, in deren Kunststoff sich das Gelb des Zigarettenqualms unzähliger Konzertabende gefressen hat. „Die Orgel war in den 70er Jahren ausgebaut worden, weil man Klimaanlagen offenbar wichtiger fand“, sagt der Chef und klingt dabei doch ganz gelassen, weil er weiß: Zeiten, Moden und Stile ändern sich. Aber die zeitlosen „Königinnen“ aus dem Odenwald werden wohl auch das überleben.


 

www.vleugels.de

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