Dieser Sport ist (nicht nur) ein Kinderspiel. Auf der „Bambus Ranch“ des Ludwigshafener Murmelspielclubs geht’s um Konzentration, Geschick und Glück. Vor allem aber: um Gemeinschaft. 

Glänzend liegen die kleinen Keramikkugeln in der Sonne. Niki Stroh greift sich drei weiße aus dem Etui heraus, Theo-Heinz Adrian drei gelbe. Schon geht es los: Die beiden geben sich mit feierlichem Ernst die Hand, dann geht Niki in die Hocke und platziert seine Murmeln auf dem roten Aschefeld so geschickt, dass der Vereinsvorsitzende schon ahnt: Lang wird diese Partie nicht dauern. Nur wenige Spielzüge später hat der junge Mann die Runde für sich entschieden und die letzte Kugel in der runden Kuhle versenkt. Theo-Heinz Adrian nimmt es mit Humor – und auch ein bisschen Stolz. Denn auf der Ludwigshafener „Bambus Murmel Ranch“ gibt es in diesem Moment einen klaren Favoriten – dabei ist Niki Stroh fast blind. 

Take 5! Niki Stroh (rechts) hat die Murmel-Partie gegen Heinz-Theo Adrian gewonnen und schlägt mit dem Vereinsvorsitzenden ein.
Geschafft! Niki Stroh (rechts) hat die Murmel-Partie gegen Heinz-Theo Adrian gewonnen. Foto: Torsten Redler

Der Sportler des Ludwigshafener Murmelspieclubs dürfte einer der ungewöhnlichsten Trainer Deutschlands sein: Denn Niki Strohs Sehkraft liegt bei nur drei bis fünf Prozent – er kann die 16 Millimeter kleine Murmel also eher nur erahnen, als sehen. „Aber ich fühle genau, wo sie liegt“, sagt er. Und man glaubt es ihm sofort, so unglaublich souverän platziert er Kugel für Kugel vor. Samstagnachmittags ruft er im Sommer seine Mannschaft zum Training zusammen: Der 1. Murmelspielclub Ludwigshafen-Friesenheim 1997 e.V., wie Nikis Verein offiziell heißt, ist dreifacher Deutscher Meister und sogar Vize-Weltmeister im Deutschen Lochspiel. 

Im Fundus des Murmelspielclubs zeigt ein Schild, dass schon seit 1997 in Ludwigshafen professionell gespielt wird.
Seit 1997 wird auf der „Bambus Murmel Ranch“ professionell gemurmelt. Foto: Torsten Redler

„Dabei dachten wir am Anfang, dass wir die einzigen Verrückten sind“, sagt Vereinsgründer Theo-Heinz Adrian und lacht. Denn als der Wirt seiner Stammtischrunde eine Waschpulverkiste voller Murmeln auf den Tisch stellte und sie spontan den Club gründeten, waren ihnen weder der Deutsche Murmelrat noch die Spielregeln oder gar die Dimensionen des ungewöhnlichen Sports bekannt: 19 Clubs gibt es in ganz Deutschland, der jüngste dürfte in Weisenheim am Sand in der Pfalz liegen, der Ludwigshafener ist der südlichste.

Theo-Heinz Adrian ist der erste Vorsitzende und so etwas wie der König der Klicker, wie man ihn augenzwinkernd bezeichnen könnte – die gute Seele, das Zentrum eines engagierten Sportvereins, in dem es um Konzentration und Geschick, aber vor allem um Gemeinschaft geht. Gegründet hatte er den Murmelclub 1997 mit Franz Mayer und Rüdiger Müller „aus einer Bierlaune heraus“, elf Mitglieder kamen damals zusammen – mehr als 20 Jahre später sind es 172. 

Am Anfang dachten wir, dass wir die einzigen Verrückten sind.

Heinz-Theo Adrian

„Niki ist schon seit der Schule dabei“, erzählt Adrian, der heute Rentner ist, noch als Schichtmeister und Ausbilder bei der BASF zu seinem stressigen Arbeitsalltag aber einen Ausgleich suchte – und zu murmeln begann. Seit vielen Jahren kooperiert der Murmelspielclub mit der Schloss-Schule, auf die auch Niki früher ging, einer Fördereinrichtung im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim. Mehrmals im Jahr murmeln die Vereinsmitglieder zusammen mit den Kindern, laden sie zu Festen ein oder schauen mit ihren Murmeltischen vorbei, die sie selbst entwickelt haben und mit denen sie auch an anderen Schulen und Kindergärten zu Besuch sind. „Mit ihnen ist der Ludwigshafener Fünf-Kampf entstanden“, erzählt Adrian, jeder Tisch hält einen anderen Geschicklichkeitsparcours bereit. An ihnen lässt sich auch im Winter trainieren – dann treffen sich alle im Hinterzimmer der Ludwigshafener Gaststätte „Zum Luitpold“.

Niki Stroh ist wohl einer der ungewöhnlichsten Trainer Deutschlands – er sieht nur noch 3 Prozent. Foto: Torsten Redler

Seit 2016 hat der Murmelspielclub aber auch sein eigenes Vereinsgelände hinter der Radrennbahn im Stadtteil Friesenheim. Ein verwunschenes Stück Grün, in Teilen bewachsen mit riesigem Bambus, das sie von der Stadt pachten, „Zuschüsse bekommen wir nicht“. 3 mal 6 Meter sind hier die drei akkurat gepflegten Spielfelder jeweils groß. Wie auf einem Tennisplatz wird die rote Asche auf ihnen regelmäßig sorgsam glatt gezogen und gewässert – das beschleunigt die Murmeln in ihrem Lauf. Ein Spiel dauert in der Regel eine halbe Stunde. Zwei Mannschaften à vier Spieler:innen treten gegeneinander an, jede:r spielt gegen jede:n. Wer die Murmel aus dem Feld wirft, hat das Spiel verloren. Die Partie gewinnt nicht, wer die meisten Murmeln im runden Loch versenkt, sondern die letzte.

Beim Murmeln treten verschiedene Altersklassen gegeneinander an – denn es geht nicht um Kraft, sondern um Geschick. Foto: Torsten Redler

Das Runde muss beim Murmeln also ins Runde – dabei tritt die Großelterngeneration auch schon mal gegen Kinder an, denn um Kraft geht es nicht, sondern um Geschick und auch ein bisschen Glück. „Unser jüngster Murmler ist fünf“, sagt Theo-Heinz Adrian – und er meint damit seinen Enkel Ben. Das Murmeln sei eines der ältesten Spiele der Menschheit – gemurmelt wurde schon im alten Ägypten oder Rom, selbst Kaiser Augustus soll ein passionierter Spieler gewesen sein. Murmel-Wettkämpfe gebe es in Deutschland seit 1996, in zwei Kategorien, dem deutschen Lochklickern und dem Englischen Ringspiel. „Mittlerweile gibt es in ganz Europa Murmelverbände und Meisterschaften“, sagt Adrian. In mancherlei Hinsicht sei Deutschland aber noch ein Entwicklungsland: „In England, Tschechien oder den Niederlanden ist der Sport viel mehr verbreitet“, sagt er – und dann erzählt er, dass in Frankreich sogar ganze Murmel-Parcoure entstünden. Aus Sand. An der frischen Atlantikküste – kein schlechter Gedanke an diesem heißen Sommernachmittag auf der „Bambus Murmel Ranch“, auf einer flirrenden Aschebahn in der Nähe des Rheins. 

https://murmelclub.com

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