Im Mannheimer Mühlauhafen liegt eines der letzten Kirchenschiffe Deutschlands. Zweimal in der Woche fährt die Schifferseelsorgerin Anne Ressel mit der „Wichern“ raus aufs Wasser, um Menschen zu besuchen, die von der Gesellschaft allzu oft vergessen werden. Wir haben sie auf einer ganz besonderen Fahrt begleitet.
Kurz vor der Abfahrt herrscht Hektik auf der „Wichern“. Ausrüstungen werden verstaut, Instrumente verladen, Schwimmwesten angelegt. Schlüssel wandern von einer Hand zu anderen. Jemand hat etwas an Land vergessen und muss nochmal vom Schiff. Endlich sind alle an Bord und Albert Schenkel startet den Motor. Der alte Diesel ruckelt und tuckert, die Garagenwände verstärken die Motorengeräusche noch. Schwerfällig nehmen die 13 Tonnen Fahrt auf. Doch dann gleitet die „Wichern“ aus der Garage – und die Atmosphäre auf dem Schiff ändert sich schlagartig. Der Fahrtwind und das Wasser schlucken die Motorengeräusche, alle bewegen sich etwas langsamer, bedächtiger. Viele Passagiere gehen trotz eisigem Wind an Deck, auch Pfarrerin Anne Ressel. Erstmal die Nase in den Wind halten, erstmal ein paar Minuten aufs Wasser schauen. Runterkommen, durchatmen.
Anne Ressel ist Pfarrerin in der CityGemeinde Hafen-Konkordien und dabei oft in der Mannheimer City und im Jungbusch unterwegs. „Nach einem hektischen, trubeligen Tag in der Stadt gibt es nichts besseres, als mit der ,Wichern‘ rauszufahren“, sagt sie. Und wenn sie auf Menschen trifft, die einen schlechten Tag hatten, die gestresst sind vom Alltag, lädt Anne Ressel sie gerne ein, spontan mitzufahren. „Weil ich weiß, dass das Wasser der Seele einfach gut tut.“ Neben ihr steht ihre Freundin Nadja Peter und nickt. Sie hat das selbst erlebt. „Das war ein Tag, an dem es mir echt nicht gut ging – und Anne hat nur gemeint: komm doch mit aufs Boot.“ Jetzt, ein gutes halbes Jahr später, übernimmt sie das Steuer von Albert Schenkel und fährt die Wichern raus auf den Rhein. Bereits kurz nach ihrer ersten Fahrt hat sie sich für den Binnenschifffahrtsschein angemeldet, seitdem begleitet sie die „Wichern“ immer wieder als Ehrenamtliche auf ihren Fahrten. „Das macht einfach extrem viel Spaß“, sagt sie und um sie herum nicken drei Männer fast synchron, die ebenfalls immer wieder als Ehrenamtliche das Steuer übernehmen.
Anne Ressel hat das Talent, Menschen zusammenzubringen, für eine Sache zu begeistern. Das ist schon in den ersten Minuten an Bord deutlich zu spüren. Ohne die vielen Ehrenamtlichen, es sind insgesamt 25, gäbe es die Schifferseelsorge in Mannheim, die auch für Ludwigshafen zuständig ist, wohl nicht mehr. Wie an so vielen Orten. Nur in Duisburg ist noch ein weiteres Kirchenschiff auf dem Wasser unterwegs, die Flussschifferkirche in Hamburg liegt bereits seit Jahren fest verankert im Hafen. Doch Anne Ressel ist es ein Anliegen, dass die „Wichern“ weiterhin für die Binnenschiffer da ist.