Speyer war in den 1960er und 1970er Jahren ein wichtiges Druckzentrum in Deutschland. Daran erinnert auch die Winkeldruckerey in der Flachsgasse, in der Johannes Doerr und Remo Krembel mit regionalen, aber auch internationalen Künstler:innen zusammenarbeiten. 

Schwer liegt der graue Himmel über dem tosenden Meer. Gerade noch hat Klaus Raasch für sein „Seestück“ mit einem Schleifer wogende Wellen in seinen Holzschnitt gefräst. Nun justiert der Künstler präzise ein Stück Papier. Dann fährt die alte Presse mit einem Schwung über den Bogen hinweg. Und schon schäumt die Gischt in einem gräulichen Blau – zumindest auf dem Blatt. Raasch betrachtet das Ergebnis zufrieden: Zwei Handdruckpressen und eine Papierpresse, dazu eine Heidelberger Druckmaschine stehen für ihn an diesem Wochenende in der Winkeldruckerey in Speyer bereit – dabei hätte er in seinem schönen Atelier im niedersächsischen Grethem-Büchten selbst eigene Maschinen. „Was mir dort aber fehlt, ist der Austausch.“

Der Künstler Klaus Raasch fräst für sein „Seestück“ mit einem Schleifer wogende Wellen in seinen Holzschnitt.

Um den geht es ihnen auch: Seit 2020 leiten der Drucker Remo Krembel und der Schriftsetzer Johannes Doerr das Atelier im Kulturhof Flachsgasse – ehrenamtlich. Wer mag, kann in der Winkeldruckerey mit beiden über Techniken und Begriffe fachsimpeln, eigene Linolschnitte mitbringen oder entwerfen, professionellen Künstler:Innen aus ganz Europa über die Schulter schauen. In unzähligen Schriftsatzkästen wartet der Schatz einer alten Handwerkstradition. Und auch wenn der Grundbestand der Winkeldruckerey aus einer aufgegebenen Firma in Speyer stammt – überall finden sich auch Stücke aus den Berufsleben der beiden pensionierten Meister wieder – die unterschiedlichsten Papiere oder Farben. Aber wer die hellen Arbeitsräume im Herzen von Speyer gleich neben dem Kunstverein, der Städtischen Galerie und dem ZimmerTheater nur wenige Gehminuten vom Dom und dem Historischen Museum der Pfalz entfernt betritt, versteht schnell, dass es hier nicht allein um präzises Handwerk geht. Sondern um die Neugier auf unterschiedliche Techniken, um die Lust am Experiment. „Kurse geben wir nicht“, sagt Remo Krembel. Gedacht ist das Atelier eher wie ein offener Raum für Ideen, der regulär einmal in der Woche, aber auch zu Veranstaltungen und eben an den Druckwochenenden wie mit Klaus Raasch öffnet.

Auf einem Tisch und in Regalen dahinter sind verschiedene Utensilien für Druckkunst aufgereiht.
In den hellen Arbeitsräume im Herzen von Speyer gleich neben dem Kunstverein, der Städtischen Galerie und dem ZimmerTheater geht es nicht allein um präzises Handwerk.

„3800 Buchstaben in einer Stunde ohne Fehler – das war früher unser Maßstab in der Ausbildung“, erinnert sich Johannes Doerr schmunzelnd. Die Präzision von damals beherrscht der weißhaarige Mann mit dem charakteristischen Schnurrbart noch heute: Erst kürzlich hat er für die Leipziger Künstlerin Urte von Maltzahn-Lietz ein Hilde-Domin-Gedicht gesetzt, das sie gestaltete. Winzige Wortreihen, dicht an dicht. Während sich Remo Krembel auf den Druck spezialisiert hat, ist Doerrs Metier der Satz: Gelernt hat er den Beruf des Schriftsetzers in der Zechnerschen Buchdruckerei in Speyer. Nach der Meisterprüfung richtete er dort viele Jahre Fachbücher für die Chemiebranche ein, Kirchenzeitungen oder Kataloge für Neckermann oder Ikea. Dazu verantwortete er auch hochwertige Lexika wie den Brockhaus, der nach dem Umzug des Bibliographischen Instituts aus Leipzig lange in Speyer entstand.

Damit ist es natürlich kein Zufall, dass die Winkeldruckerey, die 2004 vom Oberstudiendirektor und Literaten Artur Schütt (1932-2024) gegründet wurde, in der Domstadt liegt: Schon im 15. Jahrhundert hatte hier Peter Drach (1455-1504) eine florierende Buchdruckwerkstatt betrieben – kaum war die Technik durch Johannes Gutenberg überhaupt erfunden. Speyer avancierte zu einem wichtigen Druckstandort in Europa – gleich neben Mainz, Straßburg oder Venedig. Eine Hochphase erlebte der Speyerer Buchdruck dann in der Mitte des 20. Jahrhunderts.

In den 1960er und 1970er Jahren gab es an die 20 Druckbetriebe in Speyer, zum Teil sehr große.“

Remo Krembel

Remo Krembel hatte seine Laufbahn als Drucker beim Klambt Verlag begonnen – in einer Zeit, in der das Unternehmen Zeitschriften in traumhaften Auflagen von bis zu einer Million Exemplaren druckte. Von 1977 bis 1981 baute Krembel für den Deutschen Entwicklungsdienst eine Schulbuchdruckerei in Togo auf, die bis heute existiert. Zurück in Speyer machte er sich dann mit einem eigenen Betrieb selbstständig. „Zusammengearbeitet haben wir lange und viel, weil wir uns als Kollegen immer geschätzt haben und wussten, was der andere gut kann“, sagt Remo Krembel über Johannes Doerr – „allerdings bis zu unserer Pensionierung immer an zwei verschiedenen Standorten“. 

Johannes Doerr und Remo Krembel – im Druck porträtiert.

Heute verbringen die beiden nicht nur viel Zeit gemeinsam in der Winkeldruckerey, sondern auch unterwegs: Wenn Ersatzteile für die alten Maschinen organisiert werden müssen, Restbestände eines aufgelösten Betriebs zu sichten sind. Oder wieder einmal eine Buchdruckkunstmesse in Hamburg ansteht – die der Künstler Klaus Raasch organisiert, der an diesem Sonntagmorgen inzwischen eine ganze Reihe von rauschenden „Seestücken“ produziert hat. In Bilderrahmen ist zu sehen, wer zuletzt hier zu Gast war – Nicole Bellaire aus Landau oder Stefan Kindel aus Maikammer. Fortlaufend kommen Anfragen aus der Kunstszene hinzu, viele Künstler:Innen aus dem Umfeld der Akademie für Grafik und Buchkunst in Leipzig waren schon hier – einem der interessantesten Standorte für Druckkunst in Deutschland. Drei bis vier Künstler:innen werden jedes Jahr eingeladen. Kost und Logis übernimmt dann die Stadt.

Der Künstler Götz Gramlich hat aus Elementen, mit denen man eigentlich die Maschinen fixiert, ein Bild kreiert.

Sehen sich die beiden Meister eigentlich selbst auch als Künstler? Remo Krembel lächelt, als er das gefragt wird – als Antwort zeigt er wunderbare Weihnachtskarten, die die beiden wieder einmal für die Stadtverwaltung entworfen haben. Ein Linolschnitt in kräftigen Farben, der die Türme der Gedächtniskirche in Speyer zeigt. Aber dann winken sie ab: „Unsere Freude ist eher, die Arbeit von Künstlern zu begleiten“, sagt Remo Krembel. Der Heidelberger Grafiker Götz Gramlich zum Beispiel, der jedes Jahr den renommierten Wettbewerb „100 beste Plakate“ organisiert, hätte zunächst eigentlich keine Idee gehabt, woran er in der Winkeldruckerey arbeiten wollte. „Aber dann fand er die Objekte, die man zum Fixieren der Maschinen nutzt, plötzlich so interessant, dass er daraus ein Bild kreiert hat“, erinnert sich Remo Krembel. So entstand eine Grafik, die an ein buntes Relief erinnert. Ein Zufallsfund – arrangiert mit dem Wissen der beiden Druckmeister und mit dem Blick eines Künstlers. Das Handwerk, professionell mit Schrift und Farbe zu arbeiten, sei eben das eine. Das andere dann eine Mischung aus Zufall und Ideen. Oder ganz einfach: Kunst.  

https://www.speyer.de/de/kultur/bildende-kunst/winkeldruckerey-und-typographisches-kabinett

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