Lange Reifezeiten, keine Zusatzstoffe, beste Zutaten: In der Brotmanufaktur von Michael Kress dürfen Brote wieder so sein, wie sie schon immer am besten waren. Nach 30 Jahren im Beruf wagte der Weinheimer Bäcker den Neuanfang. Jetzt geht er keine Kompromisse mehr ein. Weder beim Sortiment, noch bei den Arbeitszeiten.
Wer die Brote von Michael Kress probieren will, muss nicht früh aufstehen – aber Geduld mitbringen. Von Dienstag bis Freitag öffnet seine Bäckerei in der Weinheimer Nordstadt erst um elf Uhr. Kurze Zeit später hat sich vor dem alten Fabrikgebäude oft schon eine kleine Schlange gebildet. Erst am Nachmittag zu kommen, ist allerdings auch keine Option: Offiziell hat die Bäckerei bis 18 Uhr geöffnet. Doch wenn um 16 Uhr alles ausverkauft ist (und das kommt an guten Tag schon mal vor), machen Kress und sein achtköpfiges Team früher Schluss.
„Wir sind fast zu gut angekommen“, sagt Michael Kress, einen Ticken verlegen und sichtlich stolz. Im Juli 2023 hat er seine Brotmanufaktur, wie er die Bäckerei gerne nennt, in der Weinheimer Nordstadt eröffnet. Jahrelang hatte der Bäckermeister zuvor im Familienbetrieb in der Weinheimer Weststadt gearbeitet. Die Bäckerei, die sein Urgroßvater 1924 gegründet hatte, war in der Zwei-Burgen-Stadt eine Institution. Zwei Jahre vor dem Hundertjährigen machte sie zu – eine Entscheidung, die Kress nicht leichtfiel. Doch er wollte neue Wege gehen. Und das war am alten Standort nicht möglich.
Wer die neue Bäckerei betritt, versteht sofort, wieso Kress sie nicht nur als Manufaktur, sondern auch als gläserne Bäckerei bezeichnet: Schon von der Tür aus kann man dem Bäckermeister durch eine Glasscheibe bei der Arbeit zuschauen. „Ja, das macht manchmal Druck“, räumt er ein. „Aber wir wollen unser Handwerk so zeigen, wie es ist.“ Von der Theke aus können die Kund:innen beobachten, wie die Brote im Ofen erst aufgehen und sich dann langsam goldgelb bis kaffeebraun färben. Wie fast die komplette Ausstattung der Backstube kommt der Ofen aus Frankreich. „Dort gibt es 30.000 Handwerksbäckereien“, erklärt Kress. In Deutschland sind es – trotz einmaliger Brotkultur – nur noch 10.000. Für Betriebe wie den seinen böte das Nachbarland deshalb die beste Ausstattung.
Neuer Standort, neues Konzept:
Michael Kress geht mit seiner Brotmanufaktur neue Wege.
Aber die Qualität ist altbewährt.
Wer die Bäckerei betritt,...
kann dem Bäckermeister bei der Arbeit zuschauen.
"Wir wollen unser Handwerk so zeigen, wie es ist."
Der Kern seines Konzepts:
Kleines Sortiment, dafür beste Qualität.
Doch es ist bei Weitem nicht nur die Glasscheibe, die Kress‘ Bäckerei von anderen unterscheidet. Kleines Sortiment, dafür beste Qualität: Das ist der Kern seines Konzepts. Statt täglich 80 mittelmäßige Produkte gibt es bei Kress jeden Tag nur sieben bis acht Brote, dazu wechselnd süßes Gebäck und ab und zu Ausgefalleneres wie Burgerbrötchen oder Focaccia. Auch das Brötchensortiment hat er stark reduziert: „Der Fokus liegt ganz klar auf Brot.“ Für dieses Sortiment könne er aber die optimale Qualität garantieren, sagt der Bäcker. Welche Produkte es an welchem Tag gibt, verrät der Backplan auf der Homepage und im Laden. Immer wieder kommt etwas Neues dazu: Die Baguettes mit Misopaste oder Currypulver und Cashews zum Beispiel, die seine Mitarbeiter:innen kreiert haben. Von deren Arbeitszeiten können andere in der Branche nur träumen: Um sechs Uhr geht es los, für Kress selbst meistens um vier – selbst das ist für einen Bäcker spät. „Das macht uns schon ein bisschen stolz“, sagt der Chef.
Nach 30 Jahren im Beruf entdeckte Kress sein Handwerk 2020 bei der Ausbildung zum Brot-Sommelier neu: „Das hat meinen Geist wieder geöffnet.“ An der Akademie des Deutschen Bäckerhandwerks, die sich ebenfalls in Weinheim befindet, lernte er, richtig zu schmecken und zu riechen. Dass Brot nicht einfach lecker ist oder schön aussieht. Sondern Noten von Karamell, Zitrone und Lakritz enthalten kann, einen elfenbeinfarbenen Ausbund oder knackig-angeflammte Spitzen hat. Wie man selbst Schwarzbrot so beschreibt, dass es nicht nach einer schnöden Notwendigkeit klingt, sondern eher wie ein ausgefeilter Wein. Mit welchem Käse und welchem Getränk man welches Brot am besten kombiniert. Und vielleicht am wichtigsten: Er lernte andere Bäcker kennen, die neue Wege gehen – mit Erfolg.
Mit ihnen tauschte Kress sich aus – vor allem mit dem Brot-Atelier in Gießen, aber auch mit den Brotpuristen aus Speyer, die sogar erst um 14.30 Uhr öffnen. Auch sonst ähnelt ihr Konzept dem, was Michael Kress in Weinheim macht. In die großen Knetmaschinen kommt nur das, was ein gutes Brot wirklich braucht: Mehl, Sauerteig, Hefe „in homöopathischen Dosen“, Wasser, Salz und je nach Gebäck Gewürze, Nüsse, Körner oder auch mal Bier. Die Brote, die so entstehen, schmecken immer anders: Im Sommer zum Beispiel milder als im Winter, weil der Sauerteig bei kühlen Temperaturen mehr Essigsäure bildet. „Den richtigen Geschmack zu treffen, ist jeden Tag eine Herausforderung“, findet Kress. „Aber es macht Spaß, dass nicht jeder Tag gleich ist. Und dass wir das Wissen, das wir gelernt haben, auch anwenden können.“
In seinen Backkursen, die meist Monate im Voraus ausgebucht sind, gibt Kress dieses Wissen auch an seine Kundschaft weiter: Dann geht es um die Frage, wie man möglichst viel Wasser in den Teig bekommt. Um die Vorzüge von Waldstaudenroggen oder die richtige Knettechnik. Und man kann eindrücklich erleben, wie sehr Kress für seinen Beruf brennt. Scheinbar mühelos springt der weiche Teig zwischen seinen Händen hin und her. Dreht sich, glättet sich und bleibt dabei so fluffig, dass man die feinporige Krume schon fast schmecken kann. „Der Teig soll tanzen“, kommentiert er mit spitzbübischem Grinsen. Dann lüpft er die Kugel sanft nach oben und lässt sie in eine Gärform gleiten. Mehl stäubt auf. Die Hobbybäcker:innen sind sprachlos. Nach fünf Stunden gehen sie mit mindestens fünf Broten nach Hause.
Irgendwann will Kress auch Backkurse für Kinder anbieten. Die Weiterbildung zum Brot-Sommelier hat er mit einem Projekt namens Kinderbrot abgeschlossen. Das Backbuch, das daraus entstanden ist, kann man in seiner Bäckerei kaufen. Noch fordert die neue Bäckerei aber all seine Kraft. Kress und sein Team formen alle Brote von Hand. Anders als in einer industriellen Großbäckerei, in der zwischen Kneten und Backen höchstens ein paar Stunden vergehen, reifen die Teige bei ihm mehrere Tage. Und in jedem Produkt steckt zumindest ein bisschen Sauerteig – selbst in den Zimtschnecken. So bleiben die Brote bis zu einer Woche frisch und sind sehr bekömmlich – auch für Personen, die empfindlich auf Gluten reagieren. „Und wir haben natürlich eine tolle Aromatik.“
Welches Brot er am liebsten isst, kann Kress nicht sagen. Je nach Laune greift er an einem Tag zum Hamburger Schwarzbrot und am nächsten zum Dinkel-Ruchbrot. Manchmal schafft es aber selbst der Inhaber nicht, sich rechtzeitig ein Exemplar zu sichern. Weil auch seine Frau und die vier Kinder aber jeden Tag Brot essen wollen, hat sich die Familie mittlerweile eine Reserve angelegt. Tipp vom Profi: Brot am besten warm einfrieren, auch wenn das energetisch Unfug ist. Doch je weniger Wasser aus dem frischen Brot verdampft, umso länger ist es saftig. Und umso größer der Genuss.
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