Sanfte Hügel, Wiesen und Wälder – soweit das Auge reicht. Fast meint man, man sei im Auenland, dem Reich der Hobbits. Aber das hier ist nicht Mittelerde, sondern das Bauland zwischen Neckar, Jagst und Tauber. Und im Nordosten der Region Rhein-Neckar ist der Grünkern eine begehrte regionale Spezialität – seit mehr als 350 Jahren.
Wer Anfang Juli im Bauland unterwegs ist, hat Zeit. Viel Zeit, um die Aussicht auf die Landschaft zu genießen, denn Traktoren und Mähdrescher lassen die Fahrt auf den schmalen Landstraßen zu langsamen Prozessionen gerinnen. Und dennoch: Die Landwirte haben es eilig, denn das Zeitfenster für die Grünkernernte ist wie jedes Jahr äußerst eng.
„Es heißt immer, ein findiger Bauer sei während einer kaltnassen Hungerperiode auf die Idee gekommen, den unreifen Dinkel zu ernten und ihn über Feuer zu ‚darren‘,“ sagt Edith Mechler – und lacht. „Ich selbst glaube ja nicht, dass so der Grünkern erfunden wurde, denn fränkische Männer sind nicht so findig – das war bestimmt eine Bäuerin, die ihre Familie satt bekommen musste.“ Edith Mechler weiß, wovon sie spricht. Die gut gelaunte Rentnerin ist seit vielen Jahren Mitglied im Heimatverein Altheim-Walldürn und kennt die Geschichte und die Geschichten ihrer Heimat. Regelmäßig führt sie Besuchergruppen durch das restaurierte Ensemble historischer Darren, die das Wahrzeichen des Ortsteils bilden. Die kleinen Fachwerkhäuser, in denen früher der Grünkern getrocknet wurde, thronen auf massiv gemauerten Fundamenten, deren rot geziegelte Dachgeschosse aus Holz bestehen.
Anfang Juli, wenn der Dinkel auf den Feldern fast schon reif, aber noch grün ist, wird er geerntet. Den Grünkernbauern bleibt nicht viel Zeit für die Trocknung, denn das feuchtgrüne Getreide muss schnell verarbeitet werden, sonst beginnt es zu schimmeln. Früher war das eine harte, schweißtreibende Arbeit, die einzelne Bauern unmöglich alleine stemmen konnten. „Jeder hat jedem geholfen. Die Bauern haben sich zur ‚Gemarre’ zusammengeschlossen, einer Urform der Genossenschaft. Man hat gemeinsam angepackt, weiß Edith Mechler. „Von der Saat über die Ernte bis hin zur Trocknung und Lagerung – anders wäre es nicht gegangen.“
Zuerst wurde am Steinsockel einer Darre in einer Mulde ein Feuer entfacht. Die Hitze strömte den Schacht hinauf ins Innere. Oben wurde der Grünkern auf der Darrbühne, einer gelöcherten Blechwanne, ausgebreitet. Bei ständigem Schieben und Wenden dauert der Trockengang bis zu sechs Stunden, und das bei 120 bis 160 Grad Celsius Hitze – mitten im Hochsommer. „Wenn hier am Schaltalweg die Feuer entzündet wurden, dann hat sich das ganze Dorf versammelt – das war ein Großereignis“, erinnert sich Edith Mechler. „Als Kinder haben wir an Holzstöcken grüne Äpfel im Feuer geröstet. Später als junge Frau habe ich den Männern bei der Arbeit zugeschaut und auch mal ein Glas Most mitgetrunken.“