Kunst, Labor, Soziales – das ist „barac“. Beheimatet in einer ehemaligen Kaserne auf Franklin. Dieser großen Fläche im Nordosten Mannheims, die mit dem Abzug der US-Armee frei wurde, für Wohnen, Arbeiten – und neue Ideen. Myriam Holme und Philipp Morlock haben hier einen Ort geschaffen, an dem nicht nur Kunstwerke entstehen. Sondern vor allem: Möglichkeiten.
Myriam Holme öffnet die Tür zum Treppenhaus. Die Wände, die Türen, die Treppenabsätze – alles ist grau gestrichen. Eine Fläche, die darauf wartet, bespielt zu werden. Ein vertikales Atelier. Ein Ausstellungsraum. „Zumindest war das mal so angedacht“, sagt die Mannheimer Künstlerin und zeigt im nächsten Treppenhaus, einen Hausflügel weiter, wie das aussehen könnte: Neongelbe Fäden ziehen sich durch den Flur, verknüpfen ein Treppengeländer mit dem anderen. Dazwischen hängen Stücke aus dunklem Styropor, wie kleine Kometen. Einsam, aber doch verbunden.
Das Künstlerkollektiv I found you hat das Werk auf barac hinterlassen. Acht Künstler:innen aus den USA, aus Uruguay, Großbritannien und Österreich, die sich während der Pandemie online fanden. Und sich eines Tages bei ihr meldeten. Sie suchten einen Ort, an dem sie zusammenkommen können. Zum ersten Mal persönlich. Vier Wochen verbrachten die Künstler:innen im Sommer 2022 auf barac. Sie setzen sich mit sich und ihren Arbeiten auseinander – aber auch mit diesem Ort in der Mannheimer Peripherie. „Das ist genau das, was barac sein soll: Ein temporäres Kunstatelier, an dem Menschen von überall her zusammenkommen, um Neues zu schaffen“, sagt Myriam Holme.
Seit 2016 gibt es „barac“. In einer Kaserne, erbaut von den Nazis. Nach dem Zweiten Weltkrieg errichteten die US-Amerikaner hier die Sullivan Barracks. Das Gebäude liegt direkt am Waldrand, am Panzerwald. Jahrelang trainierte hier die US-Armee, rollten Schützenpanzer durch den Wald. 2011 kehrte dann Ruhe ein, die Amerikaner lösten die Garnison auf und hinterließen insgesamt eine Fläche von 500 Hektar. Fünfmal so groß wie die Mannheimer Innenstadt. Raum für neue Projekte, grünere Wohnformen und kulturelle Experimente.
Aus einer ehemaligen Kaserne wurde ein Ort für Kunst.
Philipp Morlock...
und Myriam Holme wollten Mannheim als Stadt etablieren, die Künstler:innen anzieht.
Mit dem Einraumhaus setzten sie ein erstes Ausrufezeichen.
barac denkt die Idee des Einraumhauses nun weiter.
Kunst, Labor, Soziales - das alles ist barac.
In der Küche kommen alle zusammen: barac-Bewoher:innen, Besucher:innen, Künstler:innen und Schüler:innen.
Myriam Holme und Philipp Morlock war schnell klar, was für eine Chance die Konversion für die Kunst bedeutet. Dabei war Mannheim für sie eigentlich nur als Durchgangsstation geplant. Kennengelernt haben sie sich während des Studiums an der Kunstakademie in Karlsruhe – und schnell gemerkt, wie gut sie zusammen arbeiten, Ideen entwickeln können. Nach dem Studium, so der Plan, wollten sie ins Ruhrgebiet. Berlin reizte beide nicht. „Wir wollten dorthin, wo sich etwas tut, wo sich Strukturen wandeln und Freiräume entstehen – gerade für die Kunst“, sagt Myriam Holme. „Nicht dorthin, wo alles schon totentwickelt ist“, ergänzt Philipp Morlock.
Wir haben bemerkt, wie groß das Potenzial in Mannheim ist
Philipp Morlock
Myriam Holme, zuerst fertig mit dem Studium, zog zunächst in ihre Heimatstadt Mannheim zurück. Sie ist in der Gartenstadt aufgewachsen, gar nicht weit von Franklin entfernt. Also erstmal Mannheim statt Ruhrpott – und die Frage: Was gibt es hier an Kunst? „Wir haben dann bemerkt, wie groß das Potenzial in der Stadt ist“, sagt Philipp Morlock. Ein großer Ballungsraum, aber kaum Künstler:innen. „Vor allem nicht in unserer Generation.“ Beiden war klar: Das wollen wir ändern. „Wir kennen so viele großartige Leute – jetzt mussten wir sie nur noch nach Mannheim locken.“ Und das ohne großes Budget – aber mit einer großartigen Idee.
Im Sommer 2010 nahm diese Idee Gestalt an. In Form einer begehbaren Skulptur aus Metallplatten. Sechs Wochen stand ihr Einraumhaus auf dem Alten Messplatz, in das sie Künstler:innen einluden, sie mit Sammler:innen zusammenbrachten und in dem sie Ausstellungen, Performances, Konzerte und Partys organisierten. Kunst ohne Zugangsbarrieren. Das Einraumhaus machte Mannheim zu einem festen Ort auf der Kunstlandkarte Deutschlands. Das bemerkte auch die Stadt und unterstützte das Projekt. Ein Jahr später bekam es einen größeren Bruder, der auf die Brache zwischen dem Alten Messplatz und dem Neckar zog, während das kleine Einraumhaus auf Tour ging.
Das war 2011. Im gleichen Jahr, in dem die US-Armee bekanntgab, aus Mannheim abzuziehen. Philipp Morlock, zu der Zeit auf der Suche nach einer großen Halle für ein Projekt, nutzte die Chance und fragte, ob er die Sporthalle der Turley Barracks nutzen kann. Er bekam den Schlüssel. „Wir waren mit die ersten, die nach den Amerikanern auf den Konversionsflächen waren“, erzählt er. Wie eine verlassene Stadt nach einem Atomkrieg habe vieles gewirkt, erinnert sich Myriam Holme. Teils lag noch Post in den Briefkästen. Doch wo die einen nur abbruchreife Häuser bemerkten, sahen sie Rohstoffe, Ressourcen, Möglichkeiten. Von Anfang an brachten sie ihre Ideen in die Konversion ein. Ihr großer Wunsch: Ein Haus für Kunst. Eines, das die Idee des Einraumhauses weiterdenkt. Eine Anlaufstelle für junge Künstler:innen nach dem Studium, ein Ort, an dem Kunst weiterentwickelt und gleichzeitig vermittelt wird, ein Haus der Begegnung.
Fünf Jahre später wurde dieser Wunsch Wirklichkeit. Mit Hilfe der Trias-Stiftung, die das 2,4 Millionen Euro teure Grundstück kaufte und in eine 99-jährige Erbpacht umwandelte. Mit 4.400 Quadratmetern ist das Haus sogar größer als ursprünglich angedacht, doch gemeinsam mit dem Architekten Andreas Handel füllten es beide schnell mit neuen Ideen.
Noch gleicht der Weg zu „barac“ einer Baustellenzufahrt. Überall stehen Zäune, graben Bagger, drehen sich Kräne. Gegenüber stehen bereits die ersten Eigenheim-Würfel. Quadratisch, praktisch, energieeffizient. Ein Ort für neues Wohnen soll das Areal werden. „Barac“ ist es bereits. Das Gebäude liegt U-förmig zwischen windschiefen Kiefern, in denen noch der Morgennebel hängt. Der Flügel rechts ist der Inklusionstrakt. Hier wohnen Menschen mit geistigen und körperlichen Einschränkungen. Links liegt der Kunstflügel. Hier wohnen die „barac“-Stipendiat:innen, liegen Ateliers, Werkstätten und Labore.
Im Mittelteil, der beide Trakte verbindet, sind Gemeinschaftsräume zu finden: die Küche, eine Bar, ein großer Aufenthaltsraum. Gerade stehen hier vor allem: Vasen – in allen Formen, Farben und Größen. 2023 sollen es werden bis zum Start der Bundesgartenschau in Mannheim im Frühjahr 2023. Geschaffen von Künstler:innen, aber auch von Schüler:innen und Senior:innen, behinderten und geflüchteten Menschen – und sonntags von allen, die gerade Lust haben, zu töpfern. Erhältlich sind sie im The Golden Village Laden in der Mannheimer Innenstadt. Verantwortlich für das Projekt ist Laura Sacher, die das Erdlabor auf barac leitet. Geplant war es nicht. Es entstand, als die Künstler:innen in den Erdhügeln der Baustellen Lehm entdeckten. Eine ganze Ader zieht sich durch das Franklin-Areal. Viel zu schade, um es nicht zu nutzen, fanden Philipp Morlock und Myriam Holme. Wie sie sowieso fast alles nutzen, was sie hier auf Franklin oder anderswo finden.
Die Küche ist zusammengestellt aus Geräten, die ehemalige Bewohner:innen auf Franklin zurückgelassen haben. Die Wand ist aus den Türen ihrer Häuser gezimmert. Die Schreibtische sind aus dem alten Tanzboden des Nationaltheaters, die Glaswände stammen aus der Zentrale der Baumarkt-Kette Bauhaus. Dass auf Franklin so viel abgerissen wurde, schmerzt Philipp Morlock. Er hat versucht, so viel wie möglich davon zu bewahren, hat Briefkästen und Schilder abmontiert, Möbel gesichert – sogar eine komplette Autowaschanlage. „Aber da ging viel zu viel verloren.“ Er schüttelt den Kopf. Für ihn eine unfassbare Verschwendung.
Die Künstler:innen auf „barac“ arbeiten zum Größten Teil mit dem, was da ist. Schaffen aus Altem Neues, aus Weggeworfenem Bleibendes. Und begegnen hier Menschen, denen sie sonst vermutlich nie begegnet wären. „Dieser Austausch ist unglaublich bereichernd“, sagt Myriam Holme. Alle Stipendiat:innen bleiben „barac“ verbunden, viele sogar in Mannheim. Ein Ziel, das irgendwann erreicht wird, gibt es hier nicht. Sondern immer wieder neue Ziele. Wie gerade das Dorfplatz-Projekt oder vielleicht ja doch mal eine Ausstellung im vertikalen Atelier. Fest steht nur: auf barac schlummern noch viel mehr Möglichkeiten.
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