2004 haben Josefine Raab und Stefan Becht den Fotopreis „gute aussichten“ ins Leben gerufen. Mittlerweile ist es der renommierteste Wettbewerb für junge Nachwuchsfotograf:innen in Deutschland. Vom Haardter Schloss in Neustadt aus suchen beide nach den Talenten von Morgen und bieten ihnen nicht nur vor Ort sehr gute Aussichten.
Was passiert, wenn die Umwelt selbst fotografiert? Was zeigt uns die Natur? Welche Geschichten erzählt das Wasser? Und: hören, sehen wir überhaupt zu? Die Fotografin Jette Held hat zugehört – und zugesehen. Nicht durch den Sucher ihrer Kamera. Sie hat die Natur selbst machen lassen und dafür Fotopapier in Gewässer gelegt. In die Kuhtränke in ihrem Heimatort Tanne im Harz. In das kleine Flüsschen Bode. In die majestätische Donau in Wien. Entstanden sind poetische Aufnahmen, die viel zu erzählen haben. Während die Bode etwa schillernde Lichtspiele auf das Papier warf, malte die Donau mit viel düsteren Farben. In der ständig hellen Stadt hatte das Fotopapier viel mehr Licht abbekommen.
„Dafür mache ich das“, sagt Josefine Raab und zeigt auf die Fotos. „Für diese neuen Ansätze. Für Fragen, mit denen sich vorher niemand beschäftigt hat, aber deren Antworten so viel Aussagekraft haben.“ Raab blättert weiter durch das Buch vor ihr. Ein Katalog, der die Arbeiten der gute aussichten Preisträger:innen des Jahrgangs 2022/2023 vorstellt. Jette Held ist eine von ihnen. „Es gibt sie in jedem Jahr, diese Schätze“, sagt Raab. Und sie freut sich immer wieder aufs Neue, sie zu heben. Auch nach 20 Jahren noch.
2004 hat sie gemeinsam mit Stefan Becht den Wettbewerb gute aussichten – junge deutsche fotografie ins Leben gerufen. Seit 2011 hat er seine Heimat im Haardter Schloss in Neustadt. Dort sitzen nun beide, im lichtdurchfluteten Salon des Schlösschens. Drei Seiten des Raums sind komplett von Fenstern umgeben. Vor ihnen breitet sich die sonnenbeschienene Pfalz aus. Der Blick von der Haardter Höhe reicht weit über die Rheinebene, nach Heidelberg und Mannheim, bis am Horizont der Odenwald im blauen Dunst verschwimmt. Gute Aussichten also. Für die Bewohner:innen und Besucher:innen des Schlösschens. Und für die jungen Fotograf:innen, die hier ausstellen.
Wahrlich eine gute Aussicht: Von der Haardter Höhe reicht der Blick bis zum Odenwald.
Ende des 19. Jahrhunderts wurde hier das Haardter Schloss erbaut.
Seit 2011 hat gute aussichten hier seinen Sitz. Foto: Stefan Becht
2004 tagte die erste Jury noch in einem Frankfurter Hinterhof - hier Josefine Raab mit Mario Lombardo (links) und Andreas Gursky. Foto: Stefan Becht
13 Jahre später kam die – deutlich größere – Jury in Neustadt zusammen. Foto: Emanuel Raab
Ihre Aufgabe, damals wie heute: die besten Nachwuchsfotograf:innen finden.
2023/2024 überzeugte etwa Lea Greub...
Bild aus der Fotoserie "No Georgian Dreams" von Lea Greub, Preisträgerin des Fotografie-Wettbewerbs gute aussichten 2023/2024.
Béla Avi Beinhold ist ein Preisträger des Fotografie-Wettbewerbs gute aussichten. Hier sein Werk: "Das letzte Zeichen".
Denn das ist es, was die Kunsthistorikerin mit dem Wettbewerb erreichen will: Chancen schaffen für den Nachwuchs. Auf ein Leben mit und von der Kunst. Zuvor war Raab mehrere Jahre im Vorstand des Kunstvereins Wiesbaden. „Unser erklärtes Ziel war damals, den künstlerischen Nachwuchs zu fördern, ihnen eine Bühne zu bieten“, erzählt sie. Sie konzipierte Ausstellungen mit jungen Künstler:innen. Aber dann kamen nur ein paar hundert Leute, um deren Werke zu sehen. „Das Feld ist für junge Künstler:innen schon sehr dornig.“
„Die Fotografie wurde ja schon öfter totgesagt. Aber hier sehe ich jedes Jahr, wie unglaublich lebendig sie ist.“
Josefine Raab
Raab wurde klar, dass es einen anderen Ansatz braucht. Kein reines Ausstellungskonzept, das an einen Ort gebunden ist. Sondern einen Wettbewerb mit bundesweiter Schlagkraft. Bei dem den Gewinner:innen kein Preisgeld, sondern größtmögliche Öffentlichkeit winkt. Und der dort ansetzt, wo für viele Künstler:innen ein Schutzraum aufhört – am Ende ihres Studiums. „Bei ihren Abschlussarbeiten sind sie noch ganz bei sich“, sagt Raab. „Damit müssen Sie noch kein Geld verdienen, müssen sich nicht am Markt beweisen. Sie sind frei und können genau das machen und ausdrücken, was ihnen am nächsten ist.“
Sie beschloss, das System auf den Kopf zu stellen. Holte Stefan Becht als Journalist und PR-Experte mit ins Boot. „Es wusste ja niemand, was daraus erwächst“, sagt Becht. „Aber wir wollten mit einem Knall starten.“ Groß denken, klein anfangen war ihre Devise. Also rief Raab einfach mal bei einem der erfolgreichsten zeitgenössischen Fotografen an. Mit Erfolg: Andreas Gursky fand das Projekt gut und saß beim Start 2004 in der Jury des Wettbewerbs. Auch Ingo Taubhorn, Kurator für das gerade entstehende Haus der Photographie in den Deichtorhallen in Hamburg, konnten sie mit ihrer Idee begeistern. „Und 2005 hingen dann absolute No-names in den Deichtorhallen und es war großartig.“ Raab strahlt. In zehn Tagen sahen über 3000 Besucher:innen die Ausstellung. „Und von den Ausstellenden damals haben einige ihren Weg gemacht.“
Seitdem macht sich die wechselnde Jury Jahr für Jahr auf die Suche nach den vielversprechendsten Talenten unter den Studienabgängern der Bereiche Fotografie, Freie Kunst und Visuelle Kommunikation. Die Zahl der Preisträger:innen schwankt: mal sind es sechs, mal 13, die ausgewählt werden. Bei den Sitzungen, erzählt Raab, werde es dann durchaus auch mal laut. „Klar, wir sind uns nicht immer einig und diskutieren viel.“ Die Auseinandersetzung mit den Werken der jungen Fotograf:innen ist oft auch eine Auseinandersetzung mit neuen Positionen und neuen Standpunkten. Aber genau das macht den Reiz des Wettbwerbs aus. „Man sieht mit den Jahren, wie sich die Fotografie weiterentwickelt“, sagt sie. Der Bogen spanne sich heute von analoger Fotografie bis zu künstlicher Intelligenz. „Die Fotografie wurde ja schon öfter totgesagt. Aber hier sehe ich jedes Jahr, wie unglaublich lebendig sie ist.“ Mittlerweile ist der Preis längst etabliert und gilt als renommiertester Wettbewerb für junge Nachwuchsfotograf:innen in Deutschland. Er finanziert sich durch Anzeigen, Beiträge der beteiligten Museen und eine Zuwendung des Landes Rheinland-Pfalz für den Druck des Kataloges.
Für das 20-jährige Jubiläum 2024 haben sich Josefine Raab und Stefan Becht ein besonderes Projekt ausgedacht. Für die Ausstellung „Fokus Mexiko–Deutschland“ trafen sich fünf deutsche und fünf mexikanische Nachwuchsfotograf:innen in Mexiko City, um gemeinsam eine Arbeit zu erstellen. „Wir wussten überhaupt nicht, was daraus entsteht. Aber der Prozess war unglaublich spannend.“ Raab liebt es, Räume zu schaffen – die Künstler:innen dann den Freiraum geben, sich auszuleben. Abseits des Kunstmarkts. Abseits des Drucks, sich vermarkten, sich anpassen zu müssen.
Dass die Räume von gute aussichten mal so fürstlich werden, war allerdings nie geplant. Zuvor saßen sie in einem Hinterhof-Büro in Frankfurt. Bei einem Besuch in der Pfalz erfuhr Raab durch Zufall, dass das Haardter Schloss zu vermieten war. „Ich war neugierig, ich musste mir das anschauen.“ August Ritter von Clemm, einer der Mitbegründer der BASF, ließ das Haardter Schloss Ende des 19. Jahrhunderts erbauen. Direkt neben den Ruinen der Burg Winzingen. Aber: „Es war in einem desaströsen Zustand“, berichtet Raab. Zuvor war in den Räumen eine Pension, die insolvent ging. „Es gab zwölf Bäder, aber keine Küche, alles war heruntergekommen.“ Sie winkten erst einmal ab.
Doch die Maklerin blieb hartnäckig und dem Besitzer gefiel das Projekt – gute aussichten bei dieser Aussicht, das passe doch perfekt. Nach vielen Beratungen fanden am Ende doch alle zusammen, mit Kompromissen auf beiden Seiten. „Es funktionierte nur, weil wir unsere Zelte endgültig abbrachen, um das hier zu stemmen“, erzählt Becht. Also zogen sie alle zusammen in die Pfalz: Josefine Raab, ihr Mann, Stefan Becht und gute aussichten.
„Die Renovierung war ein Kraftakt“, sagt Becht. Aber es hat sich gelohnt. Die neuen Mieter:innen haben viel vom alten Charme des Schlössels, wie die Neustädter sagen, wiederhergestellt. Alte Wandgemälde freigelegt, den rosafarbenen Teppichboden rausgeschmissen, Parkett und Fliesen aufgearbeitet. Für Besucher:innen ist das Erdgeschoss immer dann zugänglich, wenn eine Ausstellung in den Räumen ist. Jedes Jahr findet mindestens ein „heimspiel“ statt, bei dem sich die aktuellen Preisträger:innen präsentieren. Viel privater als in einem Museum. Und garantiert mit einer großartigen Aussicht.
Am Freitag, 17. Mai 2024, 19 Uhr, eröffnet die Jubiläums-Ausstellung „gute aussichten FOKUS Mexiko–Deutschland“ in der Städtische Galerie Karlsruhe.
Einen Tag später, am Samstag, 18. Mai 2024 eröffnet „mit Sekt & Selters“ um 15 Uhr das gute aussichten heimspiel 14: Auf einen Streich im Haardter Schloss in Neustadt.
Ausflugstipps und interessante Geschichten über die Rhein-Neckar-Region gibt es regelmäßig in unserem Newsletter.
Und so geht’s: Geben Sie Ihre E-Mail Adresse in das Feld ein und klicken Sie auf abonnieren. Sie erhalten daraufhin eine automatisch generierte Nachricht an die von Ihnen genannte E-Mail Adresse, die Sie nur noch bestätigen müssen. Fertig!