Christina Laube und Mehrdad Zaeri erzählen Geschichten. Beide auf ihre Weise. Sie mit Worten, Fotografien und Malerei, er mit Zeichnungen und Illustrationen. Gemeinsam schaffen sie als Duo Sourati zarte, zurückhaltende Werke voller Emotionen. Auf einem Bierdeckel genauso wie auf Hauswänden in der ganzen Welt.
Da ist Anna. Eine junge, ukrainische Zwangsarbeiterin. Die 1943 auf den Feldern des Dorfes arbeiten muss, in das Helga mit ihrer Mutter vor den Bomben in ihrer Heimatstadt flieht. Sie freunden sich an, tanzen gemeinsam durch dunkle Zeiten. Bis Anna bei einem Luftangriff stirbt. Ein Mädchen, dessen Leben keine Spuren hinterließ. Weder in ihrer Heimat, noch in Deutschland. Die nur noch in Erinnerungen existiert. In Helgas Erinnerungen.
Oder Elfriede, 17 Jahre alt. Die mit ihrer Familie im Ochsenpferchbunker in der Mannheimer Neckarstadt-West Zuflucht fand. Und die den Soldaten, die Wache hielten, Tee brachte. Mit einem redete sie etwas länger. Sie lachten, flirteten – bis Flugzeuge heranflogen. Elfriede konnte sich noch in Sicherheit bringen, doch der junge Soldat starb. Sie weiß seinen Namen nicht, aber seine Augen kann sie nicht vergessen. Seit über 80 Jahren nicht.
Christina Laube und Mehrdad Zaeri haben beide Geschichten bewahrt. Die Erinnerungen an Anna von Helga Neumeyer aus Frankenthal in einer Graphic Novel, die 2024 erschien. Die Begegnung von Elfriede Eisenbeiser mit dem jungen Soldaten mit einem Gemälde an den Betonwänden des gleichen Bunkers, in dem sie damals Schutz fand – und in dem heute das Marchivum die Geschichte der Stadt Mannheim konserviert. Nun steht der Soldat auf einem Treppenabsatz und blickt hinunter – auf die inzwischen weißhaarige Elfriede, die mit einer Kanne Tee in der Hand zu ihm hinaufblickt.
Seit 2016 bilden Christina Laube und Mehrdad Zaeri das Duo Sourati. „Zumindest offiziell“, sagt die Fotografin. Denn zusammen gearbeitet haben sie, seit sie auch privat zusammen sind. „Wir haben uns immer über unsere Kunst ausgetauscht, uns gegenseitig beraten“, erzählt sie. „Ich konnte nie den Mund halten, wenn ich ihm beim Zeichnen zuschaute.“ Mehrdad Zaeri nickt. „Sie sagt dann: Da fehlt Rot! Und ich erschrecke dann und denke: stimmt!“ Und da es seiner Frau oft schwerfiele, sich zu entscheiden, berate er sie oft bei der Bildauswahl.
Über die Liebe zu Bilderbüchern haben Christina und Mehrdad zueinandergefunden.
Heute machen sie selbst welche.
Geschichten erzählen sie jedoch auch auf Wänden, ...
wie hier im Marchivum.
Über Monate hinweg arbeiteten sie an dem Projekt. Photo: MARCHIVUM/ Kathrin Schwab
Mal sind die Werke bierdeckeklein, ...
mal hausgroß. Foto: STADT.WAND.KUNST/Daniel Keil
Dabei ergänzt sich das Duo perfekt. Foto: STADT.WAND.KUNST/Alexander Krziwanie
Foto: STADT.WAND.KUNST/Daniel Keil
Den Anstoß, auch nach außen als Duo aufzutreten, gab die „Freiheitstesterin“. 2016 fragten die Menschen hinter der Alten Feuerwache in Mannheim Mehrdad Zaeri, ob er nicht Lust hätte, eine Fassade für das Projekt „Stadt.Wand.Kunst“ zu gestalten. Er winkte ab. Zu groß erschien ihm die Aufgabe, zu furchteinflößend der Gedanke, eine komplette Hauswand zu gestalten. „Und ich habe noch nie in meinem Leben gesprüht!“ Doch als er seiner Frau von der Anfrage erzählte, war sie sofort begeistert. „Lass uns das zusammen machen“, schlug sie vor. Sie hatten nur eine Bedingung: Sie wollten auf einer Wand malen, die wieder verschwindet. „Wenn es schief geht, wollten wir uns nicht für den Rest unseres Lebens dafür schämen.“ Doch die „Freiheitstesterin“ und ihre Vögel erwiesen sich als überaus erfolgreicher Test und als das Haus im Quadrat B 6 zwei Jahre später tatsächlich abgerissen wurde, fiel der Abschied schwer.
Ich habe die Arbeit im Marchivum sehr genossen. So tief in das Gedächtnis einer Stadt einzutauchen – das war ein wunderbares Erlebnis.
Christina Laube
Doch einige Vögel entkamen dem Gemälde und weisen heute den Weg über Fassaden hinweg vom Quadrat B 6 bis zu H 5 – wo die zwei, nun offiziell als Duo Sourati, ihre zweite Wand gestalteten: Abschied und Neubeginn heißt sie, bezeichnenderweise, und zeigt eine Frau mit Koffer in der Hand, Katze auf dem Kopf und Baum im Rucksack – bereit, fernab der Heimat neue Wurzeln zu schlagen. „Wir haben es für alle Migrantinnen und Migranten gemalt, die hier in den Quadraten leben. Und für alle Menschen, die am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit direkt dahinter ebenfalls ein neues Leben beginnen wollen“, erklärt Mehrdad Zaeri.
Er kennt das Gefühl der Entwurzelung. Mit 14 Jahren war er mit seiner Familie aus dem Iran geflohen. Seine Eltern unterstützten damals die Revolution im Land – im festen Glauben an die Demokratie. Doch als die iranische Revolution schließlich in einem islamischen Gottesstaat mündete, verließen sie das Land. Dass die Familie schließlich in Heidelberg landete: „reiner Zufall, aber ein sehr glücklicher“. Halt gab ihm schon damals seine Kunst. „Ich konnte zwar die Sprache nicht, aber ich konnte Zeichnen.“ Und das fiel auch seinen Klassenkamerad:innen auf. Anfangs porträtierte er für sie ihre Lieblingsstars, später machte er seine Leidenschaft zum Beruf. Er zeichnete sich seine neuen Wurzeln. An die alten erinnert noch der Name, den sich die beiden als Duo gaben: Sourati heißt auf Persisch Altrosa. In dieser Farbe leuchten auch die Blüten des Baumes auf der sonst grauen Hauswand in H 5.
Seitdem kamen zahlreiche neue Wände hinzu. In Mannheim, aber auch in anderen Städten. Christina Laube und Mehrdad Zaeri zeichneten einen Minotaurus an die Wand des Günter-Grass-Hauses in Lübeck, einen Zeppelin-Fisch an ein Parkhaus in Rosenheim und eine Frau mit einem flatternden Schwarm an Träumen über dem Kopf an eine jordanische Hauswand. Bald kamen neue Projekte hinzu wie „Marthas Reise“, ein poetisches Bilderbuch mit Lasercuts – eine Art moderner Scherenschnitt, oder „Dedicated to Tati“, eine grafische Rauminstallation in der Kunsthalle in Göppingen. Tati ist eine Freundin des Paars, die in der Ukraine lebt. Mit den Kurznachrichten, die sie seit dem Überfall Russlands auf ihr Heimatland nach Mannheim geschickt hat, beschrifteten Christina Laube und Mehrdad Zaeri einen kompletten Raum, ein Regal, einen Tisch, einen Stuhl. Auf dem Boden unzählige Gesichter. Auf der Decke unzählige Panzer.
„Die Ideen kommen oft von Mehrdad“, erzählt Christina Laube. Die Ausführung, das Dranbleiben – das sei ihre Aufgabe. Genauso wie das Aufspüren von Geschichten. Während Mehrdad mit den Gedanken längst beim nächsten Bild, beim nächsten Projekt sei, könne sie sich tief in die Recherche vergraben. Als sie den Auftrag vom Marchivum bekamen, das Treppenhaus zu gestalten, verbrachte sie viel Zeit im Archiv (Ein Video über die Entstehung gibt es hier). „Ich habe die Arbeit im Marchivum sehr genossen. So tief in das Gedächtnis einer Stadt einzutauchen – das war ein wunderbares Erlebnis. Zwar oft traurig und erschütternd, aber die Geschichten dann ans Licht zu bringen, war unglaublich bereichernd.“
Sie ergänzen sich. Mehrdad, der gerne spontan ist. Christina, die gerne plant. Er, der wenige Striche braucht, um Gefühlswelten in Gesichter zu zeichnen. Und sie, die es schafft, mit wenigen Worte alles zu sagen. Kennengelernt haben sie sich in Heidelberg. Christina Laube, im Schwarzwald aufgewachsen, zog für ihren ersten Job als Fotografin in die Stadt – „und blieb hier hängen“. Verbunden hat sie schon damals die gemeinsame Liebe zu Bilderbüchern. „Wir haben uns oft getroffen und Bücher angeschaut. In großer Langsamkeit und in großer Stille“, erzählt sie. Zunächst als Freunde, bis Mehrdad Zaeri ihr eines Tages eröffnete, dass er bald heiraten werde. „Wen?“, fragte sie. „Dich“, sagte er.
Still sind auch ihre gemeinsamen Werke – auch wenn sie hausgroß sind. Und immer erzählen sie Geschichten und bewahren sie. Es sei Helga Neumeyers Wunsch gewesen, dass Anna in einem Buch weiterlebt. Die Frankenthalerin wollte etwas Bleibendes schaffen, einen Beweis dafür, dass es dieses Mädchen gab. „Sie musste fünf Jahre warten, bis das Buch erschien“, erzählt Christina – und wie erleichtert die über 80-Jährige war, als sie es schließlich in den Händen hielt und Anna nun Teil der Erinnerungen all der Menschen werden kann, die es lesen.
Zur Einweihung ihres Murals im Marchivum kam auch Elfriede Eisenbeiser, mittlerweile fast 100 Jahre alt. Und hatte einen großen Wunsch: „Sie wollte den Soldaten sehen“, erzählt Mehrdad Zaeri. Gemeinsam mit ein paar Helfern trug er die Frau in ihrem Rollstuhl die Treppen hinab. Bis zu ihm. „Als sie dann vor ihm saß, wurde es im Treppenhaus komplett still.“
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